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Als die Basler Jugend erwachte

Die Besetzung der Ryffstrasse 19–25 jährt sich zum vierzigsten Mal. Die anfangs der Achtzigerjahre stattfindenden Auseinandersetzungen um zahlbaren Wohnraum dienten der Basler Jugendbewegung als Kinderstube.

Ayse Turcan
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Demonstrationen Ryffstrasse

Demonstrationen Ryffstrasse

Claude Giger

Vor vierzig Jahren begannen Teenager auf allen Kontinenten, sich die Haare bunt zu färben, Punk-Musik zu hören, gegen Eltern, Staat und Konsumkultur zu rebellieren und geltende Normen und Werte auf den Müllhaufen der Geschichte zu verbannen. Anders als den 68ern fehlte der Jugend in den Achtzigern das Träumerische und Sanfte: Ihr waren die Blumen abhandengekommen. Die neue Bewegung war aggressiv und anti. Auch die Schweiz wurde von der globalen Protestwelle erfasst. Die sogenannten Opernhauskrawalle vom 30. Mai 1980 in Zürich entzündeten einen Funken, der von dort aus auf andere Schweizer Städte übersprang. Und auch wenn es in Basel nie richtig brannte: Das Jahr 1980 markierte den Beginn einer heissen Zeit.

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Wer waren die Achtziger in Basel und wofür standen sie? An dieser Stelle werden in den nächsten Wochen Themen und Protagonisten der damaligen Jugendbewegung vorgestellt.

Abgesehen von offensichtlich vereinenden Elementen, die sich insbesondere in der Kultur und der Forderung nach Freiräumen finden, hatte die Bewegung lokal unterschiedliche Entstehungskontexte und andere Akteurinnen und Akteure. Kurz: In Basel war das politische Klima ein anderes als in Zürich und die Jungen in Basel gingen für andere Anliegen auf die Strasse, als sie es in Bern oder Lausanne taten. Was die politisch aktive und linke Szene in der Stadt am Rhein bereits früh beschäftigte, war das Thema Wohnen. In den wohnpolitischen Auseinandersetzungen der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre hatte eine Politisierung und Radikalisierung stattgefunden, die den Nährboden für andere Strömungen der Jugendbewegung bildete: Noch bevor sich die Baslerinnen und Basler 1981 ihr Autonomes Jugendzentrum (AJZ) nahmen, sammelten sie Erfahrungen im Besetzen von Wohnhäusern.

Die Besetzung an der Ryffstrasse im Juni hatte grosse Bedeutung

«Man kann einfach ausziehen und sich alles gefallen lassen. Aber man kann auch mal versuchen, die Öffentlichkeit auf die Sache aufmerksam zu machen.» So erklärt ein junger Hausbesetzer im Video «z.B. Ryffstrasse», einem filmischen Zeugnis der Besetzung von 1980, seine Motivation. Die Bedeutung dieser Aktivitäten formulierte der Journalist Hervé Dubois noch im selben Jahr im Stadtbuch: "Die [Besetzung] der Liegenschaften Ryffstrasse 19-25 während des Sommers 1980 hatte besonderes Gewicht, brachte sie doch Probleme von allgemeinem Interesse zur Diskussion, mit denen sich unser Stadtkanton noch gründlich auseinanderzusetzen haben wird."

Der Besetzung war ein Streit um den Erhalt von vier Wohnhäusern im St. Johann vorangegangen, die der Besitzer abreissen wollte. Die staatliche Schlichtungsstelle hatte den Abriss der Liegenschaften mit Verweis auf das Gesetz gegen Abbruch und Zweckentfremdung untersagt. Der Hauseigentümer gab sich damit nicht ab und zog vors Verwaltungsgericht, das den Abbruch im Sommer 1980 bewilligte. Am 27. Juni wurden die Häuser aber besetzt. Zum Teil von denselben Personen, die bereits bei der Besetzung am Unteren Rheinweg im Vorjahr dabei gewesen waren. Es war eine Besetzung von «aussen», denn die traditionelle Mieterschaft war bereits lange im Voraus ausgezogen. Die neuen Bewohnerinnen und Bewohner nahmen die mehr als zwanzig Wohnungen in Beschlag, feierten, hielten Versammlungen ab und versuchten, die Nachbarschaft für sich zu gewinnen, indem sie etwa Veranstaltungen wie «Quartierzmorge» durchführten. Und das Besetzerkollektiv war nicht alleine: Im neugegründeten «Aktionskomitee Ryffstrasse» bekundeten mehr als zwanzig Organisationen ihre Unterstützung. Darunter die neugegründete «Mieteraktion», der Mieterverband, die Partei Progressive Organisationen Basel (POB) und sogar Mitglieder der SP.

Die Spaltung der Basler SP als Folge der Auseinandersetzungen

Für die Basler SP sollte die Häuserbesetzung an der Ryffstrasse ein ernstes Nachspiel haben. Nach knapp zwei Monaten wurden die Liegenschaften am 18. August 1980 durch die Polizei geräumt. Im Anschluss an die friedliche Räumung errichteten wütende Jugendliche Strassenbarrikaden und es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Demonstrationen Ryffstrasse Amerbachstrasse im Sommer 1980. Besetzung und Demonstrationen gegen den Abbruch von günstigen Wohnraum an der Ryffstrasse im St. Johann-Quartier.

Demonstrationen Ryffstrasse Amerbachstrasse im Sommer 1980. Besetzung und Demonstrationen gegen den Abbruch von günstigen Wohnraum an der Ryffstrasse im St. Johann-Quartier.

Claude Giger

Der Regierungsrat und Polizeidirektor, der die Räumung anordnete, war SP-Politiker Karl Schnyder. Für den Einsatz bei einer zwei Tage später stattfindenden Demonstration, bei der die Polizei mit viel Gewalt vorging und 65 Personen verhaftete, wurde Schnyder von einem Teil seiner Partei massiv kritisiert, vom anderen unterstützt. Sein Umgang mit Besetzern und der frühen Jugendbewegung in den Achtzigern im Allgemeinen führte zur Spaltung der Basler SP und der Gründung der Demokratisch-Sozialen Partei (DSP) 1982.

Den Besetzerinnen und Besetzern der Ryffstrasse ging es nicht bloss um individuelle Bedürfnisse und den Bedarf nach Wohnraum. Und auch wenn die betreffenden Liegenschaften im Zentrum der Auseinandersetzungen standen, war doch das Anliegen, günstigen Wohnraum in der Stadt zu erhalten, viel wichtiger. Der damals aktive Philipp Cueni berichtet unten im Gespräch mit der bz darüber, was ihn vor vierzig Jahren umgetrieben hat.

Nachgefragt bei Philipp Cueni

«Wir haben mit diesem Protestmittel wichtige Themen aufs Tapet gebracht»

Herr Cueni, vor 40 Jahren wurden die Häuser in der Ryffstrasse 19–25 besetzt. Da waren Sie dabei?

Philipp Cueni: Genau. Ein Jahr zuvor fand schon eine Besetzung am Unteren Rheinweg statt, wo etwa 150 junge Leute bereits zur Miete gewohnt hatten. Die eigentliche Besetzung dauerte nur wenige Wochen, aber die politische und mediale Resonanz war riesig. Dann kam 1980 die Besetzung an der Ryffstrasse und noch mal ein Jahr später die Birmannsgasse. Ich war bei allen drei Besetzungen dabei. Am Unteren Rheinweg war unsere eigene Wohnsituation der Ausgangspunkt. Und dann haben wir angefangen, uns generell für Wohnpolitik zu engagieren.

Was waren das für Leute, die bei diesen Aktionen mit dabei waren?

Jüngere Leute mit verschiedenen Motivationen. Es ging einerseits um eine Lebensform, um Raum für kollektive und alternative Wohnformen wie WGs. Das war damals noch etwas Aussergewöhnliches. Dann gab es einen starken wohnpolitischen Fokus. Und es kamen auch sogenannte Autonome dazu, bei welchen die Reibung mit dem «System» und der Polizei im Vordergrund stand.

Wo war denn die Verbindung zur Basler Jugendbewegung?

Über ein gewisses Lebensgefühl, den «Zeitgeist», über politische Fragen. Neben der rebellierenden Jugend gab es damals die Anti-Atom- oder die Frauenbewegung, Proteste gegen die Zerstörung der Städte, für alternative Kulturhäuser. Und in der Fantasie der Protestform, bei uns etwa mit Strassentheater.

Philipp Cueni 1952 geboren, sass 13 Jahre lang im Grossen Rat.

Philipp Cueni 1952 geboren, sass 13 Jahre lang im Grossen Rat.

Martin Töngi

Für Leute, die noch nie ein Haus besetzt haben – wie läuft so etwas ab?

Entweder wir wohnten nach der Kündigung einfach weiter – was auch stressig war. Oder wir haben recherchiert, wo allen Mietparteien gekündigt worden ist. In diese leeren Häuser spazierte man einfach rein und musste sie minimal wieder möblieren. Dann mit Transparenten an der Fassade und anderen Formen die Besetzung kommunizieren. Zu unserer Organisationsform gehörten das Abhalten von Vollversammlungen, Arbeitsgruppen – und eine gewisse Professionalität.

Was heisst das, Professionalität?

Einmal handwerklich, es ging unter anderem um Strom und Heizungen – einige Mitstreiterinnen und Mitstreiter von damals haben heute eigene Handwerksbetriebe. Wir haben früh ein eigenes Blättchen rausgegeben, in dem wir das Quartier über unsere Pläne und Ziele informierten. Dann haben wir die «Mieteraktion» gegründet, sogar mit einer bezahlten Geschäftsstelle. Wir wollten eine offensivere Wohnpolitik betreiben als der Mieterverband damals. Diese hat Leute beraten und Aktionen geplant. Und wir haben in hoher Auflage eine eigene Zeitung verteilt. In dieser haben wir über Häuser-Spekulanten, über Massenkündigungen, über die Möglichkeit von sanften Renovationen oder über unsere Ideen zur Wohnpolitik berichtet.

Das Thema Wohnen beschäftigt laut einer Bevölkerungsbefragung die Baslerinnen und Basler auch heute noch sehr. Und es finden immer noch Hausbesetzungen statt. Hat sich nichts verändert in den letzten 40 Jahren?

Einiges hat sich verbessert: Alternative Wohnformen sind normaler geworden, Wohnqualität ist ein Thema. Wir konnten eine breite Debatte zur Wohnpolitik auslösen. In den 80er-Jahren gab es von der Stadt organisierte grosse Tagungen, an denen von Hausbesetzern bis Investoren alle gemeinsam über Stadtentwicklung diskutierten. Es kam in der Folge zu Verschärfungen beim Abbruchrecht und bei der Zweckentfremdung von Wohnraum. Zum Teil ist das wieder verwässert worden. Und es gibt auffallend viele Massenkündigungen.

Wenn Sie heute zurückschauen und das Mittel der Besetzung bewerten – finden Sie, dass das eine legitime Protestform war?

Gute Frage. Wir haben mit diesem Protestmittel wichtige Themen aufs Tapet gebracht. Dazu kann ich in dieser gewaltfreien Form immer noch stehen. Interessant aus heutiger Optik ist, dass der Regierungsrat damals tatsächlich mit uns verhandelt hat. Heute wäre mir noch wichtiger, dass unsere Protestform breit verstanden wird. Dem Überschreiten von Legalität stehe ich heute ambivalenter gegenüber.