Olympische Spiele
Der zehnte Basler in Rio

Abseits des Scheinwerferlichts reist noch ein weiterer Basler an die Olympischen Spiele nach Brasilien. Claudio Rosso ist aber nicht Athlet, sondern fungiert als einer von vier Schweizer Ärzten, die die Athleten in Rio betreuen.

Céline Feller
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Mit 37 Jahren wird der Traum der Olympischen Spiele für Claudio Rosso endlich wahr.

Mit 37 Jahren wird der Traum der Olympischen Spiele für Claudio Rosso endlich wahr.

Martin Töngi

Er war Vize-Welt und Vize–Europameister sowie mehrfacher Schweizer Meister im Karate sowie Vize-Juniorenmeister im Rudern. Aber: An den Olympischen Spielen war Claudio Rosso noch nie. Bis jetzt. Am 10. August bricht er auf und reist nach Rio. «Die Olympischen Spiele waren immer ein Traum von mir», sagt er, als wir ihn in seiner Arztpraxis treffen. Denn Rosso reist nicht als Athlet nach Brasilien, sondern als Arzt. Als einer von vier aus der Schweiz, die am Grossanlass vom Organisationskomitee aus im Einsatz stehen werden. «Als Athlet hätte ich es ziemlich sicher nicht geschafft. Karate war nie olympisch und das Leichtgewicht, das ich gerudert habe, auch nicht.»

Ohnehin wollte Rosso nie ganz auf die Karte Profi-Sport setzen. «Ich war auf dem Sprung, Profi-Karateka werden zu können.» Weil es in diesem Sport aber schwer sei, Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen, entschied Rosso sich dagegen. «Karate ist von der Zeit her ähnlich limitiert wie der Fussball, nur verdient man nicht wie im Fussball. Dann wäre ich mit 37 oder 40 da gestanden und hätte mich fragen müssen: Und jetzt?»

Aber so weit kam es nicht. Eine Verletzung, die er sich in seinem letzten Wettkampf im Jahr 2010 zugezogen hatte, verstand er als Zeichen, seine Sportler-Karriere zu beenden. So setzte der heute 37-Jährige fortan auf seine andere Karriere: jener als Arzt. Dem Sport ist er aber treu geblieben, ist heute Orthopäde mit Spezialisierung auf Ellenbogen und Schultern. «Ich wollte immer mit Sportlern zu tun haben. Dafür ist die Orthopädie das Beste. Und dann habe ich 2013 den damals erstmals durchgeführten IOC-Sportmedizinerkurs besucht.» Es war der Anfang seines grossen Olympia-Abenteuers. Denn nach Abschluss des 400-Stunden-dauernden Kurses wurde Rosso gefragt, ob er das Gelernte gleich auch an Olympischen Spielen nutzen möchte. Nachdem er das Assessment, welches alle Freiwilligen durchlaufen müssen, absolviert und bestanden hatte, bekam er im Februar diesen Jahres den Bescheid, dass er als Field-of-Play-Doctor in Rio dabei sein dürfe.

Nicht der Superstars wegen

Während elf Tagen wird der gebürtige Deutsch-Italiener, der seit seinem sechsten Lebensjahr in der Schweiz lebt und auch Schweizer ist, Leichtathleten aus aller Welt betreuen. «Ich habe Leichtathletik als Priorität angegeben, weil mich Leichtathletik schon immer fasziniert hat. Was diese Sportler leisten, ist phänomenal.» Dank einer Kollegin, die bereits 2012 als Field-of-Play-Doctor im Einsatz gestanden hatte, weiss Rosso auch ziemlich genau, was auf ihn zukommen wird: in Schichten von acht Stunden wird er in Viererteams im Einsatz und für die Erstversorgung der Athleten zuständig sein. Während er erklärt, wie sein Tagesablauf aussehen werde, kramt er sein Handy hervor, sucht die Bilder, die seine Kollegin ihm geschickt hat, und zeigt eines, bei dem sie gleich neben Sprint-Superstar Usain Bolt steht. «Ich gehe aber nicht, um Unterschriften zu sammeln. Das wäre den Sportlern gegenüber unprofessionell.»

Faszination Tradition

Während der Dauer seines Einsatzes in Rio muss Rosso seine Praxis nahe der Merian-Iselin-Klinik schliessen. Ein Entscheid, der, wie er sagt, andere Ärzte vielleicht auch davon abhält, sich um eine Teilnahme an den Spielen zu bemühen. «Das wollen nicht alle. Man muss beispielsweise auch den Flug und die Unterkunft selber bezahlen. Die Spiele leben von der Motivation der Leute.» Motiviert haben Rosso bei seinem Entscheid nicht nur die Höchstleistungen, die er vor Ort zu Gesicht bekommen wird, sondern die Hintergründe der Olympischen Spiele. «Ich war einmal in der Stadt Olympia. Die ganze Geschichte der Spiele fasziniert mich. Wenn man schon nur bedenkt, dass während den alten Spielen vor Christus alle Kriege stoppen mussten», sagt er nachdenklich.

In diesem Jahr drehen sich die Probleme aber nicht ausschliesslich um die wütenden Kriege, die heutzutage während der Spiele nicht mehr unterbrochen werden. Seit Monaten dominieren das Zika-Virus und Doping-Skandale die Schlagzeilen. Aufgrund des Virus wurde gar eine Verschiebung des Anlasses in Erwägung gezogen. Rosso aber sagt: «Ich sehe keine Notwendigkeit, die Spiele wegen des Zika-Virus zu verschieben. Es muss jeder für sich selber entscheiden, ob er gehen will oder nicht. Ich lasse mich davon aber nicht abschrecken.»

Hoffen auf Einsatzlosigkeit

Man müsse sich aber damit auseinandersetzen und sich adäquat darauf vorbereiten – genauso wie auf die ungeliebte Doping-Thematik. «Man muss die Athleten immer wieder daran erinnern, dass Doping mit Risiken verbunden ist. Es ist nicht nur verboten, sondern auch schlecht für den Körper.»

Aber gross über Doping reden will Rosso nicht. Er wird wortkarger, wenn es um die verbotenen Substanzen geht. Viel lieber blickt er auf das grosse Abenteuer voraus, das für ihn in fünf Tagen beginnen wird. Ein Abenteuer, bei dem er hofft, dass er nicht zu einem medizinischen Einsatz kommt. «Nicht, weil ich bequem bin, sondern, weil das bedeutet, dass die Athleten gesund bleiben.»

Alle Sportstätten, alle Schweizer – eine interaktive Reise durch Rio

Die Anleitung zur Karte finden Sie hier.