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Drogen gibt es seit teilweise Tausenden von Jahren, doch es entwickeln sich auch immer wieder neue Formen der Sucht. Um auch diesen begegnen zu können, braucht es innovative Therapiekonzepte.
Seit der Auflösung der offenen Drogenszenen und der Ausrichtung der schweizerischen Drogenpolitik auf das Viersäulen-Modell in den 90er-Jahren hat sich die öffentliche Wahrnehmung von Sucht verändert. Die Zeiten, in denen Heroin spritzende Junkies zum Stadtbild gehörten, sind vorbei. Deshalb anzunehmen, dass auch die Zahl der suchtbetroffenen Menschen zurückgegangen sei, ist jedoch trügerisch. Drei Faktoren tragen dazu bei, dass Sucht heute weniger sichtbar ist als noch vor zwanzig Jahren:
Durch den Ausbau von ambulanten und stationären Angeboten können Suchtbetroffene an Substitutions- oder Heroinprogrammen teilnehmen, die auch therapeutische Begleitung vorsehen. So stieg der Anteil derjenigen Menschen, die trotz Opioidabhängigkeit einen festen Wohnsitz und eine Tagestruktur haben.
Die Art der konsumierten Substanzen veränderte sich. Die Zahl der heroinabhängigen Menschen ging zurück. Zugenommen haben gemäss Erfahrungswerten aus der Praxis der multiple Substanz- und der Kokainkonsum.
Die Verhaltenssüchte nehmen zu. Sie sind jedoch in vielerlei Hinsicht schwieriger zu erkennen als Drogensucht. Verhaltenssüchtige treiben «normale» Tätigkeiten wie das Surfen im Internet, Sex oder Shopping bis zum Exzess.
Die Herausforderung im Bereich Suchtpolitik besteht darin, das Angebot laufend dem sich wandelnden Umfeld anzupassen, sagt Eveline Bohnenblust, Leiterin der Abteilung Sucht Basel-Stadt: «Verhaltenssüchte wie die Kauf-, Spiel- oder Sexsucht sind heute für die Fachstellen eine Herausforderung. Hier spielen die neuen Medien und die damit verbundene Möglichkeit des 24-Stunden-Konsums eine grosse Rolle. Vermehrte Sensibilisierungskampagnen zum Thema Verhaltenssüchte haben zu einer erhöhten Nachfrage in der Beratung geführt. Es wird in Zukunft breitere Angebote für eine sehr heterogene Zielgruppe brauchen.»
Diesen neuen Problemen könne man nur begegnen, indem man vermehrt zusammenarbeite: «Um diesen Veränderungen zu begegnen, sollte es mehr Schnittstellen mit anderen Bereichen geben; zum Beispiel im Themenbereich ‹Migration und Sucht› oder bei ‹Sucht am Arbeitsplatz›.» Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung nehme die Bedeutung der Schadensminderungsangebote zu. «Wir sehen, dass immer mehr Leute aus dem sozialen und gesellschaftlichen Kontext fallen.»
Die Therapieeinrichtungen haben sich den neuen Anforderungen angepasst. Die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) bieten seit einigen Jahren Therapien für Verhaltenssüchte an: konkret für Spiel-, Internet-, Sex- und Kaufsucht. Verhaltenssüchte sind auf vielen Ebenen mit einer Drogensucht vergleichbar, unter anderem in der Wirkung und im Suchtmechanismus.
Auch die finanziellen und sozialen Folgen sind beträchtlich. Ein anderes Phänomen ist die zunehmende Abhängigkeit von hoch konzentriertem Cannabis. Zurzeit befinden sich auf dem Chratten in Oberbeinwil, einer der ältesten Suchtinstitutionen der Region, drei starke Kiffer in Therapie. Dazu der Leiter Eric Vuille: «Der THC-Gehalt von Cannabis ist seit den 80er-Jahren um ein Mehrfaches gestiegen. Vor dreissig Jahren lag die Konzentration noch bei vier bis fünf Prozent. Heute – durch Indooranbau und zunehmende Spezialisierung der Produzenten – erreicht Cannabis einen THC-Gehalt von 25 bis 35 Prozent. Das ist keine ‹leichte› Droge mehr. Das Abhängigkeitspotenzial ist gestiegen, und Jugendliche, die früh Cannabis konsumieren, zeigen innert kurzer Zeit starke Symptome in der Konzentrationsfähigkeit und Arbeitsleistung.»
Zunehmende Verhaltenssüchte, veränderte Substanzen, neue Drogen: Der Bedarf an suchtspezialisierten Einrichtungen bleibt auch bei einem sich wandelndem Umfeld bestehen. Dabei sind jedoch neue Zugänge gefragt. Eine wichtige Rolle spielen interdisziplinäre Arbeitsgruppen, die auf aktuelle Veränderungen reagieren und neue Ideen entwickeln können. Auf diese Weise entstand 2008 die Idee für die Werkstatt Jobshop.
Anhand der Diskussionsresultate innerhalb der Arbeitsgruppe wurde klar, dass es in Basel einen Bedarf an niederschwelligen Beschäftigungsmöglichkeiten gab. Denn ohne sinnvolle Aufgabe fehlte vielen suchtbetroffenen Menschen die Motivation, an ihrem Leben etwas zu ändern. 2009 öffnete der Jobshop seine Türen und hat bis heute grossen Erfolg. Täglich besuchen 30 bis 40 Menschen den Jobshop, um einfache Arbeiten zu erledigen; ohne Formalitäten, Arbeitsvertrag oder Verpflichtung.
Einer von ihnen ist der 58-jährige Markus, ein ehemaliger Junkie, der heute in einem Methadonprogramm ist: «Bis vor zwei Jahren war ich obdachlos. Ich lebte während zehn Jahren in einem Schlafsack mit nichts anderem als den Kleidern, die ich anhatte. Ich war ein Dauergast im Tageshaus für Obdachlose, bis mich plötzlich mal jemand fragte, ob ich im Jobshop mithelfen möchte. Es gab eine grössere Menge an Batterien zu verpacken. Seither bin ich fast täglich hier. Die Arbeit gibt mir einen Rhythmus. Mittlerweile habe ich auch dank der Wohnhilfe wieder einen festen Wohnsitz». Mit dem Jobshop leistete Basel-Stadt einmal mehr Pionierarbeit im Umgang mit Sucht. Das Konzept ist schweizweit einzigartig, da auch Menschen, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen, tragbar sind.
Sie gehört zu den wesentlichen Errungenschaften der vergangenen Jahre: Die Loslösung vom Konzept der Abstinenzorientiertheit. Nicht die Konsumfreiheit ist heute das oberste Ziel in der Therapie, sondern Lebensqualität und ein selbstbestimmter Umgang mit psychoaktiven Substanzen – wenn sinnvoll, im Rahmen eines Substitutionsprogramms. Eine Suchtbetroffene erzählt:
«Es ist eine grosse Erleichterung, mich nicht verstellen und meine Situation nicht besser darstellen zu müssen, als sie ist, nur um meinen Therapieplatz nicht zu verlieren.» Nur wenn die Bezugsperson über den tatsächlichen Suchtgrad Bescheid weiss, kann sie helfen, wirksame Schritte und Strategien zu erarbeiten.
Die Bereitstellung von Substitutionsangeboten war ein wesentlicher Schritt in Richtung eines repressionsfreien Umgangs mit Drogen, doch er hoffe auf eine baldige Erweiterung der Selbstbestimmungskompetenz, etwa im Blick auf Cannabis, sagt Professor Hans-Peter Schreiber. Er ist Mitbegründer der Stiftung Sucht und war über 43 Jahre lang ihr Präsident, langjähriges Mitglied der eidgenössischen Kommission für Drogenfragen und setzte sich in diesen Funktionen seit vielen Jahren für einen offenen Diskurs ein: «Wir müssen anerkennen, dass Menschen zu allen Zeiten psychoaktive Substanzen konsumiert haben und auch in Zukunft konsumieren werden. Trotz ihrer potenziell gesundheitsschädigenden Wirkung sind diese vielfach auch Genussmittel. Daher muss man sich sowohl von der Illusion einer Gesellschaft ohne Drogen als auch vom drogenpolitischen Dogma einer umfassenden Drogenprohibition als Allheilmittel zur Bekämpfung der Suchtproblematik endgültig verabschieden.»
Erforderlich sei ein Präventionskonzept, das Jugendliche und Erwachsene dazu befähigt, die Risiken, denen sie sich durch den Konsum aller psychoaktiver Substanzen (Alkohol, Amphetamine, Cannabinoide, Halluzinogene, Kokain, Medikamente mit einer psychoaktiver Wirkung, Opiate und Tabak) aussetzen, richtig einzuschätzen. «Um dies zu erreichen, ist eine gesellschaftliche und politische Haltung erforderlich, die einen offenen Diskurs über Nutzen und Schaden des Konsums psychoaktiver Substanzen für alle Interessierten möglich macht», sagt Hans-Peter Schreiber. Denn die Erfahrung von den 60er-Jahren bis heute zeigt: Repression allein zeigt im Bereich Sucht wenig Wirkung.