Ein Basler Atomgegner und Augenzeuge berichtet über Demonstrationen gegen Castortransport nach Gorleben. Er ist seit letztem Freitag vor Ort und hat an den Blockaden teilgenommen.
Im Landkreis Lüchow Dannenberg in Niedersachsen demonstrieren Tausende gegen Atommüll-Transporte ins Zwischenlager Gorleben. Die Basellandschaftliche Zeitung erreichte gestern Mittag den Basler Aktivisten Dominik – seinen vollen Namen möchte er nicht nennen – auf einer Kreuzung mitten in Dannenberg. Dort wurden die Castor-Behälter von der Bahn für die Fahrt nach Gorleben auf Lastwagen umgeladen.
Seit wann sind Sie vor Ort und was haben Sie gemacht?
Dominik: Seit Freitag bin ich hier und habe an Schienen- und Strassenblockaden teilgenommen.
Wie ist die Stimmung?
An dieser einfachen Kreuzung in Dannenberg stehen 14Polizeifahrzeuge. Wenn ich das ganze Polizei- und Armeearsenal hier sehe und bei den Einsätzen das tiefe Brummen der Helikopter höre, kommt mir der Bosnienkrieg in den Sinn.
Ist das wirklich so militärisch?
Die Polizei rollt bei Räumungen in Kolonnen mit 60 Polizeifahrzeugen an. Da sind nicht nur Wasserwerfer dabei, sondern auch Mowag-Räumungspanzer.
Die Polizei kritisiert selbst die überlangen Einsätze. Entsteht da nicht auch angesichts gemeinsamen Schlafmangels und des für alle gleich kalten Wetters eine Art Schicksalsgemeinschaft?
Nein, überhaupt nicht. Dazu ist ihr Vorgehen zu brutal.
Die Polizei hat aber gesagt, sie würde auf die körperliche Unversehrtheit der Demonstrierenden Rücksicht nehmen.
Sie geht sehr unterschiedlich vor. Sind Medien vor Ort, läuft es relativ zivilisiert ab. Ist aber kein Journalist da, schlagen sie mit erschreckender Rücksichtslosigkeit zu. Das moralisch Bedenklichste, was ich je erlebt habe, ist ein Polizeiangriff auf Sanitäter, die gerade dabei waren, Leute, die mit Pfeffersprayverletzungen am Boden lagen, zu versorgen. Eigentlich könnte die Polizei ruhig ihre Arbeit machen und die Leute einfach wegtragen. Aber ich habe gesehen, wie drei Frauen, die am Boden sassen und die Hände in die Luft streckten, einfach mit den Schlagstöcken niedergeknüppelt wurden.
Bekommt man da nicht einfach Angst?
Angesichts dieser Brutalität muss sich jede und jeder fragen, was überwiegt: Unsere Angst, einen bleibenden Schaden davonzutragen, oder der Wille, das Demonstrationsrecht auszuüben.
Wo übernachtet man bei einer tagelangen Aktion, die im Freien bei Minustemperaturen stattfindet?
Ich habe in Camps und bei Familien geschlafen, die spontan Demonstranten aufnehmen. Die Bevölkerung hilft mit Essen, warmem Tee, Unterkunft, übernimmt Shuttledienste und sucht Schleichwege für die Demonstranten, um ins militärisch abgeriegelte Gebiet zu kommen.
Sie trägt also den Protest mit?
An fast jedem Haus hängt das gelbe Kreuz als Symbol des Protests. Ich schätze, dass hier 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung gegen das atomare Zwischenlager – das möglicherweise zum Endlager wird – und gegen die Castortransporte sind.
Wie reagiert sie auf die Polizei?
Das rücksichtslose Vorgehen des Staats löst zusätzliche Wut aus und wirkt traumatisch. So fragte gestern Morgen der Vater der Familie, bei der wir übernachten konnten: «Wie kann ich meinen Kindern beibringen, dass die Polizei im Alltag sinnvolle Aufgaben erfüllt, wenn sie sehen, wie die Polizei hier mit Panzern ankommt, um uns etwas aufzuzwingen?»
Haben Sie auch mit Polizisten gesprochen?
Ich habe versucht, mit einem Polizisten zu diskutieren. Er sagte, dass wir bald alle in ein Lager gesteckt und umerzogen würden. So eine Antwort weckt – ausgerechnet in Deutschland – böse Erinnerungen.