Lara ist Pflegeexpertin APN in der schönen Ostschweiz und steht am Bett eines Patienten mit Covid-19. Er ist alt, angeschlagen, aussichtslos. Lara fragt ihn, wen sie informieren solle. Er nennt eine Bekannte, Hedwig. Die Handynummer kennt er nicht. Und Verwandte? Der Patient schüttelt den Kopf. Dann überlegt er. Und murmelt: «Es ist kompliziert».
Lara kennt’s. Konflikte, Kontaktabbrüche, lange her, und jetzt will er noch Geld verschenken. Letzte Ausfahrt vor der Erbmasse. Hedwigs Nummer findet Lara im Internet. Sie wählt, nimmt ihrem Patienten die Sauerstoffmaske vom Gesicht und hält ihm den Hörer ans Ohr. Hedwig nimmt ab. Nein, sie kann nicht kommen, Quarantäne. «Herrgott», schnappt der Alte, «wenn man einmal Hilfe braucht, ist niemand da, und ich liege hier in der Todeszelle!» Er bittet Hedwig, in seiner Wohnung einige Dokumente zu holen und an den Spitaleingang zu bringen. Super, denkt Lara, ein Nottestament wollte er keins machen, aber jetzt noch eine Schenkung, und dabei ist er nicht mal mehr in der Lage, das Formular für seine Behandlung zu unterschreiben. Zwei Stunden später hat Lara Feierabend. Vier Stunden später stirbt der Patient. Fünf Stunden später kommt Hedwig. Ohne Dokumente. Dafür mit Covid-19. Sie kriegt ein Quarantänezimmer. Am nächsten Tag steht eine Tochter da. Vom Tod des Vaters hat sie «über Umwege» erfahren.
Lara seufzt. Es müsste sich doch herumgesprochen haben, dass die durchschnittliche menschliche Sterblichkeit bei faszinierend genau hundert Prozent liegt. Da könnte man sich doch vorbereiten, bevor man Sauerstoff braucht. Leben aufräumen, Patientenverfügung aufsetzen, Friedenspfeifen schmauchen, selbst wenn die Sippe aus Ekelpaketen besteht. Vielleicht ist man selber ja auch eins. Doch nach der Friedenspfeife lebt und stirbt man leichter. Und ein Testament zu formulieren kann vergnüglich sein. Man stellt sich seine eigene Beerdigung vor und liegt endlich mal im Mittelpunkt. Lieber zu spät als nie.
Mein Testament ist längst geschrieben. Es ist so lang wie die Erbmasse gross, also kurz. Der Lebenslauf soll schonungslos und witzig sein. Und als Soundtrack für die Abdankung bitte «ich brauch’ Tapetenwechsel» von Hildegard Knef.