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Im bz-Interview macht sich der Basler Architekt Emanuel Christ Gedanken zur Nachhaltigkeit beim Bauen. Er kritisiert, dass derzeit trotz behutsamem öffentlichen Diskurs radikal Bausubstanz aus den 50er- bis 80er-Jahren vernichtet wird.
Emanuel Christ, wir starten mit einer persönlichen Frage. Wie haben Sie Basel als Jugendlicher und Twen, also in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren, erlebt?
Emanuel Christ: Die Stadt Basel vor 30 Jahren war anders. Eindeutig. Wenn ich aber in meinem Gedächtnis nach Bildern und Räumen suche, welche die damalige Zeit charakterisieren, dann kann ich mich nicht auf Anhieb auf ein prägendes Bild festlegen. In meiner Schulzeit spielte natürlich der Barfüsserplatz mit den Telefonkabinen eine Rolle. Da hat man sich getroffen. Und ich kann mich erinnern, dass wir nach durchzechter Nacht oft in der Backstube von Bachmann in der St. Alban-Vorstadt Schoggiweggli kauften und damit hinunter ans Rheinufer gingen.
Das Rheinufer wurde damals schon genutzt. Weniger stark als heute?
Ich denke schon. In meiner Erinnerung war es ein schattigerer Ort. Überhaupt wurden viele Orte in der Stadt weniger stark genutzt und weniger mit Veranstaltungen bespielt. Das städtische Leben hat damals weniger in der Öffentlichkeit stattgefunden als heute. Und es war stärker an Institutionen und Traditionen wie etwa die Fasnacht gebunden. Räumlich konzentrierte es sich zudem stärker auf die historische Innenstadt. Ab den späten 1980er-Jahren trat dann mit den Zwischennutzungen Alte Stadtgärtnerei, Stücki und DB-, später NT-Areal eine geografische Öffnung und Ausdehnung ein.
Das Leben in der Stadt war in Ihrer Jugendzeit weniger vielfältig, oder?
Sagen wir es so: Im Zeitalter vor Mobiltelefonen und sozialen Medien waren klare Bezugspunkte in Raum und Zeit viel wichtiger als heute. Das prägte auch das städtische Leben – Beispiel Treffpunkt bei den Telefonkabinen am Barfi. Das urbane Leben war weniger dynamisch, weniger schwarmhaft. Es war berechenbarer.
Sie sprechen von der Ausdehnung des Stadtlebens. Uns scheint aber, dass der Dreiland-Gedanke weniger wichtig ist als vor 15 Jahren.
Ob das so ist, kann ich nicht wirklich beurteilen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass sich mit der Globalisierung die Ausrichtung der Menschen auf die unmittelbare grenzüberschreitende Lebenswelt zurückbildet. Für mich klar ist: Die Präsenz der Expats in Basel und die Rolle ihrer Arbeitgeber bestimmt die Identitätsdebatte derzeit viel stärker als die unmittelbare Grenzlage der Stadt am Rhein. Basel ist um einiges internationaler geworden. Ich höre öfter Englisch und Hochdeutsch als früher. Man könnte die Situation mit Genf vergleichen, das als UNO-Sitz im Lauf des 20. Jahrhunderts immer internationaler wurde, sich aber gleichzeitig vom Umland abkapselte. In jüngster Vergangenheit ist dort allerdings, etwa mit dem Bau der S-Bahn über die Landesgrenze, eine Gegenbewegung feststellbar.
In Basel überschreiten wir täglich die Landesgrenzen. Und doch finden wir uns auf der anderen Seite in einer anderen Welt wieder.
Stimmt. Wenn Sie auf dem Rheinuferweg an der Novartis vorbei nach Huningue spazieren, dann realisieren Sie, dass Sie sich nicht am Rand der Stadt Basel, sondern am äussersten Rand des zentralistischen Frankreichs befinden. Diese Disparitäten versprühen zwar einigen Charme, stellen aber ein Hindernis für ein organisches Zusammenwachsen der Stadt dar. Man muss aber auch sehen: In vielen Grossstädten der Welt sind solche disruptiven Übergänge viel ausgeprägter, etwa zwischen wohlhabenden und armen Vierteln. Und das ohne administrative Grenzen.
Die Schweizer Städte, so auch Basel, verändern ihr Gesicht derzeit stark. Das ruft Ängste hervor.
Veränderung heisst immer auch Zerstörung. Das macht Angst. Besonders, wenn es einem gut geht. Deshalb ist der öffentliche Diskurs in der Schweiz wohl auch besonders konservativ, sorgfältig-abwägend: Wir reden immer darüber, Neues in ein ausgewogenes Verhältnis zum Alten zu setzen. Doch so behutsam die Rhetorik, so rabiat wird dann teilweise abgerissen. Ich rede hier natürlich nicht von innenstädtischen Monumenten sondern von Wohnungsbauten in der Agglomeration. An vielen Orten wird im grossen Stil und ohne zu zögern Bausubstanz aus den 50er- bis 80er-Jahren abgerissen. Die Gebäude aus dieser Zeit haben ein schlechtes Image, weil die Wohnungseinheiten eher klein konzipiert sind und energetisch heutigen Standards nicht genügen. Wir müssen uns aber fragen, ob diese radikale Erneuerung ökologisch und kulturell immer nachhaltig ist. Wir Schweizer sind jedenfalls gut darin, selbst vehemente Veränderungen so darzustellen, als fänden diese kaum statt. Der Roche-Turm als klar sichtbares Zeichen der Erneuerung ist demgegenüber geradezu unschweizerisch.
Apropos: Haben Sie Verständnis, dass Roche mit ihrem baulichen Erbe radikal aufräumen und etwa das erste Hochhaus, den Bau 52 von Roland Rohn, abreissen will?
Mit der Formulierung, Roche wolle radikal aufräumen, bin ich nicht ganz einverstanden. Bei Roche ist das Bewusstsein für Geschichte und Architektur sehr hoch. Roche hat sich eine Formensprache und den Geist einer eleganten technischen Moderne auf die Fahne geschrieben und verfügt über eine Corporate Architecture. Es gibt auch in den neuen Gebäuden optische und gestalterische Reminiszenzen an die Gebäude der ehemaligen Roche-Architekten Rohn und Salvisberg. Ja, es findet kein Heimatschutz im Sinne des Gebäudeschutzes statt. Es findet aber Heimatschutz statt, indem hier am Standort Basel investiert wird in die Erneuerung.
Das heisst: Industriedenkmäler lassen sich in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität kaum erhalten.
Genau. Wenn ein Industriebetrieb pleitegeht, dann ist der einzig gute Nebeneffekt, dass seine Bauten überleben. Prosperiert die lokale Wirtschaft, so ist der Abbruch womöglich der Preis, den wir für die Prosperität bezahlen. Wir haben von der Angst vor zu starken Veränderungen geredet. Vielleicht werden wir mal wieder von der Angst reden, dass sich in der Stadt nichts verändert.
Im Klybeck sollen riesige Industrie-Areale umgenutzt werden. Auch hier ist der Umbau nicht Folge eines wirtschaftlichen Niedergangs.
Die Transformation des Klybeck-Areals bietet ein für Basel einzigartiges Potenzial. Erstmals in der Geschichte dieser Stadt bauen industrielle Betriebe Areale zurück und geben diese frei. Ich könnte mir vorstellen, dass als Konsequenz in Basel vielleicht zunächst eher weniger neue Hochhäuser gebaut werden.
Laut Planung soll im Klybeck ein Teil der industriellen Geschichte erkennbar bleiben. Ist das möglich, ohne dass das Gebiet museal wirkt?
Ich denke schon. Es gibt kein Diktat von Produktionsabläufen und Monokulturen. Der gestalterische Spielraum ist sehr gross. Vorgesehen ist ein gemischt genutztes Quartier. Ein grosser Teil des heutigen Baubestands soll erhalten bleiben, wenn auch bewusst nicht alles. Zwei zunehmend wichtige Themen in der Architektur – Re-Use und Recycling – werden bei der Transformation des Klybeck eine wesentliche Rolle spielen.
Die Ängste vor Gentrifizierung sind gross. Das Klybeck ist eines der wenigen Quartiere Basels, das wohltuend unaufgeräumt wirkt und günstigen Wohnraum bietet.
Die Stadt ist per Definition ein Ort, wo sich unterschiedlichste Menschen versammeln. Die Stadt ist stets in Veränderung. Man ist versucht zu sagen, Zwischennutzungen seien gut – das unterschreibe ich – und Gentrifizierung sei böse. Da bin ich dann nicht mehr so sicher. Zwischennutzungen und Stadtteilaufwertungen sind beides Aspekte ein und derselben dynamischen Entwicklung. Einer Stadt, die keine Gentrifizierungsdebatte führt, geht es schlecht. Die nun angelaufenen Prozesse erzeugen einen gewissen Druck. Da ist die Versuchung gross, den aktuellen Zustand via Politik und Regeln auf alle Zeiten sichern zu wollen. Das sollte man aber auf keinen Fall tun. Stadt bringt Freiheit. Sie braucht aber auch Freiheit.
Auch in der Agglo ist Dynamik spürbar. Auf einer Zugfahrt von Basel nach Olten passiert man mehrere Entwicklungsschwerpunkte: St. Jakob/Hagnau, Pratteln, Liestal. Steckt dahinter eine übergeordnete städteplanerische Idee?
Ich sehe nicht wirklich eine. Es bestehen zwar durchaus Ansätze, auch die Agglomeration koordiniert zu entwickeln, ich denke da an die Birsstadt-Planung oder den Planungsschwerpunkt Salina Raurica. Vielleicht braucht es die eine grosse Idee auch gar nicht. Die grossen Entwicklungslinien der Region Basel sind eigentlich schon von der Landschaft, also von den Tälern, die wie Finger vom Zentrum wegzeigen, vorgegeben. Hier findet die Entwicklung statt. Entlang der Strassen und Eisenbahnlinien, besonders in der Nähe der Bahnhöfe. Der städtebauliche Treiber ist die Verkehrsinfrastruktur. Das war schon immer so. Heute ist es besonders die S-Bahn.
Dabei haben wir im Gegensatz zu Zürich noch keine richtige S-Bahn. Mit dem Herzstück wird man künftig von Sissach ohne Umsteigen in die Innenstadt fahren können. Wie wird das die Region verändern?
Den Bau des Herzstücks kann man nicht hoch genug einschätzen. Die Stadt wird sich massiv verändern. Wenn ich für die Region nur einen Wunsch zugute hätte, dann wäre es das Herzstück. Die globalen Umwälzungen im Detailhandel machen es nötig, dass wir uns Gedanken über unsere historischen Innenstädte machen. Wir müssen diese Orte neu programmieren. Für Basel ist das Herzstück vor diesem Hintergrund eine grosse Chance. Ich könnte mir vorstellen, dass die Innenstadt als Wohnort wieder an Bedeutung gewinnt.
Die raumplanerische Debatte ist stark vom Anspruch nach Verdichtung geprägt. Doch die Frage ist: Ist man in der Agglo und im ländlichen Raum wirklich bereit dazu?
Der Architekt und Publizist Benedikt Loderer hat kürzlich wieder einmal auf einen entscheidenden Punkt aufmerksam gemacht: Das Zubauen von Agrarland war seit dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz der wichtigste Wirtschaftszweig überhaupt. Diese Entwicklung hat viele Menschen reich gemacht. Dass die Zersiedelung gestoppt werden muss, ist mittlerweile mehrheitsfähig und im Raumplanungsgesetz verankert. Unser Büro hat in der Region viele Entwicklungs- und Umnutzungsprojekte begleitet. Es gibt etwa in Laufen oder Zwingen spannende Ansätze für eine Verdichtung in Nähe der Bahn-Infrastruktur. Wenn sich nun aber die Entwicklung auf solche Projekte konzentriert, dann gibt es auch Verlierer – etwa Eigentümer von Bauland an Hanglagen, das ausgezont werden soll. Hier ist die Politik gefordert, mit klugen Entscheiden, denkbar sind Teil-Entschädigungen für Landeigentümer, Verdichtungsprojekte mehrheitsfähig zu machen.
Auch in der Stadt sind die Raumansprüche hoch. Heute beansprucht ein Stadtbewohner doppelt so viel Wohnfläche wie vor 50 Jahren. Sie als Architekten, die bauen wollen, verkörpern diese Ansprüche.
Das ist so. Bauen ist gekoppelt an die Idee von Wachstum. Wir Architekten sind ein Teil davon, entsprechend tragen wir eine Verantwortung. Das kann bedeuten, dass wir uns in Zukunft eher für weniger Neubauten einsetzen als für mehr. Die Idee, ältere Gebäude regelmässig zu ersetzen, ist mittlerweile überholt. Ich glaube an Veränderungen und an die Verbesserung der Gesellschaft durchs Bauen. Aber wir müssen uns mehr als noch vor 30 Jahren fragen, ob es immer richtig ist, neu zu bauen oder ob nicht Umbauen oder auch mal Nichtbauen die visionärere und nachhaltigere Strategie ist. Einfach gesagt: Nachhaltiges und behutsames Wachstum statt Wachstum um jeden Preis.