Gastkommentar
Brückenbauer und Mauerbauer

Gastkommentar über Grenzen, die trennen – die man aber überwinden kann. Roger Blum ist gebürtiger Baselbieter und war Publizistikprofessor an der Uni Bern. Seit April 2016 ist er Ombudsmann für die SRG Deutschschweiz.

Roger Blum
Roger Blum
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Das für und wieder von Grenzen beschreibt Roger Blum in seinem Gastkommentar.

Das für und wieder von Grenzen beschreibt Roger Blum in seinem Gastkommentar.

Keystone

Mein Grossvater war Stadtgeometer in Basel. Er vermass die Verbreiterung der Wettsteinbrücke, den Neubau der Dreirosenbrücke und den Neubau der Schwarzwaldbrücke.

Er war ein Brückenbauer.

Man stelle sich vor, der Rhein in Basel wäre Grenzfluss und auf der anderen Seite wäre Feindesland. Diese Rolle spielte der Rhein 1939–1945 beispielsweise zwischen Birsfelden und Glattfelden, als sich Wehrmacht und Schweizer Armee gegenüberstanden. Flüsse sind natürliche Grenzen, sie scheiden Zugehörigkeiten, Kulturen, Religionen.

So trennt die Oder Deutschland und Polen, die Donau scheidet Rumänien und Bulgarien, der Rhein grenzt Österreich und die Schweiz ab, und Grenzflüsse sind auch der Jordan zwischen Israel/Palästina und Jordanien, der Amur zwischen Russland und China, der Mekong zwischen Laos und Thailand, der Paraná zwischen Brasilien und Paraguay. Alle diese Flüsse können aber überquert werden; es gibt Brücken und Fähren. Sie zeigen zwar Trennlinien auf, sind jedoch nicht unüberwindbar.

Grenzen sind nötig, um zu markieren, wer rechtlich und politisch wohin gehört. Die Elsässer erhalten ihre nationalen Gesetze aus Paris, die Südbadener bekommen sie aus Berlin, die Basler und Baselbieter empfangen sie aus Bern. Aber die Mentalitäten, die Volksbräuche, die Sprachen diesseits und jenseits der Landesgrenzen in der Regio basiliensis sind verwandter als die zwischen Badenern und Hamburgern, zwischen Elsässern und Bretonen oder zwischen Baslern und Oberwallisern.

Allerdings werden Grenzen auch immer wieder künstlich zu Sperrriegeln ausgebaut. Die frühere Mauer quer durch Berlin, der 38. Breitengrad in Korea, die grüne Linie in Nikosia, die Mauer zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten – sie sind Symbole der Angst und der Abschottung. Sie trennten und trennen, was eigentlich zusammengehört. Jetzt soll nach dem Willen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump ein weiterer Sperrriegel dazukommen: die Mauer zwischen den USA und Mexiko.

Im herzegowinischen Mostar war es die Stari Most, die alte Brücke, die über Jahrhunderte den muslimisch-bosnischen und den katholisch-kroatischen Teil der Stadt verband. 1993 stürzte sie unter Artilleriefeuer ein. 2004 war sie neu errichtet. Doch die Brücke als Konstruktion ist das eine. Es braucht politische Brückenbauer, die wieder zusammenführen, was eigentlich zusammengehört.

Im politischen Prozess geht es immer wieder darum, Angst und Abschottung zu überwinden, Brücken zu bauen und Vertrauen herzustellen. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges brachte Europa eine ganze Anzahl grossartiger Brückenbauer hervor, etwa Robert Schuman, Jean Monnet, Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Alcide de Gasperi, Paul-Henri Spaak, Willy Brandt, Edward Heath, Jacques Delors, François Mitterrand, Helmut Kohl, Michail Gorbatschow, Hans-Dietrich Genscher, Romano Prodi, Angela Merkel. Diese Brückenbauer haben alte Kriegsbeile begraben, Hass überwunden, Angst und Abschottung abgebaut und Grenzen geöffnet.

Heute besucht die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den amerikanischen Präsidenten Donald Trump in Washington. Eine Brückenbauerin trifft auf einen Mauerbauer.