Tanzlehrerin
Die Ballerina im Rollstuhl: «Mein Beruf hat mich gerettet»

Galina Gladkovea beherrscht das Ballet – auch vom Rollstuhl aus. Die einstige Solistin am Theater Basel tanzt mit Worten und Händen.

Tamara Funck
Drucken
«Ich wollte nicht noch ein Jahr so rumsitzen»: Galina Gladkova in ihrer Tanzschule «Basel Dance Academy».
9 Bilder
Galina Gladkovea

«Ich wollte nicht noch ein Jahr so rumsitzen»: Galina Gladkova in ihrer Tanzschule «Basel Dance Academy».

Juri Junkov

Ein ungewöhnlicher Anblick: Inmitten all der Kinder in ihren hübschen Ballettkleidchen, Tanzschuhen und Tutus ist Galina Gladkova. Eine schöne Frau mittleren Alters in einem Rollstuhl. Die Kinder treten näher an sie heran, denn ihre Stimme ist leise und sanft. «Noch einmal», sagt sie zum Schluss und startet die Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski.

Gladkova ist eine Ballettlehrerin, die selber nicht mehr auftreten kann. Die einstige Berufstänzerin ist seit fast 25 Jahren querschnittsgelähmt. «In meinem früheren Leben war Ballett meine Passion», sagt die Kanadierin mit russischen Wurzeln. Als junge Tänzerin wurde sie von Ballettdirektor Heinz Spoeri nach Basel eingeladen und tanzte viele Jahre beim Theater Basel als Solistin.

«Die goldene Nuss»

Die 50 Tänzerinnen und Tänzer der «Basel Dance Academy», von fünf bis 18 Jahre alt, stehen zusammen auf der Bühne des Théâtre La Coupole in St. Louis, Frankreich.

Freitag, 13.12 und Samstag 14.12. um 19 Uhr; Sonntag, 15.12. um 17 Uhr

https://www.baseldance.com/lindtext

Später war sie auch beim Luzerner Ballett und beim Schweizer Kammerballett unter Vertrag, bis sie unter der Direktion von Youri Vamos nach Basel zurückkehrte. Ein tragischer Reitunfall beendete 1995 ihre Tanzkarriere. «Ich erinnere mich noch genau, wie ich 1994 auf der Bühne stand», sagt Gladkova. Im Stück «Der Nussknacker» tanzte sie während der Weihnachtstage im Theater Basel.

Eine Adaption eben dieses Stückes studiert Gladkova seit November mit 50 Kindern und Jugendlichen ein. «Die goldene Nuss» heisst das Ballettstück. Gladkova habe den «Nussknacker» so gekürzt, dass sogar Babys durchhielten, lacht sie.

Es dauerte lange Zeit, bis Gladkova ihrer Leidenschaft, dem Tanzen, einen neuen Sinn geben konnte. In den ersten Tagen nach dem Unfall und der Operation ging Gladkova durch die Hölle. Sie kämpfte ums Überleben. «Ballett war das Letzte, woran ich dachte», erinnert sie sich. Jahre später fing sie an, über die Tanzlager zu grübeln, die sie als Kind während des Sommers besucht hatte. Gab es so etwas auch in Europa? Oder kennt man das nur in Kanada, wo sie ihre Kindheit verbrachte? Die Idee war geboren.

Das Adrenalin ist immer noch da

Bald fand das erste Ballett-Ferienlager in Frankreich statt, wo sie mit ihrem Mann ein Ferienhaus besass. «Ich wollte nicht noch ein Jahr so rumsitzen», sagt Gladkova rückblickend. Sie sah ihre Rolle als Organisatorin und war glücklich, ehemalige Tanzkollegen für ihr Projekt gewinnen zu können. Erst als überraschend eine Tanzlehrerin ausfiel, entdeckte Gladkova eine weitere Berufung und Leidenschaft für sich: das Ausbilden von jungen Tänzerinnen und Tänzern. Sie vermisse die Bühne, doch das Adrenalin erlebe sie so noch immer, einfach auf eine andere Art und Weise.

Sie könne sich ihr jetziges Leben nicht mehr vorstellen ohne das Unterrichten, ohne den Tanz. «Mein Beruf hat mich gerettet», sagt sie.

Ein kleines Mädchen im Ballettkleidchen steht neben ihr und hört zu. Die Tanzlehrerin dreht sich zu ihr: «Hast du eine Frage?» Das Mädchen sagt schüchtern, sie wolle bei diesem Teil des Stücks auch tanzen. Gladkova lacht herzlich. «Gut. Schau den anderen zu und lerne es», sagt sie und bereitet die Kinder für den nächsten Probedurchgang vor.

Der Erfolg ihrer Tanzschule «Basel Dance Academy», die sie 2006 gründete, macht deutlich: Galina Gladkova braucht keine funktionierenden Beine, um eine herausragende Tanzlehrerin zu sein. 50 Kinder und Jugendliche besuchen ihren Unterricht, die meisten mehrmals wöchentlich.

Einige reisen sogar aus Delémont und Zürich an. Ausserdem schenkt ihr auch das Erziehungsdepartement Basel-Stadt viel Anerkennung: Als einzige Tanzschule der Nordwestschweiz bietet «Basel Dance Academy» die Möglichkeit, eine professionelle Tanzkarriere und einen Maturabschluss zu verfolgen. Das ermöglicht eine Partnerschaft mit dem Gymnasium Bäumlihof, das den Jugendlichen bis zu 24 Stunden Tanz pro Woche zuspricht.

Der siebenjährige Oscar bewegt sich durch das Tanzstudio. Gladkova tanzt mit, mit Händen und Worten. Ihre Fingerspitzen wirbeln durch die Luft, seine Kinderfüsse trippeln über den Boden. «Wenn die Kinder wissen, wie ich unterrichte, bekommen sie das schnell hin. Es ist erstaunlich», sagt Gladkova. Das ist es tatsächlich: ein einzigartiges Zusammenspiel.