Kürzlich habe ich auf dem Matthäusmarkt zufällig einen alten Bekannten getroffen. Ah, Vater geworden, sagt er. Du offenbar auch, antworte ich und schaue in den Kinderwagen. Soweit alles klar. Wie alt ist Dein Sohn, frage ich. Und dann kommts: 19 Wochen, antwortet er. Jetzt wird es kompliziert. Ich muss rechnen. Das ist nicht meine Stärke. Aber weil ich die Viererreihe im Griff habe, weiss ich nach ein paar Sekunden: Es fehlt noch eine Woche, dann ist der Bub fünf Monate alt. Was soll das Ganze? Spielt es eine so grosse Rolle, ob der Knirps eine Woche älter oder jünger ist? Ich verstehe, dass niemand sagen möchte, mein Kind ist null Jahre alt. Aber warum so kompliziert?
Das mit dieser Zeitrechnung ist so eine Sache. In ein paar Tagen schreiben wir das Jahr 2020. Beginnt dann ein neues Jahrzehnt? Glaubt man Wikipedia, ist es so. Tatsache ist: Die neuen Golden Twenties fangen erst am 1. Januar 2021 an. Warum eigentlich? Unsere Kultur will es so. Nach dem Jahr 1 vor Christus kam gleich das Jahr 1 nach Christus. Die Null liess man aus.
Lassen wir uns von der christlichen Religion fremdbestimmen? Aus einem Jahr Erfahrung als Schweiz-am-Wochenende-Kolumnist weiss ich: Diesen Satz sollte ich gleich wieder streichen. Sonst bekomme ich eins auf den Deckel. Im September schrieb ich, dass mir die Heileweltgeschichten vom Jesuskind zuwider sind und mich das Gerede des Pfarrers früher langweilte. Zudem plädierte ich für mehr Partys statt Gottesdiensten in den Basler Kirchen. Per Post flatterte umgehend ein Brief ins Haus. «Dir schwebt ein Leben voller Partys und Feste vor? Für dich gibt es nur den Atheismus», schreibt der Absender. Er fühle sich verpflichtet, auf meinen primitiven Artikel zu reagieren. «Was hat Dir die katholische Kirche angetan?», fragt er weiter.
Ich finde: Jeder soll und darf zu seiner Meinung stehen. Wer an Silvester das neue Jahrzehnt einläuten will, soll das tun. Wem es wichtig ist, ob sein Kind 19 oder 20 Wochen alt ist, der soll es auch sagen dürfen. Mit meinem Kritiker habe ich Mitleid. Ich finde es schlimm, wenn man in Konventionen gefangen ist.
Zum Trost bekommt sein Brief einen Ehrenplatz an meiner Wall of Fame im Büro.