Vor neun Jahren starb der berühmte Basler Grasmaler Bruno Gasser. Jetzt ist ein Buch über seine Werke in Privatbesitz erschienen.
Gras ist geduldig. Es wird verregnet, von der Sonne versengt, auf Sportplätzen zertrampelt oder kurz und klein gemäht – und wächst trotzdem weiter. Bruno Gasser hat Gras gemalt, und das mit einer Ausdauer, die der Widerständigkeit seines Motivs in nichts nachstand. «Trotz Ausbleiben musealer Würdigungen ging Bruno unbeirrt seinen Weg», schreibt der Fotograf Martin P. Bühler im Vorwort zum Bildband «Bruno Gasser. Private View – Werke in privaten Sammlungen». Das Buch ist diesen Herbst nach einigen Anlaufschwierigkeiten und neun Jahre nach dem Tod des Künstlers beim Zürcher Verlag Scheidegger und Spiess erschienen.
Es sei kein Werkverzeichnis im herkömmlichen Sinn, führt der langjährige Freund aus, sondern ein Kunstbuch, das Gassers Werke bei den jeweiligen Besitzerinnen und Besitzern zu Hause dokumentiert: ohne Menschen, dafür mit intimen Einblicken in deren Behausungen. Da hängen Bilder über Betten, Sideboards, Sitzgarnituren und Nippesfiguren. Sie finden sich aber auch in Büros, Treppenhäusern und Hobbykellern, neben Wasserspendern und Topfpflanzen. Gras wächst überall.
Seit Ende der Sechzigerjahre arbeitete sich der 1947 in Winterthur geborene und 2010 in Basel verstorbene Maler unermüdlich an seinem Thema ab. Nachdem er zunächst eine Ausbildung zum Bühnenbildner durchlaufen hatte, studierte Gasser von 1968 bis 1970 an der Malfachklasse der Schule für Gestaltung in Basel. Zur gleichen Zeit bezog er ein Atelier in der Ateliergenossenschaft Kaserne, wo ihn 1986 ein Gymnasiast namens Iwan Wirth besuchte.
Der Präsident und Mitgründer der Galerie Hauser & Wirth erinnert sich im Buch, wie er Gasser bekniete, ihm als angehenden Galeristen zu seiner ersten Ausstellung zu verhelfen. «Dass er damals als einziger der kontaktierten Künstler meinen Anruf entgegengenommen und mich auf Augenhöhe empfangen hat, war der grosse Wendepunkt in meinem Leben.» Gasser sagte zu, mit der Auflage, dass Wirt zur Ausstellung ein Buch veröffentlichen muss. Der Titel: «Gras im Kopf».
Gras. Immer wieder, überall. «Das ist keine Kunst!», erinnert sich Fotograf Martin P. Bühler an die Aussage eines Künstlerkollegen: Das habe ihn getroffen und stutzig gemacht. Was ist also dran an den Pinselstrichen, die Gasser exakt zwischen Abstraktion und Realismus setzte, um beide miteinander auszusöhnen? Woher die Begeisterung für das Farbenspiel mit der Vielfalt in der Gleichförmigkeit?
Wer die Zeugnisse der persönlichen Begegnungen mit dem Künstler liest, die Anekdoten um den Erwerb der einzelnen Werke, erkennt darin ebenfalls ein Muster, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Bei allem Abwechslungsreichtum der Interieurs gleichen sich die Vorlieben und Erinnerungen der Privatbesitzer. Auf 260 Seiten nimmt so die Faszination Form an, welche Bruno Gassers Werk bis heute ausübt.
«Ich kann leider nichts zu ihm erzählen, ich habe ihn nie getroffen, leider!», heisst es oft bedauernd. Und diejenigen, denen es vergönnt gewesen war, Gasser kennen gelernt zu haben, betonen den Esprit des Künstlers, der das Leben zu feiern wusste und vorzugsweise mit dem Rennrad das Elsass erkundete, wo er auch ein altes Bauernhaus besass. «Bruno war ein geselliger Mensch, Wohlbefinden war für ihn Erfüllung», schreibt ein Sammler.
Häufig stellen die Wortmeldungen die Sinnhaftigkeit von Kunst grundsätzlich in Frage, nur um Gassers Arbeiten umso heller strahlen zu lassen. «Als Nicht-Kunstkenner war ich zunächst sehr skeptisch, was die Grasbilder von Bruno Gasser anbelangte», berichtet ein Sammler aus Therwil. Zwei Besuche im Atelier des nahbaren Künstlers überzeugten ihn vom Gegenteil: «Ich geniesse sein vierteiliges Grasbild, das bei mir im Büro hängt und das ich jeden Tag bestaunen darf.»
Am meisten Erwähnung aber finden die Freude und die Dankbarkeit für dieses malerische Kraut gegen den elitären Kunstverdruss. Welche Wirkung der unvoreingenommene Blick auf Gassers Gemälde haben kann, veranschaulicht die Anekdote eines Basler Sammlerpaares: Nachdem der Maler ein Bild in ihrer Wohnung installiert hatte, kam der fünfjährige Sohn dazu. «Als er das Gemälde sah, erstarrte er und rief: ‹Wooooow, ist das aber ein cooles Bild!› Bruno strahlte wie ein Weihnachtsengel.»
Und das ist das Geschenk, das Bruno Gasser seinem Publikum macht – eine Anspruchslosigkeit, die beglückt, eben weil sie keine Ansprüche stellt. Seine Grasbilder sind Wimmelbilder einer störrischen, selbstvergessenen Vitalität, die noch dem schärfsten Frost trotzt. «Aufsteller» eben, wie es in «Private View» heisst.
Gasser schätzte Bücher, um sich mit Kunst zu umgeben. «Da Bruno Bücher immer wichtig waren, war es mir ein Bedürfnis, dieses Buch herauszubringen», schreibt seine Witwe Regula Gasser. Ihr Mann hat die Veröffentlichung seines Buches nicht mehr erlebt.
«Alles Fleisch ist wie Gras», heisst es in der Bibel. In Bruno Gassers Bildern wächst das Gras immer noch weiter.
Bruno Gasser. Private View – Werke in privaten Sammlungen. Scheidegger & Spiess 2019. 296 S.