Cartoonmuseum
Brecht Evens: «Ich hatte das Gefühl, ein fertiger Zeichner zu sein»

Das Cartoonmuseum Basel zeigt das umfassende und berauschend bunte Werk des belgischen Ausnahmetalentes.

Hannes Nüsseler
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Brecht Evens macht Wände transparent in «Les Amateurs».

Brecht Evens macht Wände transparent in «Les Amateurs».

Brecht Evens

Brecht Evens scheut keine Farbe, weder in seinen Bildern, noch in seinen Schilderungen. «Als ich Anfang 20 die Kunstschule besuchte, hatte ich das Gefühl, ein fertiger Zeichner zu sein», erzählt der Belgier gelassen, während er durch seine Einzelausstellung «Night Animals» im Cartoonmuseum ­Basel führt. «Party machen war die Hauptsache, das wollte ich in meiner Abschlussarbeit thematisieren.» Ohne Geschichte, aber mit süffigen Anekdoten legte der junge Flame los – und stiess unerwartet auf ein Hindernis. «Ich wusste nicht, wie ich eine grosse Stadt malen sollte.»

In «Les Noceurs» (2010) schlängeln verschiedene Protagonisten durch das urbane Nachtleben, das sich wie ein ­Ornament über die Seiten zieht. Perspektiven verrutschen, Gebäude werden transparent, Personen verschwimmen mit psychedelischen Mustern und materialisieren sich an anderer Stelle neu. Er habe sich an den Grossstadtlandschaften des deutschen Expressionisten George Grosz orientiert, erklärt Evens seine Strategie, den Taumel der Partyszene einzufangen. Mit Erfolg: «Les Noceurs» brachte dem Mittzwanziger den ersten internationalen Erfolg.

Das überwältigende Gefühl der Orientierungslosigkeit wird durch ruhige und fast karge Szenen kontrastiert. «Der Wechsel macht es aus», sagt Evens, der hauptsächlich mit Gouache und Wasserfarbe arbeitet. Auf Konturlinien und Bildkästen, welche die Farbfelder voneinander trennen, verzichtet er. «Keine Linien», mahnt Evens, «so bleibt das Bild lebendig und beweglich.» Statt in Sprechblasen wird in Farbe gesprochen, wenn das Gesagte selbst auch oft ins Graue zielt. «Die Gespräche sind nicht fröhlich», bestätigt Evens. «Ich mag Dialoge, in denen ­etwas verborgen bleibt.» «Les Noceurs» handelt vom Verlorensein im Neonschein.

Die Schattenseiten der Nacht

Als Kontrastprogramm führt Evens «Les Amateurs» zu einer Gruppe von Künstlern aufs Land. «Och, Künstler», lässt er eine Figur in einer Mischung aus Demut und Anmassung widersprechen: «Ich erschaffe Dinge, ich mache sie lebendig. Ich bin ein Schöpfer.» Evens selbst sieht sich nicht als Teil der Kunstwelt und seinen Comic eher als eine Art «Sportfilm», in dem ein Coach sein Team auf Trab bringt. Was ihn allerdings nicht davon abhält, Reverenzen an David Hockney, mittelal­terliche Wandteppiche oder indische Malerei in die Geschichte einzustreuen. «Ich interessiere mich gerade sehr für Giotto», erklärt Evens beiläufig.

Tierisch gute Freunde Bilder aus der Graphic Novel «Panther».

Tierisch gute Freunde Bilder aus der Graphic Novel «Panther».

Brecht Evens

Mit seinem langen Haar und dem spitzbübischen Bärtchen wirkt Brecht Evens selbst malerisch, ein legeres Trainerjäckchen mit grellbuntem Logo betont das Image eines Bohémien. «Aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen», verrät Museumsleiterin Anette Gehrig, «er arbeitet ständig.» Und zwar bevorzugt nachts, wenn es still ist und das Dunkel seine Schattenseiten offenbart. «Als ich jünger war, habe ich meine damalige Freundin erschreckt, indem ich verschiedene Rollen annahm», erzählt der Maler. Eine dieser Charaktere war «Panther», den Evens für seinen gleichnamigen Comic adaptierte.

Eine falsche Wand für echte Graffiti

Darin kümmert sich ein gestaltwandelndes Ungeheuer um ein emotional vernachlässigtes Mädchen, wobei sich Fürsorge und Übergriffigkeit kaum voneinander unterscheiden lassen. «Ich habe die Geschichte nicht für Kinder geschrieben», sagt Evens, obwohl einige Grossmütter und Tanten das Buch wahrscheinlich gekauft hätten. «Nicht dass das meine Hoffnung war», grinst Evens. Er denke sich keine Geschichen aus, um malen zu können, «ich versuche einfach, die Bilder so gut hinzubekommen, wie ich kann». Und das gelingt ihm unheimlich gut: Nach «Panther» sieht man tierisch gute Freunde wie in «Calvin und Hobbes» mit anderen Augen.

Seit 2013 lebt der Belgier fest in Paris. «Das Leben dort ist teuer», erzählt Evens, weshalb er auch immer wieder Illustrationsjobs für Zeitungen, Magazine und die Modebranche ­annehme. «Schnelles Geld», kommentiert der Zeichner, «ausserdem ist es ein entspannender Ausgleich.» Auf einem Stockwerk der Ausstellung sind Plattencover zu ­sehen, skurrile Motive für Stoffdrucke und Plakate. Auch Entwürfe für Wandgemälde sind ­dabei, in die Evens zum Beispiel das Motiv einer Mauer integriert, «damit die Leute weiter taggen können». Leider sei die Stadtreinigung zu gründlich und entferne die Graffiti von der gemalten Wand. «Regeln halt», sagt er mit einem Schulterzucken.

Gerade deshalb lotet der Belgier ihre Grenzen gerne aus. In «Idulfania», einer beim Christoph Merian Verlag erschienenen Sammlung von ­Comic- Strips, spielt er beispielsweise mit den Konventionen der Fantasy – naheliegend für einen, der seine Sommer mit «Dungeons & Dragons» in schlecht gelüfteten Zimmern verbrachte, wie Evens einräumt. Auf einem der Strips möchte ein ­Fakir seinen magischen Teppich umtauschen. Weshalb? «Ich will einen roten.» Welche ­Farben Brecht Evens auch verwendet, er bringt sie zum Fliegen.

Brecht Evens. Night Animals
Cartoonmuseum Basel,
bis 31. Januar 2021.