Reisetagebuch
Der Dichter als Touristenführer: Johann Peter Hebels Schweizerreise

1805 brachte der Aufklärer Johann Peter Hebel zwei jungen Baronen die demokratische Eidgenossenschaft näher.

Peter Schenk
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Blick von Zürich auf die Alpen von 1804.
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Johann Peter Hebel Dreiländermuseum
Die Reise umfasste in der Schweiz 15 Stationen.
Johann Peter Hebel im Alter von etwa 50 Jahren, 1810.

Blick von Zürich auf die Alpen von 1804.

zvg Dreiländermuseum

Wie viele andere aufgeklärte Europäer bewunderte Johann Peter Hebel die Schweiz als Hort der Demokratie und Freiheit. Als er den Auftrag erhielt, mit den beiden jungen Baronen Christian Ernst und Carl Peter von und zu Mentzingen eine Bildungsreise zu unternehmen, wählte er die Schweiz. Sie war für ihn «ein Seminarium für eine bessere Zeit der Nationen.»

Mentzingen liegt nördlich von Karlsruhe und die Barone, 15 und 16 Jahre alt, sollten danach in den Militärdienst eintreten. Sie überlebten beide den Russlandfeldzug von 1812 in Napoleons «Grande Armée». Die Reise begann am 22. August in Karlsruhe und dauerte bis zum 22. September 1805 (siehe Karte).

Zum Auftrag Hebels gehörte es, ein Reisetagebuch zu führen. Das Original, die Reisekostenabrechnung und Hebels Brieftasche sind derzeit in einer kleinen Ausstellung im Lörracher Dreiländermuseum zu sehen, die in Zusammenarbeit mit dem Lörracher Hebelbund entstand. 15 lange, ausleihbare Fahnen geben einen Überblick über die Reise. Sie begleiten das dazu erschienene 175-seitige reich illustrierte Buch, in dem der Hebelkenner Franz Littmann das vollständig abgedruckte Tagebuch kommentiert und einordnet.

Littmann ist seit 15 Jahren in Karlsruhe an der Erarbeitung einer sechsbändigen Hebel-Werk-Ausgabe beteiligt. Die Strecke der Schweizerreise ist er mit einem Fotografen abgefahren. Zu historischen Stichen und Zeichnungen finden sich im Buch deshalb auch aktuelle Fotos der Originalschauplätze.

Vielseitig begabt

Lörrach spielte für Hebel eine wichtige Rolle

Populär ist er in Basel, weil er die lokale Hymne «Z Basel an mym Rhy» geschrieben hatte: Johann Peter Hebel wurde am 10. Mai 1760 in Basel geboren. Seine Mutter stammte aus Hausen im Wiesental. Weil Hebels Eltern im Sommer als Magd und Offiziersbursche bei der reichen und vornehmen Basler Patrizierfamilie Iselin-Rhyhiner dienen, wird er drei Tage nach seiner Geburt in der reformierten Basler Peterskirche getauft. Im Winter leben und arbeiten seine Eltern in Hausen. Als er ein Jahr alt ist, stirbt der Vater. Nach dem Tod der Mutter 1773 kommt Hebel nach Karlsruhe an das Gymnasium illustre. Von 1778 bis 1780 studiert er lutherische Theologie in Erlangen und ist ab 1780 in Hertingen im Markgräflerland als Vikar tätig. 1783 wird er zum Schulvikar am Pädagogium in Lörrach ernannt, wo sich heute das Dreiländermuseum befindet. Neben Religion unterrichtet er Latein, Geschichte, Geometrie und Deutsch.

In Lörrach hatte er auch seinen Freundeskreis. Ab 1791 macht er Karriere in Karlsruhe, unter anderem als Professor am Gymnasium illustre. Ab 1807 übernimmt er die Redaktion des «Badischen Landkalenders» und steigert die Auflage von 15 000 auf 50 000. 1811 veröffentlicht er eine Auswahl von 127 Kalendergeschichten. Nachdem er hohe Ämter innehatte, stirbt er am 22. September 1826. Hebel ist bekannt als Dichter, Pädagoge, Aufklärer, Theologe und Politiker. (psc)

Quelle: Johann Peter Hebel, Lörracher Hefte 11.

Aufgeklärte Bildungsreise

Ausstellung und Buch wurden letzte Woche bei einer Vernissage im Hebelsaal des Dreiländermuseums eingeweiht. Volker Habermaier, Präsident des Hebelbunds, betonte in seinem Grusswort, dass Hebels Tagebuch in der Tradition der aufgeklärten Bildungsreise stehe. Es seien keine literarisch gestalteten Tagebucheinträge, sondern meist nüchtern Aufzeichnungen über Ort und Landschaften.

Hebel wollte den jungen Baronen die demokratische Schweiz zeigen. Eine derartige Reise war 1805 noch etwas Besonderes. Es gab keine Eisenbahn und man bewegte sich zu Fuss, per Kutsche und teilweise per Schiff vorwärts. Zu laufen, um die Welt zu erfahren und die Natur anzuschauen, war ungewöhnlich. In diesem Sinn war Hebel ein Pionier. Zu Fuss gingen sonst nur Hausierer, Schausteller, Tagelöhner oder Pilger.

In seiner Einführung skizzierte Littmann die für Hebel zentralen Werte Meinungsfreiheit, individuelle Autonomie und Religionsfreiheit. «Die Schweiz war für Hebel das Gegenbild zur Französischen Revolution. Sie wandte sich gegen jede Form von Despotismus.» Littmann verweist auch darauf, dass Hebels Bewunderung der Schweiz «sicherlich idealisiert» gewesen sei.

Erster Höhepunkt Rheinfälle

Schweizer Boden erreicht die Reisegruppe erstmals in Schaffhausen, wo der Besuch des Rheinfalls einer der Höhepunkte der Reise wird. Am 29. August kommt sie nach Zürich. Hebel besucht in der «Dichterhochburg» das Denkmal von Salomon Gesser (1733–1788), der mit der NZZ und Orell Füssli zwei bis heute bekannte Unternehmen gegründet hat. Am Zürchersee imponiert ihm, «wie in den Wirtshäusern die ‹freimüthigsten› Urteile und Meinungen in aller Öffentlichkeit geäussert werden durften».

Beim Besuch von Zug und der hohlen Gasse, wo Tell den Landvogt getötet haben soll, lobt Hebel in seinem Tagebuch: «Wenn einmal in der Geschichte Meuchelmord durch Noth gerechtfertigt und durch seine Folgen zur verdienstlichen That geheiligt werden kann, so ist es dieser.»

Die Reise führt weiter nach Interlaken, wo Hebel vom Unspunnenfest erfuhr, das zwei Wochen vorher ins Leben gerufen worden war. In Lauterbrunnen war 1779 vor ihm auch schon Goethe gewesen. In Thun ist es mit den Fussmärschen erst einmal zu Ende. Nach Bern, in dem Hebel zwei Tage verbringen wird, geht es weiter mit der Kutsche. In Biel lockt der Blick auf die durch Rousseau berühmt gewordene Petersinsel.

Basel hinterliess kaum Spuren

Der zweitägige Besuch in Hebels Geburtsstadt Basel, der letzten Station in der Schweiz, hinterlässt im Tagebuch kaum Spuren. «Vielleicht war er verschnupft, weil seine Alemannischen Gedichte nicht in seiner Geburtsstadt erschienen, sondern in Karlsruhe beim Hofbuchhändler Macklot», mutmasst Littmann.

Lörracher Hefter 26, Schweizerreise – Johann Peter Hebel als Aufklärer, 175 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3-9222107-01-9; Ausstellung Dreiländermuseum, Basler Strasse 143, Lörrach Di–So 11–18 Uhr