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Er übernimmt ein schweres Amt: Nach allen Turbulenzen am Historischen Museum mit seinem früheren Direktor Marc Fehlmann soll der Ökonom Marc Zehntner das Haus wieder in ruhige Fahrwasser bringen. In seinem ersten Interview sagt er der bz, wie er das tun will.
Herr Zehntner, Sie sind nun etwas über 100 Tage interimistischer Direktor des Historischen Museums. In welchem Zustand haben Sie das Haus nach der tumultartigen Ära Ihres Vorgängers Marc Fehlmann und dem Streit mit seinem Personal angetroffen?
Ich war positiv überrascht. Wir haben motivierte Mitarbeiter, eine wunderbare Sammlung und sind eingebettet in den öffentlichen Diskurs dieser Stadt. Das ist eine gute Basis.
...und wohl nur die Hälfte der Wahrheit. In den vergangenen Jahren sind tiefe Risse innerhalb der Belegschaft und zwischen Belegschaft und Direktor bekannt geworden. Die sind doch nicht über Nacht verschwunden!
Nein, natürlich sind diese Risse nicht aus der Welt, nur weil ich neuer Direktor bin. Es gab Konflikte im Haus und es gibt sie teilweise immer noch. Ich bin unter anderem mit dem Ziel angetreten, sie anzugehen und zu lösen. Als Staatsbetrieb sind wir aber dem geltenden Personalgesetz unterstellt. Das sind andere Voraussetzungen als in der Privatwirtschaft. Dort ist der Umgang mit den Angestellten in aller Regel ein anderer.
Was implizieren Sie mit dieser Aussage? Hätten Sie gern das Prinzip «Hire and Fire» für einen Neuanfang am Historischen Museum?
Nein, natürlich nicht. Aber die Voraussetzungen und Handlungsmöglichkeiten sind andere, dessen müssen wir uns einfach bewusst sein. Für mich ist die entscheidende Frage: Wie geht man als Führungsperson mit den Menschen um? Seit meinem Amtsantritt habe ich rund mit rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einstündige Gespräche geführt, 30 liegen noch vor mir. So mache ich mich ein möglichst detailliertes Bild von der aktuellen Situation. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern, aber ich muss sie verstehen, um die richtigen Entscheide zu fällen.
Können Sie Ihre Aufgabe, das Haus wieder in ruhigere Gewässer zu bringen, überhaupt ohne harte Personalschnitte erreichen?
Das wird sich zeigen. Ich schliesse harte Entscheide jedenfalls nicht aus.
Bis vor wenigen Wochen kannten Sie das «Innere» des Museums auch nur vom Hörensagen oder aus Zeitungsberichten. Hat sich Ihr damaliges Bild nun verfestigt oder sind sie zum Schluss gekommen, dass es verzerrt wiedergegeben wurde?
Ja, ich glaube die Öffentlichkeit hat ein verzerrtes Bild.
Inwiefern?
Nehmen wir zum Beispiel den konkreten Fall des «Basler Dybli», das – wie viele andere Teile unserer Bestände – nicht mehr auffindbar gewesen sein soll. Das stimmt nach meinem heutigen Kenntnisstand nicht. Die allermeisten der rund 305'000 Objekte sind auffindbar: Entweder per Archivsuche oder mit Hilfe der bestens informierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Hat Herr Fehlmann also massiv übertrieben?
In der Betriebsanalyse von 2019 wird klar festgehalten, dass wir mit dem jetzigen Personalbestand und der aktuellen Gebäudesituation, insbesondere der Depots, unseren Leistungsauftrag nicht erfüllen können. Das ist ein Notruf, der von Regierung und Parlament gehört wurde. So wurden uns jüngst die 6,6 Millionen Franken für eine fünfjährige Generalinventur bewilligt. Einige unserer insgesamt neun Depots sind aus konservatorischer Hinsicht tatsächlich sehr problematisch.
Ihr Vertrag ist bis Frühling 2023 befristet. Was sind Ihre grossen Projekte für diese doch recht kurze Zeit?
Das grösste Vorhaben ist die erwähnte Generalinventur. Darüber hinaus möchte ich unsere neun Depots auflösen und die Bestände in einem neuen Sammlungszentrum zusammenführen. Es ist mir ein grosses Anliegen, diesen Prozess anzustossen.
Wo könnte dieses Zentrum zu stehen kommen? Auf dem Klybeckareal, wie hie und da schon zu hören war?
Derzeit fokussieren wir uns auf das Dreispitz-Areal.
In einem bestehenden Bau oder einem Neubau?
Wir gehen von einem Neubau aus, aber auch ein bestehender Bau ist nicht ganz auszuschliessen. Was ich aber sagen kann: Wir streben an, die Bestände nicht in einem Bau unterbringen, der vor allem unterirdisch funktioniert. «State of the art» ist heutzutage eher die Unterbringung von Archivmaterialien in oberirdischen Räumlichkeiten.
Also kann sich Basel auf eine Art Schaulager der Geschichte freuen?
Nein, nicht zwingend. Es geht darum, die Sammlungen am besten zu schützen, vor allem vor Feuchtigkeit und Wasser, und da kommt man derzeit vom Konzept einer hauptsächlich unterirdischen Lagerung weg.
Werden Sie als Ökonom von den Historikern eigentlich ernst genommen?
Ja, diesen Eindruck habe ich. Zudem benötigt die Führung eines Hauses mit 100 Beschäftigten und einem Budget von rund 12 Millionen Franken durchaus Know-how im Management, was ich sicherlich mitbringe. Wenn es um Abläufe und Strukturen geht, so hat das Historische Museum Luft nach oben.
Ihr Vorgänger hat sich durch ein feines Gespür für zugkräftige Ausstellungsthemen ausgezeichnet. Wie mutig können Sie sein, um so etwas weiterzuführen?
Es ist wichtig und nötig, die unterschiedlichsten Themen aufzugreifen und auch spartenübergreifend zu denken, also Kooperationen mit anderen Museen oder anderen Kulturinstitutionen einzugehen oder mehrere Kuratoren intern über ihre eigenen Sammlungsbereiche hinaus zusammenarbeiten zu lassen.
Planen Sie eine Veränderung bei Ihren Häusern, also punkto Kirschgarten oder Musikmuseum?
Wir rütteln an keinem der Standorte. Wenn, dann wäre das ein übergeordneter Entscheid, bei dem das Präsidialdepartement und die Museumskommission miteinbezogen würden. Beim Kirschgarten möchte ich die schon lange angedachte Sanierung vorantreiben. Wir werden gleichzeitig ein neues Nutzungskonzept erarbeiten. Die Dauerausstellungen sind dort zum Teil schon sehr in die Jahre gekommen.
All diese Projekte nehmen einen grossen Zeitraum ein. Das steht etwas im Widerspruch zu Ihrer vorgesehenen kurzen Amtsdauer. Existiert eigentlich eine Vereinbarung für eine Umwandlung zu einem unbefristeten Vertragsverhältnis?
Museumsarbeit ist immer langfristige Arbeit und wenn jemand anders die Früchte meiner hoffentlich guten Arbeit ernten kann, so kann ich damit leben. Aber, um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, eine solche Vereinbarung existiert nicht. Irgendwann im Verlauf der kommenden zweieinhalb Jahre muss die Stelle des Direktors ausgeschrieben und ein Findungsprozess eingeleitet werden. Dann steht es mir selbstverständlich frei, mich darauf zu bewerben.
Haben Sie angesichts dieser sehr konkreten Arbeit überhaupt Zeit, sich mit der strategischen Ausrichtung des Museums zu beschäftigen? Eine Ursache für die Konflikte in der Vergangenheit war ja, dass das Museum sich punkto eigener Ansprüche, Aussenwirkung und Erschliessung von neuen Publikumssegmenten nicht richtig verorten liess.
Ja, wir arbeiten zusammen mit dem Präsidialdepartement und der Museumskommission an der Überarbeitung der Strategie. Es ist wichtig für die Menschen in der Stadt zu wissen, wohin dieses Museum möchte. Ich bin der Meinung, dass wir gerade in Bezug auf ein neues Publikum von ausserhalb der Stadt oder auch bei Menschen mit anderem kulturellem Hintergrund durchaus das Potenzial haben.
In diesen Tagen nimmt mit Beat Jans ein neuer Vorsteher des Präsidialdepartements seine Arbeit auf. Er ist, anders als seine Vorgängerin Elisabeth Ackermann, unbelastet von der «Causa Fehlmann». Ist das ein Vorteil für Sie?
Das ist ein Neustart, auf den ich mich freue. Dies wiederum soll nicht heissen, dass es mit Elisabeth Ackermann nicht ebenso gut weitergegangen wäre. Ich habe sehr gut mit ihr zusammengearbeitet.