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Am Donnerstag entscheidet der Kanton darüber, ob ein Kind in Basel schulreif ist – künftig sollen Erziehungsberechtigte mitreden.
Rund 1'800 Kinder beginnen im Kanton Basel-Stadt jährlich mit dem Kindergarten. Mit der eidgenössischen Schulharmonisierung ist das Stichdatum um drei Monate verschoben worden: Die Jüngsten erleben ihren ersten Chindsgi-Tag kurz nach dem vierten Geburtstag.
Für so manche Eltern und Kinder kommt dieser Tag zu früh. Aber sie können nichts dagegen tun. Die Schulleitung entscheidet, ob ihr Kind reif für den Kindergarten ist oder nicht. Zwar können die Eltern einen Antrag stellen, dass ihr Kind später eingeschult wird – die Abklärungen und Empfehlungen trifft dann aber der Kinder- und Jugenddienst.
Dagegen wehrt sich CVP-Grossrat Oswald Inglin. In einer von mehreren Mitte-Politikern unterzeichneten Motion fordert er den «hürdenfreien, flexiblen Eintritt in den Kindergarten». In seinem Vorstoss stellt sich der Präsident der grossrätlichen Bildungskommission auf den Standpunkt, dass die «Eltern die Verantwortung für das Wohlergehen der Kinder haben» – demnach sollten sie auch entscheiden, ob ihr Kind termingerecht eingeschult werden soll oder nicht.
Sukkurs bekommt Inglin von der Elternlobby Schweiz, die vom Baselbieter Sekundarlehrer Fredi Jaberg präsidiert wird. Jaberg ist der Meinung, dass bei Eltern viel zu oft die Entscheidkompetenz in Frage gestellt würde. «In der Schweiz gibt es die Tendenz, dass die Eltern für unfähig erklärt werden», sagt er. Dabei kannten sie ihre Kinder seit Jahren – eine Fachkraft treffe das Kind ein, zwei Mal und entscheide gleich darüber, ob es schulreif sei oder nicht. «Das geht doch nicht an», meint er.
Als der Vorstoss gestern im Grossen Rat diskutiert wurde, waren indes nicht nur die Mündigkeit der Eltern ein Thema, sondern auch die Finanzen. Der zuständige Erziehungsdirektor Conradin Cramer (LDP) verwies auf andere Kantone, in denen die Eltern bestimmen, ob ihre Kinder schulreif sind. «Im Kanton Aargau sind es beispielsweise 25 Prozent der Eltern, die ihre Kinder später einschulen lassen», meinte Cramer.
Weil die Kinder, die rückgestellt werden, subventionierte Tagesstrukturen und Förderprogramme besuchen, entstehen Kosten von etwas über zweieinhalb Millionen Franken. Der Präsident der Elternlobby Schweiz kann dieses Argumentarium nicht nachvollziehen.
«Dass die Kinder so früh eingeschult werden, führt ja gerade dazu, dass sie so viele Sonderangebote brauchen», sagt Jaberg. Kinder, die «völlig normal» seien, müssten heute Spezialunterricht besuchen und würden dadurch in ihrem Selbstbewusstsein beeinträchtigt, weil sie das Gefühl hätten, nicht zu genügen. Und das zehnte Jahr, das viele zur Überbrückung ins Berufsleben oder in die weiterführende Schule in Anspruch nehmen würden, sei ebenfalls kostspielig.
Darüber, welche Konsequenzen eine selbstbestimmte Einschulung haben könnte, war sich an der gestrigen Ratsdebatte auch Cramer offenbar nicht im Klaren. Er verwies darauf, dass im vergangenen Jahr kantonsweit lediglich 75 Anträge gestellt worden seien. 67 seien bewilligt, 7 zurückgezogen und nur einer abgelehnt. «Man muss sich die Relationen vor Augen führen», meinte er – um kurz darauf vor den Zuständen in den Kantonen zu warnen, in denen die Eltern das Sagen hätten.
Cramer war allerdings bereit, den als Motion eingereichten Vorstoss als Anzug entgegenzunehmen – was von linker und rechter Seite des Grossrats unterstützt wurde. Der Erziehungsdirektor hat nun zwei Jahre Zeit, dem Parlament einen Vorschlag zu unterbreiten und den Eltern mehr Mitsprache bei der Einschulung zu gewähren.