Poetry-Slam
Gabriel Vetter: «In schlimmen Horrorfilmen sieht man das Monster nie»

Poetry-Slam-Meister Gabriel Vetter, diesjähriger Hausautor des Theaters Basel, hat sein erstes Stück «Der Park» geschrieben – es wird am 19. April auf der Kleinen Bühne uraufgeführt

Susanna Petrin
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Gabriel Vetter in seinem geliebten, «aus der Zeit gefallenen» Café Kirschgärtli in Basel.

Gabriel Vetter in seinem geliebten, «aus der Zeit gefallenen» Café Kirschgärtli in Basel.

Nicole Nars-Zimmer

Zur Person

Gabriel Vetter (30) ist ein international bekannter Spoken-Word-Künstler. Er hat zahlreiche Poetry-Slam-Wettbewerbe gewonnen, zwei CDs herausgegeben, gestaltet den satirischen Radiobeitrag «Vetters Töne» auf SRF und ist 2005 - als bis dahin jüngster Preisträger - mit dem renommierten Salzburger Stier ausgezeichnet worden. Diese Saison ist er zudem Hausautor am Theater Basel. (spe)

Da kam also eines Tages der Auftrag vom Theater Basel: Gabriel Vetter, würden Sie bitte ein Stück für uns schreiben?

Gabriel Vetter: Ja, so wars. Ich fragte mich zuerst, wo denn der Haken an der Sache ist, weil es einfach genial ist: Du bist ein Jahr lang ins Ensemble eingebunden, kannst ein Theaterstück schreiben, das alles an diesem grossen Haus, am Theater Basel!

Hatten Sie gleich ein Thema, das Sie einem grösseren Publikum gern präsentieren wollten?

Es war rasch klar, dass es dieses eine Thema, das mich schon seit sechs Jahren beschäftigt, sein soll: «Die Schweiz als Disneyland». Darüber habe ich schon Kurztexte geschrieben.

So ein Auftrag ist ja eine enorme, aber auch schier erdrückende Chance.

Im ersten Moment dachte ich: «Ich habe keine Ahnung, wie man ein Theaterstück schreibt.» Die Anfrage kam aber zu einer guten Zeit. Seit etwa acht Jahren bin ich am Herumreisen; da ein Kurzauftritt, hier ein Slam. Dieses Angebot kam ein wenig wie ein Befreiungsschlag von Aussen. Die Selbstdisziplin, an einem Ort an einem längeren Text zu arbeiten, hätte ich sonst kaum aufgebracht.

Sie haben auch einen Blog «Road to Park». Wie war der Weg zum Stück, wie lief der Schreibprozess?

Ich habe zunächst wochenlang immer ein Notizbüchlein mit mir herumgeschleppt, weil ich dachte: «Mist, mir fällt nichts ein, mir fällt nichts ein, ich muss alles aufschreiben.» Das Disneyland-Setting bestand zwar, aber die Frage war, wie ich es mit einer Geschichte fülle. So habe ich immer wieder Szenen und Ideen für Charaktere notiert. Ab Oktober hab ich mich wirklich hingesetzt und fing zu schreiben an.

Wie schreibt man ein Theaterstück? Haben Sie sich informiert, wie andere das so machen?

Ich habe mir am Klosterberg 6 des Theaters ein Büro eingerichtet, weil ich fand, dass ich auch eine örtlich fixe Struktur brauche. Dann habe ich darüber gelesen, wie Autoren, die ich bewundere, längere Texte angehen. Ich wollte ganz pragmatische Details wissen: Wie sitzen sie, was trinken sie, mit welchem Stift schreiben sie, mit welchem Font. Es gab mir eine gewisse Sicherheit zu wissen, dass zum Beispiel Jonathan Franzen an eine Wand schaut und nicht aus dem Fenster. Und beim Aufbau nahm ich mir die klassische Drehbuchtheorie und den Dreiakter zur Hand, das diente mir als Gerüst. Irgendwann hatte ich die Charaktere, eine Auflistung von etwa 50 möglichen Szenen und einen inhaltlichen Ablauf.

Fliesst Poetry Slam in das Stück ein?

Auf jeden Fall! Der Rhythmus ist mir ganz wichtig. Am liebsten hätte ich eine Notenschrift für Prosa, am liebsten würde ich den Text dirigieren.

Der Arbeitstitel «Der Park» ist offenbar geblieben.

Ich mag kurze, prägnante Titel. Als ich mitten im Schreibprozess war, sah ich in einer Buchhandlung zufällig einen Roman namens «Der ParK», mit grossem K. Ich drehe das Buch um, lese die Beschreibung und denke: «Fuck! Wer ist das und wieso hat der die gleiche Idee wie ich!» Ein Soziologieprofessor namens Bruce Bégout beschreibt darin als Gedankenexperiment den ultimativen Freizeitpark. Auch Julian Barnes beschreibt in «England, England» wie dieses Land nachgebaut wird. Ich meinte lange, ich hätte eine grossartige Idee, und dann musste ich bei den Recherchen feststellen: Ach ja, gabs schon zigmal. Aber zumindest das Schweizspezifische ist neu und macht für mich grossen Sinn.

Worum gehts im Stück genauer?

Für die Region Schauffhausen, wo ich aufgewachsen bin, ist Stein am Rhein das Städtchen, wo man am Wochenende hingeht, ums schön zu haben. Als Kind liebte ich das, diese ganze Plastikwelt. Es gab sogar einen kleine Zug, der durch einen kleinen Tunnel fuhr, grossartig. Es ist ein bisschen wie im Disneyland, aber es ist ein echtes Städtchen. Als ich 17 war machte meine Mutter mitten in der mitttelalterlichen Altstadt einen Souvenirladen auf. Da drin – zwischen den jodelnden Murmeltieren und den Plastikhüten – schrieb ich auch meine ersten Slamtexte.

Und dieses Stein am Rhein steht Modell für das Stück?

In Stein am Rhein gibts die Jakob und Emma-Windler-Stiftung, sie basierte auf Sandoz-Gründeraktien. Einer der Stiftungszwecke ist: Verschönerung des Stadtbilds. Als Sandoz und Ciba-Geigy fusionierten wurde die Stiftung unfassbar reich. Aber was macht man mit all den Millionen für ein kleines Städtchen ohne vom Stiftungszweck abzuweichen?

Was tat sie mit den Millionen?

Renovieren. Ein Haus nach dem andern, renovieren, renovieren, kernsanieren, für Millionen und Millionen von Franken. Irgendwann hatten sie die Idee: Wir pflastern die ganze Altstadt mit Pflästersteinen, damit es aussieht wie im Mittelalter. Historiker intervenierten: Moment, damals gab es keine Pflästersteine. Dann gab es eine Riesendiskussion und man einigte sich: «Scheissegal, wir machen es trotzdem, denn es sieht aus wie früher». Dann nahmen sie einen teuren Alabasterstein um die ganze Stadt zu plätteln. Irgendwann war alles durchrenoviert, Minergie, rollstuhlgängig, alles. Dann kam die Burg Hohenklingen dran: Da kann man jetzt mit einem Lift rauf. Diese verdammte Burg, eine Burg, erfüllt nun teils hohe Minergie-Standards. Ausserdem gibts in Stein am Rhein dieses Freilichtspiel «No e Wili» auf dem Rathausplatz, wo die Eingeborenen, ich meine die Einwohner, mitspielen. Diese Theatersituation in diesem Stein am Rhein brachte mich auf die Stückidee.Dazu kommt: Man hat sich zwischendurch sogar überlegt, ob man die alte Stadtmauer zumachen und von Touristen Eintritt in die Stadt als Sehenswürdigkeit verlangen soll. Das wurde schnell verworfen.

Aber Sie haben diese Situation kombiniert mit anderen Ideen?

Zur selben Zeit las ich ein Interview mit dem amerikanischen Zukunftsforscher John Naisbitt. Er entwirft ein Welt-Szenario, in dem die ganze Produktion nur noch in Asien und Afrika stattfindet, die USA alle Hochschulen führen und Europa nichts mehr hat ausser der Darstellung der eigenen Kultur, Architektur und Geschichte. Europa als museales Disneyland für reiche Touristen.

In ihrem Stück ist nicht ganz Europa, aber die Schweiz ein einziger grosser Vergnügungspark?

Im Stück kommt die Schweiz während einer Krise darauf, sich als ganzes Land zu privatisieren. Sie verschenkt sich selbst dem grössten Unternehmen der Welt. Der sehr helvetische Gedanke des Réduits ist hier der Rückzug in den Schoss einer Firma. Diese produziert nur zwei Sachen: Landminen und Beinprothesen. (Auch das ist irgendwie passend: Die Schweiz exportiert Waffen, hat aber auch das Rote Kreuz.) Im Stück ist die Schweiz eine Gated Community, eine Erstklass-Lounge für wichtige Unternehmer und exklusive Kunden.

Gerhard Schwarz, früher NZZ-Wirtschaftschef, heute Direktor von Avenir Suisse, hat mal vorgeschlagen, dass Ausländer einen Eintritt zahlen sollen, wenn sie in die Schweiz kommen wollen.

Ernsthaft? Es geht in die Richtung: Verschärfung des Bürgerrechts, aber gleichzeitig Steuerprivilegien für Superreiche. Die Privatisierung von öffentlichem Grund ist in vollem Gange, auch in Basel. Der Novartis-Campus ist abgeschlossen und privat. Ich finde es ziemlich krass, dass ein Unternehmen einfach einen Teil der Stadt zumacht und sagt: Das ist nicht mehr offen zugänglich. Und in manchen Innenstädten gibts jetzt weniger Sitzbänke als früher. Begründung: Es gibt jetzt mehr Cafés, die rausstuhlen. Ein Platz, auf dem man ohne zu konsumieren sitzen konnte wird ersetzt durch einen, wo man sich seine Anwesenheit durch Konsum rechtfertigen muss.

Sind Sie gerne in Disneyland-Welten?

Diese Kunstwelten beängstigen mich, aber sie beruhigen mich auch. Man weiss genau, dass alles inszeniert ist. Als Tourist zum Beispiel in Florenz denkt man die ganze Zeit: Ist jetzt das echt oder ist das eine Touristenfalle? Zahle ich den eigentlichen Preis oder den Touristenpreis? Im Disneyland ist wenigstens von Anfang an klar: Alles ist «fake».

Ist ihr Stück nicht am Ende eine gefährlich schöne Vision? Die Idee klingt irgendwie bestechend.

Ja, ich weiss, es ist faszinierend. Aber so eine Generallobotomie kann es dann doch nicht sein. Diese Planstädte in China oder sonstwo, wo Menschen nur noch als Staffage durch die Kulissen mäandern. Diese Welten tragen eigentlich grundfaschistische Züge: Es gibt einen abgeschlossenen, normierten Raum.

Darin sind Abweichungen nicht mehr zugelassen?

Ja, es ist sehr repressiv.

Wie zeigen Sie den Horror hinter dieser schönen Welt?

Ich habe mich entschieden, die Sache ganz fidel zu inszenieren à la: «Hello, have a very good time, alles ist super». Die wirklich beängstigenden Horrorfilme sind ja die, in denen man das Monster nie zu sehen bekommt, wo man es nur vermutet, nur das Rascheln hört. Ich deute es an, aber zeige es nicht.

Was genau ist faschistoid an diesem Vergnügungspark-Setting?

Vielleicht ist faschistisch das falsche Wort, vielleicht müsste man sagen: autoritär, normiert, es gibt keine Freiheit mehr, keine Demokratie. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, was für Männer – es sind fast nur Männer – solche Parks gebaut haben. Walt Disney wollte das Disneyworld ursprünglich mit echten Menschen drin, denen man quasi beim Leben zuschauen kann. In der Schweiz gibt es auch diese Männer, die wahnsinnig viel Geld haben, und einem abstrusen, nicht wirklich zu benennenden Auftrag folgen. Sie haben fast schon einen religiösen Eifer, bei dem es mir etwas mulmig wird.

Sie gelten als Experte für die Schweizer Mentalität. Haben Sie bei dieser Arbeit neue Erkenntnisse über die Schweiz gewonnen?

Eine unschöne Beobachtung ist: Wenn man als Fremder in der Schweiz positiv wahrgenommen werden will, muss man das trojanische Pferd der Unterwürfigkeit ins Spiel werfen. Du musst dem Schweizer die Möglichkeit geben, dass er Dir helfend zur Hand gehen kann. Für sehr schweizerisch halte ich auch diese Grundmelancholie, die Sehnsucht nach einem Mythos. Ebenso die Sehnsucht danach, dass endlich mal irgendetwas Grosses passiert.

Jetzt mussten Sie den Text in die Hände von Regisseur Simon Solberg legen. Meinen Sie er begreift, was Sie sagen wollten?

Ich hoffe es, ich glaube schon. Er hat vielleicht einen anderen Zugang.

Schauen Sie bei den Proben zu?

Nein, ich will nicht als Textpolizist daneben stehen. Ich muss einsehen, dass ich meinen Text auch nicht als Disneyland verstehen darf, in dem ich kontrolliere, was wo passiert. Es ist ein Gewinn, wenn andere nun Neues reininterpretieren können.

Entdecken Sie das Theater neu?

Ich hatte noch nie so ein anregendes Jahr. An diesem Haus hat es so viel spannende Leute! Es ist aber schön zu merken, dass das Theater auch von mir etwas lernen kann: Zum Beispiel ohne Berührungsängste Leute reinzuholen und Verknüpfungen, Öffnungen und Synergien herzustellen. Als nächstes moderiere ich einen Poetry Slam auf der Kleinen Bühne, bei dem lebendige gegen klassische, verstorbene Dichter antreten (gespielt von Schauspielern).

Und was haben Sie vom Theater gelernt?

Genauigkeit. Eine Geste kann mehr sagen als viele Worte, eine Geschichte kann ohne Text erzählet werden. Zum Teil viel besser. Das finde ich immer noch wahnsinnig empörend, da werde ich so eifersüchtig.

Theater Basel. «Der Park». Premiere am 19. April. Am 5. April moderiert Gabriel Vetter zudem auf der Kleinen Bühne den Poetry Slam «Dead or Alive».