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«Ich glaube, das ist die komplexeste Show, die wir jemals gemacht haben», sagte Direktor Josef Helfenstein an der Pressekonferenz zu einem weisshaarigen Herrn, der neben ihm stand. William Kentridge, 64 Jahre alt, Gang und Gestik eines Alfred Hitchcock, nickte zustimmend.
Diese Ausstellung bietet zum ersten Mal in Europa eine umfassende Übersicht seiner Arbeiten, von den frühen 1980er Jahren bis hin zu seinem neusten performativen Werk: eine riesige Rauminstallation im obersten Stock des Kunstmuseum Gegenwart. Es ist die Arbeit eines unermüdlichen Künstlers, der scharfe, politische Kommentare in seine Werke packt, die für historisch weniger Bewanderte schwer zu entdecken sind. So lassen sich Josef Helfensteins Worte auch inhaltlich auf die Ausstellung anwenden: «A Poem That Is Not Our Own» ist keine simple Sache.
William Kentridge ist 1955 in Johannesburg geboren. Seine Eltern, beide Rechtsanwälte, beide weiss, vertreten während der Apartheid Angehörige der schwarzen Minderheit in Gerichtsprozessen. William studiert erst Politik und Afrikanistik, danach Kunst und Theater in Johannesburg und Paris. In den 1980ern beginnt er, Animationsfilme zu produzieren, in denen er die sozialen Missstände seines Heimatlandes reflektiert.
Jedes Einzelbild zeichnet er selbst, mit dicken Kohlestiften, Graphit und Pastell. Erzählt werden kleine Geschichten, die sich zu einem grossen Gesellschaftsbild des damaligen Johannesburg zusammenfügen: Von den Goldminen und Industriebrachen der Stadt, von Minenarbeitern, verödetem Land und erschöpftem Boden, aber auch vom Alltag in den reichen Vororten.
Die Bilder stechen dunkel hervor und verändern sich ständig, immer wieder wird ausradiert oder neu zusammengesetzt. Kentridge ist bereits in diesen frühen Werken ein Chronist, aber keiner, wie man ihn aus den Geschichtsbüchern kennt: Statt niederzuschreiben, was er sieht, arbeitet er assoziativer, zufälliger. Wenn er eine Landschaft abzeichnen will, setzt er sich vorher eine Zahl: 6,2 Kilometer zum Beispiel, oder 19,8 Kilometer.
Danach fährt er die Strecke ab und zeichnet am Ziel, was er sieht. So entgeht er einer vorbehafteten Geschichtsschreibung seines Landes und den problematischen Fragen, die sie auslöst: Das Südafrika in den Geschichtsbüchern ist klassifiziert, europazentristisch, weiss. Wie gelingt eine Chronik, die be- und nicht zuschreibt?
Nebst der Zeichnungs- und Collagearbeit seiner Animationsfilme arbeitete Kentridge immer wieder als Bühnengestalter für Theaterproduktionen. Im ersten Stock des Museums sind grossflächige Bühnenprospekte zu sehen, die er 1986 für das Stück «Sophiatown» malte. Ein Stück, das die wahre Geschichte der schwarzen Bewohner des Johannesburger Stadtteils Sophiatown erzählt, die zugunsten eines weissen Vororts zwangsumgesiedelt wurden. Die Prospekte sind auf einfaches, braunes Packpapier gemalt und «lagen jahrelang in einer Garage herum, bis ich sie per Zufall wieder aufstöberte.»
Sie sind nicht die einzigen Requisiten, die in der Ausstellung zu sehen sind. Grosse, schwarze Kartonfiguren und Holzschnitte kommen dazu, die in seinen Filmen zu gespenstischen Schattenfiguren werden. Oftmals getragen von Performern in unheimlichen Prozessionen, die an die gewaltsame Fortschrittsgeschichte erinnern – den Übergang von der Apartheid zur Demokratie aber in gewissem Sinne auch parodieren.
Denn bei aller politischen Schwere: Kentridge ist ein sehr humorvoller Künstler. Ihn fasziniert das Absurde, es ist für ihn «der einzige Weg, uns unsere Welt zu erklären.» Die Welt der Apartheid und ihrer Nachwehen sei ein höchst absurdes Universum gewesen, in dem Dinge geschahen, die jenseits jeglicher Logik waren. Also reflektierte er diese absurde Welt mit eigenen Absurditäten. Einem zylinderförmigen Spiegel etwa, den er auf einem runden Tisch platzierte und eine kreisförmige, sich drehende Animation darauf projizierte.
Die Art und Weise wie diese Arbeit entstand, ist bezeichnend für die Arbeit dieses Künstlers und die Komplexität, die sie ausmacht: Jedes Bild der Animation musste er in mühseliger Arbeit verzerrt zeichnen, damit es erst im Spiegel seine «richtige Form» finden kann. «Was wir im Spiegel sehen, empfinden wir als real», sagt er, «das Original aber ist unbegreiflich.»
A Poem That Is Not Our Own, Kunstmuseum/Gegenwart, bis 13. Oktober 2019. Vernissage: 7. Juni, 18:30-21h.