Startseite
Basel
Basel Stadt
Telefonieren Jugendliche häufig mit dem Handy am Ohr, wirkt sich das negativ auf ihre Gesundheit aus. Das haben Forscher in der Schweiz herausgefunden. Teenager, die hoher Handystrahlung ausgesetzt sind, schneiden beim Gedächtnistest schlechter ab.
Als der Basler Epidemiologe Martin Röösli auf die Resultate blickte, war er erstaunt. Der Forschungsleiter am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut untersuchte mit zwei Doktorandinnen, wie sich der Gebrauch von Handys auf die Gesundheit von Jugendlichen auswirkt. Dabei stellten sie fest: Die Strahlen von Mobiltelefonen können die Gedächtnisleistungen von Jugendlichen beeinträchtigen. Das war vor drei Jahren. Die Überraschung war für Röösli so gross, dass er mehr wissen wollte.
Nun liegt Studie Nummer zwei vor. Sie ist heute erschienen und bestätigt die früheren Resultate: Sind Jugendliche einer hohen Strahlenbelastung von Handys ausgesetzt, entwickeln sich bestimmte Gehirnregionen weniger gut. «Besonders davon betroffen ist das figurative Gedächtnis. Das ist jener Bereich des Gehirns, der räumliche Informationen verarbeitet», sagt Röösli. Etwa beim Lesen von Strassenkarten.
Das figurative Gedächtnis liegt in der rechten Gehirnhälfte. Und damit in der Nähe jenes Ohres, an dem die Mehrheit der Menschen ihr Handy beim Telefonieren halten. Nur etwa 20 Prozent der Studienteilnehmer lauschten mit dem linken Ohr den Telefongesprächen. In der Tendenz schnitten diese Schülerinnen und Schüler bei den Wörter-Tests schlechter ab. Und damit bei jenen Fragen, die eine Region der linken Gehirnseite überprüften; dort liegt das verbale Gedächtnis. «Das weist daraufhin, dass tatsächlich die Strahlung für die schlechtere Gedächtnisentwicklung verantwortlich ist – und nicht etwa der Umgang mit dem Handy per se.» Röösli betont allerdings, dass es sich dabei um Hinweise handle. Weitere Forschung sei gefragt.
Mit der Erfindung von Handys und Smartphones geht auch ein Streit einher: jener um die Gefährlichkeit der Strahlen des Mobilfunks. Gesichertes Wissen ist rar. Die Wissenschaft konnte mit der rasanten technologischen Entwicklung schlicht nicht mithalten. Zwar gebe es verschiedene Experimente, die im Labor den kurzfristigen Effekt zwischen Strahlendosis und Gedächtnisleistung untersuchten, sagt Röösli. «Doch die Resultate fielen widersprüchlich aus.» Einzig ein thermischer Mechanismus gelte als gesichert: Das Gehirn wärmt sich beim Telefonieren mit dem Handy auf. «Doch mit 0,1 bis 0,2 Grad Celsius ist der Effekt relativ klein», sagt der Epidemiologe. Deshalb sei er auch von den Befunden der zweiten Studie überrascht.
Rund 700 Schülerinnen und Schüler in der Schweiz haben daran teilgenommen. Um ihre Gedächtnisleistungen zu untersuchen, mussten sie sich Wörter und abstrakte Figuren einprägen – und kurz darauf möglichst viele davon abrufen und wiedergeben. Die gleichen Tests führten die Forscher ein Jahr später mit denselben Jugendlichen erneut durch. Dies, um herauszufinden, wie sich deren Gedächtnisleistungen entwickelt hat.
Für den Zeitraum dieses einen Jahrs analysierten die Forscher zudem die individuelle Strahlenbelastung der Schülerinnen und Schüler. Mobilfunkbetreiber lieferten ihnen die Nutzerdaten; und die Teilnehmer notierten zusätzlich, wie sie ihre Smartphones nutzten.
Im Internet surfen, chatten oder gamen: Das sei hinsichtlich der Strahlenbelastung unbedenklich, sagt Röösli. Auf die Gedächtnisleistungen hatte dies keinen Einfluss. Anders beim Telefonieren. Wer das Handy an sein Ohr hält, setzt sein Gehirn direkt den Strahlen aus. Ab wann also belasten sie unser Gedächtnis? Das sei noch unklar, sagt Röösli. Entscheidend sei sowieso nicht die Anzahl Minuten, sondern die Qualität der Verbindung. «Ist diese schlecht, kann ein Handy bis zu 100'000-mal stärker strahlen als bei einer stabilen Verbindung.» Insbesondere wenn das Netz schwächelt, rät er deshalb, das Headset aufzusetzen. Oder den Lautsprecher-Knopf zu drücken.
Und wie muss die Studie nun aus medizinischer Sicht beurteilt werden? Neurologe Jürg Kesselring spricht von einem «alarmierenden Hinweis». Er ist Mitglied der Beratenden Expertengruppe NIS, die im Auftrag des Bundes die Forschung über nichtionisierende Strahlung verfolgt und bewertet. Die Studie von Röösli sei «pionierhaft und seriös». Bevor allerdings der Grenzwert verändert werden müsse, gelte es, die Nutzer – jung wie alt – im Umgang mit den Handys zu schulen, sagt er. Etwa, wie viel Zeit sinnvollerweise am Smartphone verbracht werde oder zu welchen Uhrzeiten es abgestellt sein sollte.