Fotografie
Ausstellung: Historische Bilder zeigen das Kleinbasel im Wandel der Zeit

Der Ausstellungsraum BelleVue und das Basler Staatsarchiv zeigen Alltag und Wandel des «minderen» Stadtteils in Fotografien – von gestern und heute.

Christoph Dieffenbacher
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«Blick in Greifengasse, Restaurant Waldeck, Cafe Spitz», um 1901.

«Blick in Greifengasse, Restaurant Waldeck, Cafe Spitz», um 1901.

Foto Gebrüder Metz / Staatsarchiv Basel-Stadt

Das Foto von etwa 1901 wirkt vertraut und doch fremd: Da ist rechts das Café Restaurant Spitz bei der alten Rheinbrücke, das möblierte Zimmer anpreist. Links gegenüber steht das ehemalige Restaurant Waldeck; das Gebäude mit seinem hohen Spitzerker ist längst abgerissen. Belebt wird die Brückenszene davor von Frauen in langen Röcken, beschürzten Dienstmädchen, dunkel gekleideten Männern mit Hüten und wenigen Kindern; von hinten nähern sich Pferdekutschen und elektrische Trams. Wenige Jahre nach der Aufnahme wurde die Brücke durch die heutige ersetzt.

Industrie, Zuwanderung, Kultur

Historisch eng miteinander verbunden, entwickelten sich Klein- und Grossbasel auf getrennten Wegen. Auf der rechten Rheinseite um die Theodorskirche bildeten sich zunächst zwei kleinere Dörfer. Diese wurden nach dem Bau der Rheinbrücke im 13. Jahrhundert zur «minderen» Stadt – und mit einer Mauer und zwei Stadttoren versehen. An das frühere Bläsi- und das Riehentor erinnern nur noch Strassennamen. 1392 verkaufte Bischof Friedrich von Strassburg das Kleinbasel an das mächtigere und ältere Grossbasel. Während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert entstanden im Kleinbasel und seiner ländlichen Umgebung Seidenbandwebereien, Färbereien und Chemiefabriken. Diese benötigten rasch viele Arbeitskräfte, auch aus dem Ausland, für die Wohnraum gebaut werden musste. Industrie und Bevölkerung rückten damit nahe zusammen – was das Bild eines ärmlichen, von Zuwanderung und Enge geprägten Quartiers von Arbeitern und Handwerkern vermittelte. Später wurden hier innovative Bauprojekte wie die neue Mustermesse in den 1920er-Jahren und später die Roche-Türme realisiert, ebenso Orte für die Alternativkultur.

Im Grossformat bildet das Foto aus dem Staatsarchiv Basel-Stadt einen Blickfang der Ausstellung im BelleVue. Der Blick auf die Brücke enthüllt so manches Detail aus der lokalen Alltags- und Sozialgeschichte, etwa punkto Architektur, Verkehr, Beleuchtung und Kleidermode. Fragen zum Basler Stadtleben um die Jahrhundertwende versucht die Ausstellung denn auch, in einer Bildanimation zu beantworten – ähnlich dem Forschungsprojekt «50 Sekunden Basel 1896», das Basels ersten Lumière-Film zu derselben Brücke bis in die Details analysiert hat.

Ansichtskarte von Kleinbasel, 1902.
5 Bilder
«Von städtischer Dichte und natürlichem Raum» – Landhof.
«Zufällig zusammen.»
«Mustermesse Hallenbau Nielsen-Bohny, Gerüst», 1924.
«Tagebuch.»

Ansichtskarte von Kleinbasel, 1902.

Foto Gebrüder Metz / Sammlung Richard Spillmann

Historische Einblicke geben in der Ausstellung auch andere Stadtbilder aus jener Zeit, als sich die Fotografie als neues Medium langsam zu verbreiten begann. Neben Strassen, Plätzen und Baustellen wurden vor allem Menschen porträtiert, oft sozial Benachteiligte: Arbeiter beim Bau der Messehallen, eine Kleinkinderschule, eine Volksküche des Kriegsfürsorgeamts, Frauen bei der Wäsche am Stadtbrunnen. Zahlreiche Fotogeschäfte boten sich damals auch für die vermögende Kundschaft an – diese liess sich gerne sonntags in entsprechender Kleidung ablichten.

Skurrile Szenen auf Küche, Balkon und Hinterhof

Die Kleinbasel-Bilder aus dem Staatsarchiv hat das Ausstellungsteam aktuellen Aufnahmen gegenübergestellt: Es hat vier Basler Fotografinnen und Fotografen beauftragt, Arbeiten zum heutigen «minderen» Stadtteil zu realisieren. Sie stellen ihre persönlichen Ansichten zu Leben und Alltag im Kleinbasel in Form von Bildreportagen vor. Beim Betrachten ihrer Fotos zwischen den historischen Schwarz-Weiss-Aufnahmen lassen sich immer wieder vergleichende Überlegungen zu damals und heute anstellen.

«Bei der Arbeit.»

«Bei der Arbeit.»

Roland Schmid

Maria Patzschke erzählt in einem fotografischen Tagebuch von Situationen, auf die sie auf Spaziergängen durch das Kleinbasel oft zufällig gestossen ist. Zusammen mit Viviane Herzog hat Ursula Sprecher in Bild und Text Menschen aus verschiedenen Nationen porträtiert. In direkter, frischer Art zeigt sie Persönlichkeiten inmitten ihrer privaten Umgebung von Küche, Balkon und Hinterhof – teilweise als skurrile Szenen inszeniert.

Vom Coiffeur über die Kioskfrau bis zum Pharmamanager: Auch Roland Schmid (der auch für die bz fotografiert) zeigt Männer und Frauen im Kleinbasel aus unmittelbarer Nähe, diesmal bei der Arbeit. Und sein Kollege Christian Jaeggi dokumentiert, wie rar und begrenzt sich die Grünflächen und Erholungsräume in den acht dicht besiedelten Kleinbasler Quartieren präsentieren. Doch seine Bilder helfen, den Blick darauf zu schärfen, wo es noch Potenzial für eine grüne, lebenswerte Gestaltung gibt.

Alte Ansichtskarten und Handyfotos

Wieder eine andere Sicht auf das Kleinbasel vermitteln alte Ansichtskarten aus der Privatsammlung von Richard Spillmann. Für dieses Bildmedium, das um 1900 massenhaft verbreitet war, eigneten sich alle möglichen Sujets, die sich im Format von 9 mal 14 Zentimetern einfangen liessen: unspektakuläre Wohnhäuser und Quartierstrassen ebenso wie dramatische Szenen mit Hochwasser und Feuersbrünsten. Rauchende Fabrikschlote dienten als Zeichen von Fortschritt und Wohlstand. Auch auf die alte Rheinbrücke trifft man hier wieder.

Der Vergleich mit Handyfotos liegt nahe: Stadtansichten der jungen Generation vermitteln Fotoarbeiten von zwei Klassen aus dem Bläsi- und dem Sandgrubenschulhaus. «Wir wollten in der Ausstellung das dichte und vielgestaltige Leben im Kleinbasel in konzentrierter Form abbilden, jenes von früher und von heute», sagt Regine Flury vom BelleVue-Team. Idealerweise sollte ein Gang durch die Fotoausstellung auch zum Flanieren durch den Stadtteil rechts des Rheins animieren – und gleichzeitig zu einer vielfältigen und offenen Begegnung mit dem Kleinbasel einladen. Es liegt gleich vor der Tür.

«Kleinbasel» BelleVue, Ort für Fotografie, Basel. Bis 26. Juni.
Geöffnet Sa/So, 11–17 Uhr. Infos und Begleitprogramm: www.bellevue-fotografie.ch