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Am 8. Februar öffnet die einst grösste Publikumsmesse der Schweiz letztmals ihre Pforten. Die Muba hat das moderne Messewesen des Landes begründet und geprägt. Doch heute kann sie das Kaufverhalten immer weniger bedienen und ist mehr Symbol denn Publikumsmagnet.
Die grenzüberschreitende Krise im Messewesen der Gegenwart hat das Ende gleich mehrerer Publikumsmessen der Schweiz besiegelt: der Züspa in Zürich, der Comptoir in Lausanne und der muba in Basel. So bedauerlich diese Entwicklung für viele sein mag, gilt es daran zu erinnern, dass Krisen zum Messegeschäft gehören wie Aussteller und Besucher.
Bereits bei der Gründung der ersten modernen Messe, der Schweizer Mustermesse, war die Not Geburtshelferin. Mitten im Ersten Weltkrieg wollte der Leiter der Basler Gewerbeschule und des Gewerbemuseums, der Belgier Jules de Praetere, dem unter dem Krieg darbenden Gewerbe und der leidenden Industrie zu neuen Absatzmöglichkeiten verhelfen.
Die Basler Regierung griff die Idee mit viel Elan auf und lancierte im April 1917 die erste Mustermesse, die mit 800 Ausstellern und 300'000 Besuchern alle Erwartungen übertraf. Mit dem Besuch des Bundespräsidenten in der Person von Edmund Schulthess, dem Tessin als Gastkanton und einem Pressetag gelang es den Veranstaltern, das Grau des Kriegsalltags zu durchbrechen und Traditionen zu erfinden, die zum Markenzeichen werden sollten. Kaum hatte sich die Schweizer Mustermesse etabliert, brannten 1923 alle Messehallen bis auf eine nieder.
Die Messeverantwortlichen nutzten die Gelegenheit, um mit zukunftweisenden Bauten die Phase der Provisorien hinter sich zu lassen. Getragen wurden die Vorhaben nicht zuletzt von der Bevölkerung und der Regierung, denn das Unternehmen war über drei Jahrzehnte defizitär.
Doch der Nutzen für die nationale Wirtschaft sowie die Ausstrahlung überragten die finanziellen Bedenken bei weitem. Dennoch war dies keine Selbstverständlichkeit, denn die Mustermesse blieb nach dem fulminanten Start vorerst einem Fachpublikum vorbehalten und setzte auf Wunsch der Aussteller und gegen den Willen der Regierung strikt auf einen nationalen Markt. Nur an den Wochenenden war die Messe für das breite Publikum geöffnet.
Dies änderte sich erst während des Zweiten Weltkriegs, als fremde Märkte verschlossen blieben, das Interesse an der Swissness nochmals stark zunahm und die Mustermesse zu einer jährlich wiederkehrenden «Landi» avancierte. Krisen begleiten die Messe auch zu späteren Zeiten, etwa während der Sars-Epidemie 2003 oder Ende der 1980er Jahre. Der Messeplatz im Kleinbasel galt damals als veraltet und nur noch bedingt konkurrenzfähig. So wurde ein trinationales Projekt erarbeitet, das den Wegzug aus Kleinbasel besiegelt hätte.
Die internationale Lage mit dem Ende des Eisernen Vorhangs und der Schaffung eines europäischen Binnenmarkts beflügelte diese Idee. Doch die finanziellen und politischen Hürden waren schliesslich zu hoch. Dank grossen Investitionen blieb die Messe in der Stadt, wovon in der Folge besonders die Baselworld und Art Basel sowie die gesamte Region profitierten.
Ihre grösste Blüte erlebte die Muba nach dem Zweiten Weltkrieg, als es die Messe schaffte, zu einem nationalen Begegnungsort für alle zu werden. Mit dem anhaltenden Schwung der Hochkonjunktur wandelte sich die Messe bis in die 1970er Jahre von einer Leistungsschau von Industrie und Technik zu einer Konsumgütermesse.
Jahr für Jahr pilgerten mehr Schweizerinnen und Schweizer nach Basel, sodass während der 50. Mustermesse 1966 erstmals über eine Million Besucher gezählt wurden. Angelockt wurden sie von den neusten Produkten wie einer Waschmaschine oder einem Farbfernseher, die während der elf Tage dauernden Messe zu günstigen Konditionen zu erstehen waren. Das Gewähren von Rabatten war damals noch streng geregelt und nur an wenigen Tagen im Jahr möglich. Die Messe bot eine der seltenen Gelegenheiten für ein Schnäppchen.
So schlenderten die Eltern durch die Hallen, verhandelten mit Ausstellern und schlossen Verträge ab oder sie wohnten der Produktion von Radio- und Fernsehsendungen bei. Währenddessen vergnügten sich die Kinder im Nestlé-Kindergarten beim Schaukeln und auf Klettergerüsten. Im Angebot für die Kleinen standen auch weisse Papierhüte, Puppenwagen, Dreiräder und Tretautos. Das Erlebnismarketing steckte zwar noch in den Kinderschuhen doch der andauernde Erfolg gab nicht nur Nestlé recht. Häufig stand für die Kinder am Nachmittag auch ein Besuch im Basler Zolli auf dem Programm, wo sie von Tante und Onkel begleitet der Gorilladame Goma zuschauten.
Für die Erwachsenen hingegen gehörte der abschliessende Besuch in der Degustation zum Programm. Der ohrenbetäubende Lärm in den rauchschwangeren, überfüllten Hallen besass einen Charme, der mit heutigen Gepflogenheiten des Zeitvertreibs nur noch schwer zu vereinen ist. Mit müden Füssen, einer Tüte voller Prospekte und einigen Kaufabschlüssen machte man sich schliesslich auf den Heimweg, wissend im darauffolgenden Frühjahr wieder an die Muba nach Basel zu kommen.
Mit dem anhaltenden Erfolg während der Hochkonjunktur stiess die Muba auch an Grenzen. Zahlreiche Aussteller verlangten mehr Platz, unterschiedliche Branchen wiederum wünschten sich ein fachkundigeres Publikum mit ausländischen Besuchern und Ausstellern. Doch die Öffnung für Aussteller aus dem Ausland stiess bei einem Grossteil der Branchenvertreter auf erheblichen Widerstand. Sie befürchteten unliebsame Konkurrenz.
Mitte der Siebziger Jahre setzte die Messeleitung internationalen Übereinkommen folgend die Öffnung durch, was eine rasante Dynamisierung der Messe bewirkte und zur Herauslösung der heutigen Uhren- und Schmuckmesse, der heutigen Baselworld, der Swissbau sowie weiterer Spezialmessen aus der Mustermesse führte.
Zugleich vollzog sich ein Wandel von der Einheitsmesse zu Fachmessen und Kongressen mit einem eigenen Zentrum. Neue Veranstalter richteten Fachmessen samt wissenschaftlichen Kongressen aus. Zu den ersten gehörten Holz, Pro Aqua – pro vita und andere mehr. Eine der bedeutendsten Fachmessen ist die 1970 von Kunstinteressierten gegründete Art Basel, die mittlerweile als wichtigste Kunstmesse weltweit gilt.
Bestand der Messekalender über Jahrzehnte nur aus der Mustermesse im Frühjahr, war die Muba nun eine unter Dutzenden von Messen, die vom Mutterhaus MCH-Group an verschiedenen Standorten durchgeführt werden. Hinzu kamen laufend weitere kulturelle und politische Veranstaltungen wie das OSZE-Treffen von 2014.
Im Jahr 2000 griff die Muba diese Entwicklung des Aderlasses offensiv auf und warb mit dem Slogan «Besuchen Sie die Mutter aller Messen». Das Motto war mit einer Aufnahme des bekannten Modefotografen Richard Avedon verknüpft und zeigte eine nackte Schwangere, was in Öffentlichkeit und Politik teilweise heftige Reaktionen hervorrief.
Im Kanton Solothurn wurde der Aushang des Plakates gar verboten. Zwar provozierte der Slogan, aber die Muba schaffte dennoch keinen «sexy» Turnaround mehr. Von der Grande Dame der Schweizer Messen konnte dies wohl auch nicht erwartet werden. Zu dieser Erkenntnis sind auch die Messeverantwortlichen gelangt. Sie verabschieden die Muba in Würde, wohl wissend, was die Bevölkerung und die Wirtschaft ihr zu verdanken haben.
Alle Besucherinnen und Besucher sind mit einem Gratiseintritt zur Dernière geladen. Bleibt nur zu wünschen, dass es die Verantwortlichen wieder schaffen, den Neuanfang als Chance zu nutzen.
*Patrick Kury ist Professor für neuere allgemeine und Schweizer Geschichte an der Universität Luzern und Co-Leiter von Stadt.Geschichte.Basel. Zum 100-jährigen Bestehen der Muba 2016 hat er zusammen mit Esther Baur das Buch Im Takt der Zeit. Von der Schweizer Mustermesse zur MCH Group herausgegeben.