Nähkästchen
HD-Läppli Schauspieler Gilles Tschudi: «Ich fühle mich überall wohl»

Der Basler Schauspieler Gilles Tschudi (61) plaudert aus dem Nähkästchen. Über seinen Grössenwahn, seinen Sohn – und HD Läppli.

Rahel Koerfgen
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Hat alle Hände voll zu tun: Gilles Tschudi fischte den Begriff Komfortzone aus dem Nähkästchen.

Hat alle Hände voll zu tun: Gilles Tschudi fischte den Begriff Komfortzone aus dem Nähkästchen.

Kenneth Nars

Herr Tschudi, worüber reden wir?

Gilles Tschudi: Über die Komfortzone. Was gibt es da zu reden? Der Mensch verlässt seine Komfortzone, sobald er aus dem Mutterleib kommt.

Per Definition ist die Komfortzone der durch Gewohnheiten definierte Bereich eines Menschen, in dem er sich wohl und sicher fühlt.

Okay (überlegt). Ich fühle mich überall wohl, bin nicht an Gewohnheiten gebunden. Das ist in meinem Beruf gar nicht möglich. Mein Körper ist meine Komfortzone. Der besteht aus Emotionen, Gedanken, Energien. Letztere lassen mit dem Alter langsam nach, das stelle ich schon fest. Ich habe nicht mehr dieselbe Wendigkeit wie früher. Aber dieser Prozess geht zum Glück sehr langsam vonstatten.

Sie befinden sich beruflich auch gerade in einem Prozess, einem Verwandlungsprozess: Ab November stehen Sie als HD Läppli auf der Bühne des Fauteuils. Wie bereiten Sie sich auf die Rolle vor?

Ich kann mich meist sehr schnell in eine Person hineindenken. Aber der HD Läppli bedeutet für mich einen Quantensprung.

Inwiefern?

Sehen Sie, ich bin nicht schnell zufrieden mit mir. Ich will Läppli nicht imitieren, das käme nicht gut. Sondern: Ich muss ihn in mir finden, spüren und aktivieren. Eine langsame Annäherung, die täglich stattfindet, im Alltag, überall. In meinem Grössenwahn bin ich ja der Meinung, dass alles, jede Eigenschaft, in mir steckt. Ich muss sie nur entdecken. Zum Glück habe ich noch ein bisschen Zeit. Aber es gibt sie schon, diese Mikrosekunden der Verzweiflung, in denen ich denke: Das schaffe ich nicht. Doch diese Verzweiflung verfliegt schnell wieder, weil mein Temperament alles möglich macht...

Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen Läppli und Tschudi?

Beide sind sehr offene Menschen, Schnelldenker auch. Ein Schnellredner wie Läppli bin ich hingegen nicht. Oder: Nicht mehr. Das bin ich mir wieder am angewöhnen, dieses agile Kommunizieren, dieses sprunghafte Denkvermögen, dieses hin und her springen zwischen verschiedenen Erlebnissen und Feststellungen, diese einfache, kindliche Logik im Hier und Jetzt. Das Sein im Moment. Das ist er.

Sie nähern sich auch optisch an, haben sich vor drei Wochen eine Glatze beim Coiffeur schneiden lassen. Wie fühlt sich das an?

Es war ein unangenehmes Erlebnis – ausserhalb der Komfortzone–, ich hatte ja noch nie eine Glatze und dachte, mein Schädeldach sei offen (lacht). Jetzt sind die Stoppeln wieder da, es kratzt und beisst. Aber das gehört auch dazu, und ich wollte das nicht erst ein paar Tage vor der Premiere machen. Ich muss mich an dieses Erscheinungsbild gewöhnen, sodass es ein Teil von mir wird.

Sie stehen seit 1975 auf der Bühne und vor der Kamera, das breite Publikum kennt Sie vor allem in der Rolle des Bösewichts. Mit der Interpretation des HD Läppli wagen Sie sich erstmals in kabarettistische Gefilde vor.

Tatsächlich betrete ich Neuland, ich bin weder ein Kabarettist noch ein Komiker, es war nie meine Art, Leute mit Witzen zum Lachen zu bringen, schon als Kind nicht. Das ist eine ganz neue Welt, eine grosse Herausforderung. Deshalb eben: Quantensprung.

Gibt es eine Rolle, die Sie nicht spielen wollten?

Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Es geht eigentlich alles. Vor einem Jahr habe ich in Bern einen Metzger gespielt, obschon ich seit 27 Jahren Vegetarier bin.

Stehen Sie eigentlich lieber auf der Bühne oder vor der Kamera?

Das kann ich nicht sagen, weil man die beiden Arbeiten nicht miteinander vergleichen kann. Theater ist massiv anstrengender, verlangt viel mehr Disziplin. Das braucht wahnsinnig viel Energie. Vor der Kamera wiederum steht man für kurze Zeit im Fokus, muss dann aber abliefern und darf sich keine Hänger erlauben. Weil Film ist nicht wie Theater flüchtig.

Zum Ensemble der HD-Läppli-Aufführungen gehört Ihr Sohn Raphaël. Ist es das erste Mal, dass Sie gemeinsam auf der Bühne stehen? Was ist das für ein Gefühl?

Nein, das kam auch schon vor. Und es ist spannend zu erleben, dass wir intuitiv gleich ticken. Er hat eine sehr ähnliche Wahrnehmung, das macht die Arbeit viel einfacher. Wir verstehen uns quasi ohne Worte, das ist faszinierend.

Die Spielzeit ist bis Ende April 2020 angesetzt. Ziehen Sie in dieser Zeit zurück nach Basel? Wäre doch komfortabler...

Ich bin gerade erst umgezogen, von Neuenburg nach Biel. Biel habe ich unter anderem gewählt, weil es verkehrsgünstig liegt, es gibt zum Beispiel einen direkten Zug nach Basel bis spät nachts.

Sie sind hier aufgewachsen, haben Basel aber schon lange verlassen.

Ja – aus beruflichen Gründen. Basel berührt mich, das merke ich jedes Mal, wenn ich hier bin. Plötzlich sind die Erinnerungen der Kindheit wieder da. Klar, es hat sich in den vergangenen 60 Jahren viel verändert und bewegt, aber die Grundenergie scheint mir immer noch dieselbe zu sein.