Porträt
Der Gartendenker geht: Emanuel Trueb beendet seine Karriere als Gemeinderat

Nach acht Jahren tritt Trueb aus dem Prattler Gemeinderat zurück. Das Amt nahm für ihn ohnehin nur eine Nebenrolle ein, erzählt der Basler Stadtgärtner.

Benjamin Rosch
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Das hat er sich als Rebell bewahrt: Emanuel Trueb muss Chef sein.

Das hat er sich als Rebell bewahrt: Emanuel Trueb muss Chef sein.

Kenneth Nars

Selten erhalten Menschen die Gelegenheit, ihr gesamtes Schaffen auf einen Blick zu überschauen. Emanuel Trueb, 58, hat dieses Glück. Der Basler Stadtgärtner ist ein schlanker Mann mit dünnen Lippen und sanften Gesichtszügen. Mit seinen graumelierten Koteletten und dem feinen Hemd würde er gut in die Bibliothek eines englischen Landhauses passen. Jetzt aber steht Trueb im Erdgeschoss des Baudepartements; vor ihm breitet sich Basel im Massstab 1:1000 aus. Die Türme des Münsters sind höchstens Zahnstocher und selbst ein Kind könnte die mächtigen Roche-Türme spielend von der Bildfläche wischen. Was das Modell so imposant macht, ist seine Gesamtgrösse. 40 Quadratmeter, fast ein kleiner Garten, und gewissermassen ist Basel das auch: der Garten von Emanuel Trueb. Ihn zu pflegen, ist Truebs Aufgabe, und dieser nachzugehen, ist seine spirituelle Erfüllung.

Als Kind teilte sich Emanuel Trueb sein Zimmer mit seinen zwei Brüdern in einem Haus an der Maiengasse. Der Grossvater hatte an dieser Stätte erfolgreich die Gärtnerei Trueb geführt. Mit dem Architekten als Vater erscheint heute der Weg zum Landschaftsarchitekten bereits vorgezeichnet, doch damals deutete wenig auf eine Laufbahn zum Chefbeamten hin. Trueb war nicht nur ein schlechter Schüler, er war ein regelrechter Rebell. So sehr lehnte sich Trueb gegen die Lehrer auf, dass ihn seine Eltern nach Engelberg ins Internat steckten. Was andere als Verbannung erlebten, kam für Emanuel Trueb einer Befreiung gleich. Unter den Benediktinermönchen der Stiftsschule fand Trueb Lehrer, auf die er bis heute grosse Stücke hält. Jedes Jahr verbringt Trueb die Woche vor Ostern im Kloster. «Dann bin ich einfach mal weg», sagt er. Die Bestimmtheit in seiner Stimme verrät, dass schon viel geschehen müsste, damit Trueb auf diese Woche in Zurückgezogenheit verzichtet.

Radikaler Planer, pointierter Kritiker

Wir fahren in einem kleinen Familienauto von der St.-Alban-­Anlage zu den Gewächshäusern der Stadtgärtnerei. Trueb begrüsst alle Mitarbeiter freundlich, erklärt jede Abteilung und jede Maschine. Für diesen Porträttermin hat er sich eine Tour d’Horizon ausgedacht und den Besuch des Journalisten den Mitarbeitern angekündigt. Er hat sogar einen Steckbrief über sich vorgefasst. Darauf steht etwa bref: «verheiratet, vier erwachsene Kinder, zwei Enkelkinder, schweizerisch-portugiesischer Doppelbürger» sowie eine detaillierte Auflistung seiner Zuständigkeiten als Stadtgärtner. Emanuel Trueb ist Basels neunter Stadtgärtner, seit der Kanton diese Stelle vor über hundert Jahren geschaffen hat. 1860 brach die Stadt aus ihren Mauern aus und dem obersten Gärtner fiel es zu, die Wehrbefestigungen in Grünanlagen zu verwandeln. Seither verschoben sich die Ansichten zur Stadtgestaltung immer wieder. Der Trend heute geht dahin, die ursprünglichere Natur wieder ins Zentrum zu lotsen. Die grossen Transformationsareale geben Trueb den nötigen Raum dazu. Die Erlenmatt lässt vorausahnen, was auch dem Klybeck-Areal blühen könnte. Von Ideen wie Obstbäumen zur Selbstbedienung hält er wenig. «Das sind Wunschträume einzelner Leute, eine zu einfache Vorstellung», sagt er. Mit einer ähnlichen Begründung lehnt er auch den Erhalt der Tribüne auf dem Landhof ab. «Dieses Areal ist unternutzt und eine Tribüne macht hier auch keinen Sinn mehr. Sie weist nur noch in die Vergangenheit.» Trueb hat klare Vorstellungen von der Stadt, und für einen Chefbeamten äussert er diese auch pointiert. Im Gespräch kritisiert er mehrere kantonale Projekte als halbgar, auch aus der jüngeren Vergangenheit: den Max-Kämpf-Platz, den Bankverein, die Wiese-Renaturierung und die Umgestaltung des Rheinbords.

rueb würde diese Orte radikaler aus Sicht der Natur denken. «Mir gefällt die asiatische Gartenkunst. Es sieht zufällig aus, aber jeder Stein sitzt aus einem bestimmten Grund an seinem Ort.» Trueb interessiert sich sehr für verschiedene Ansätze der Gartenkultur – denn das ist sie für Trueb, mehr Kunst denn Handwerk. Er führte sogar einst den Weltverband der Stadtgärtner als Präsident.

Ein Jäger gerät unter Beschuss

Wir sind auf dem Friedhof Hörnli angelangt. Hier begann Emanuel Trueb seine Karriere beim Staat. Er hatte sich 1992 auf den Posten als Leiter Friedhofamt beworben – da war er 32 Jahre alt. «Ich wollte meinen Marktwert testen», sagt Trueb. Einfacher Angestellter war er nie. Im Kloster hatte er zum Gartenbau gefunden, der bei den Benediktinern eine wichtige Rolle einnimmt. Er hatte ein eigenes Unternehmen gegründet und stand an einem Scheideweg: Expandieren oder verkaufen. Trueb entschied sich für Letzteres und übernahm das Hörnli. Es ist eine der Konstanten im Leben von Emanuel Trueb: Immer läuft er vorne, immer gibt er den Takt an. Selbst in der Clique ist er der Tambourmajor. Macht interessiere ihn nicht, sagt er. Aber einen anderen Chef als sich selbst duldet er schlecht.

«Sehen Sie sich um. Es ist einfach grossartig», sagt er über die riesige Grabanlage schweifend. Unterwegs begegnen wir einer Mitarbeiterin. «So, sieht man Dich auch wieder einmal hier», begegnet sie ihm forsch.

«Es stimmt, ich bin wenig hier», sagt Trueb.

«Sehr wenig sogar», legt die Mitarbeiterin nach.

«Jaja, stimmt. Wobei jetzt während Corona war ich häufiger im Krematorium.»

«Um zu helfen?»

«Um helfen zu schauen», sagt Trueb trocken.

1994, nur zwei Jahre nach seinem Eintritt in den Staatsdienst, fusionierte die Stadt das Friedhofswesen mit der Stadtgärtnerei. Trueb übernahm den Bereich, der heute 250 Mitarbeitende zählt. Gut möglich, dass ihm sein Engagement in der Armee zugutekam. Viele wichtige Menschen lernte Trueb dort kennen. Darunter auch den damaligen Baudirektor Christoph Stutz. Erst vor wenigen Jahren ist Trueb aus der Armee ausgetreten. Am Ende bekleidete er den Rang eines Majors.

Aktuell steht Trueb unter Beschuss. Er will die Rehe auf dem Friedhof abschiessen lassen, Tierschützer laufen dagegen Sturm. Trueb überrascht das nicht. Er hat schon oft die Erfahrung gemacht, dass die Gestaltung der Natur ein emotionales Feld ist. «Man muss sich bewusst sein: Wo der Mensch in die Natur eingreift, schafft er auch Konflikte», sagt er mehrdeutig. Trueb ist Jäger. Selber das Gewehr anlegen würde er aber nicht. «Tiere in einem eingezäunten Park zu erlegen – das ist eine Aufgabe, die nichts mit Jagd zu tun hat», sagt er. Wie gerufen erscheinen zwei Rehböcke mitten auf der Strasse. Scheu sind sie nicht. Trueb weiss: Würden Schnecken die Grabpflanzen fressen, würde sich die Öffentlichkeit kaum um Gegenmassnahmen scheren.

Trueb macht keinen Unterschied zwischen den Lebewesen, nicht einmal Pflanzen. Der Grund dafür liegt in seiner Erziehung: «Ich achte mich darauf, hinter jedem Objekt auch ein Subjekt zu erkennen.» Es ist ein tiefreligiöser Akt: In der Gestaltung der Umgebung begegnet Trueb dem Schöpfer, er greift ein und lässt geschehen.

Es erstaunt nicht, dass Pratteln die letzte Station an diesem Donnerstagmorgen bedeutet, obwohl sie eigentlich als Ausgangspunkt für dieses Porträt hätte dienen sollen: Hier amtet Emanuel Trueb seit acht Jahren als Gemeinderat, fast schon isoliert als CVPler ohne Fraktion im Parlament. Im Juni hört er auf. Als Exekutivpolitiker wird Trueb keine grossen Spuren hinterlassen. Um eine durchaus mögliche steilere Politkarriere hat er sich foutiert. Sein Ressort, Gesundheit, Soziales und Alter, verwaltete er mehr mit buchhalterischem Fleiss denn politischem Eifer. Doch neben seinem Beruf nahm die Politik nur eine kleine Rolle ein, das wird nicht zuletzt an diesem Donnerstag deutlich. Man kann es Trueb nicht verübeln. Nur wenige Menschen erhalten zur Verwirklichung eine ganze Stadt.