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Der Basler Nicolas von der Weid wird Präsident vom neuen Dachverband «Kinderkrebs Schweiz». Der Onkologe weiss, was bei einer Krebsdiagnose ihres Kindes alles auf die Eltern zukommt.
Nicolas von der Weid: Das hängt vom Alter des Patienten ab, denn wir betreuen Kinder und Jugendliche von null bis zu 16 Jahren. In der Regel sprechen wir zuerst mit den Eltern. Bei kleinen Kindern überbringen sie die Diagnose häufig selber. Mit den Jugendlichen diskutieren wir in der Regel direkt. Wir sprechen dabei Klartext. Das mag hart klingen, aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass es längerfristig besser ist. Wissen die Kinder von Anfang an, was sie haben, können sie ihre Fragen unmittelbar stellen.
Nicolas von der Weid ist Präsident des Dachverbandes «Kinderkrebs Schweiz», der am Samstag von sechs Kinderkrebsorganisationen lanciert wird. Der Sitz des Dachverbands ist in Basel. Nicolas von der Weid arbeitet als Abteilungsleiter der Onkologie und Hämatologie am Universitätskinderspital beider Basel (UKBB).
Als erstes wollen sie meistens wissen, wie lange sie im Spital bleiben müssen. Sie realisieren, dass sie die Schule und ihre Freizeitprojekte unterbrechen müssen. Auch die Frage nach dem Überleben ist zentral für unsere Patienten. Diese können wir meistens nicht eindeutig beantworten. Aber wir versuchen, auch gegenüber den Kindern so ehrlich wie möglich zu sein. Es kann durchaus sein, dass wir einem Kind sagen müssen, dass seine Chancen schlecht stehen.
Kinder haben ganz andere Krankheiten als Erwachsene. So erkranken beispielsweise dreissig Prozent der Kinder an Leukämie. Zudem sind bei ihnen die Tumore viel aggressiver als bei Erwachsenen. Deshalb setzen wir fast immer die Chemotherapie ein. Die Chirurgie spielt eine wichtige Rolle bei den Hirn- und Knochentumoren. Wir versuchen, auf die Strahlentherapie so weit wie möglich zu verzichten. Diese kann Spätfolgen wie intellektuelle Verlangsamung, Gedächtnisschwächen und andere Lernschwierigkeiten verursachen.
Omnipräsent ist die grosse Angst, dass das Kind sterben wird. Daneben ergibt sich eine Vielzahl von Alltagsfragen: Wie geht es in der Schule weiter? Wie bewältigen wir die Betreuung innerhalb der Familie? Was sagen wir den Geschwistern? Neben dem erkrankten Kind benötigt auch die Familie Unterstützung. Es ist wichtig, die Geschwister in die Betreuung einzubeziehen – und vor allem wahrzunehmen. In unserem Team arbeiten neben Psychologen oder Lehrpersonen auch Sozialarbeiter. Mit der Diagnose können für die Eltern auch finanzielle Sorgen entstehen. Gerade bei Kleinkindern muss häufig ein Elternteil im Spital bleiben. Je nach Arbeitgeber lässt sich das nicht einfach vereinbaren und kann bis zu einem Jobverlust führen.
Die an der Front wirkenden Organisationen sind sehr aktiv, werden aber von den Politikern und den Behörden zu wenig wahrgenommen. Das hängt auch mit der verhältnismässig geringen Anzahl von Patienten zusammen: Kinder sind viel weniger von Krebs betroffen als Erwachsene. So ist im nationalen Krebsprogramm (NKP) die Kinderonkologie fast nicht eingebunden und die Forschenden erhalten relativ wenig finanzielle Unterstützung. Im Dachverband bündeln und vernetzen wir nun die regional starken Kräfte. Gemeinsam wollen wir spezifische Fragen, die Krebs im Kindesalter betreffen, angehen.
Wir wollen die Bereiche der Selbsthilfe, der Nachsorge und der Forschung stärken. Eltern, zum Teil auch Grosseltern, erbringen eine unglaubliche Leistung in der Pflege und Betreuung ihrer krebskranken Kinder. Grösstenteils sind diese während der Therapie zu Hause. Dieses Engagement muss auch in der Politik erkannt werden. Per Gesetz dürfen die Eltern lediglich drei Tage von ihrer Arbeit freinehmen. Das reicht natürlich nicht. Wir wissen zudem, dass die geheilten Personen häufig an gesundheitlichen und psychosozialen Spätfolgen leiden. So können gewisse Medikamente, die wir für die Heilung einsetzen müssen, später Herzprobleme verursachen. Die Hausärzte sind keine Spezialisten für diese Langzeitprobleme. Es braucht daher eine Anlaufstelle für die ehemaligen Patienten.
Die Forschung hat in den letzten Jahrzehnten riesige Fortschritte gemacht. In der Schweiz und Westeuropa können wir zwischen 80 und 85 Prozent aller krebserkrankten Kinder heilen. Das bedeutet aber auch, dass jede Woche ein Kind an Krebs stirbt. Diese Zahl ist relativ hoch und für uns nicht akzeptabel. Zudem haben wir einen Rückstand in der Entwicklung von neuen Medikamenten. Wir verfügen zwar über verschiedene Präparate, diese wirken aber nicht sehr spezifisch. Sie zielen auch auf gesunde Zellen und sind mit zahlreichen Nebenwirkungen verbunden. Genauere Medikamente, die das gesunde Gewebe schonen, sind Ziele in der Zukunft.
Wir haben uns entschieden, nur Organisationen im Dachverband zu vereinen, die sich exklusiv mit Krebs bei Kindern beschäftigen. Es geht darum, ganz spezifische Arbeit zu leisten – und keine übergeordnete. Wir wollen keine Konkurrenz zur Krebsliga Schweiz aufbauen. Vielmehr suchen wir mit ihr die Zusammenarbeit, damit die Kinderonkologie künftig noch mehr als heute von den Spendengeldern profitiert.
Ja, wir müssen unbedingt den Kontakt mit dem Ausland pflegen. Es gibt in anderen Ländern ähnliche Bestrebungen. Die Ärzte und Forscher stehen bereits im Kontakt. Es gilt, diesen zu erweitern. Auch die geheilten Patienten in der Schweiz sollen den Kontakt mit Betroffenen im Ausland pflegen können. Das ist ein Ziel von ‹Kinderkrebs Schweiz›.