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Christian Cajochen ist Leiter der Abteilung Chronobiologie der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel Im Interview mit der bz erklärt er mögliche Folgen des scheinbar endlosen Winters und gibt Tipps, wie sich der Winterblues vertreiben lässt.
Herr Cajochen, heuer scheint der Winter endlos. Reden wir uns das nur ein, oder schlagen die trüben Tage tatsächlich auf die Stimmung?
Christian Cajochen: Licht hat nachweislich einen grossen Einfluss auf die Menschen. Neue Studien zeigen, dass das Licht gewisse Teile des Hirns aktiviert, die für die Schlaf-Wach-Regulation zuständig sind. Das erklärt auch die Lethargie, die wir in der dunklen Jahreszeit oft empfinden.
Wann trifft uns die Winterdepression am stärksten: im November, wenn uns alles noch bevorsteht, oder im März, wenn wir schon ein halbes Jahr Winter in den Knochen haben?
Wir unterscheiden zwischen Menschen, die unter einer saisonal affektiven Störung leiden und jenen, die einfach den Winterblues haben. Eine Winterdepression setzt meist ein, wenn die Tage kürzer werden – also Ende August. Sie löst sich, wenn die Tage wieder länger werden. Unter einer solchen Störung leiden rund zwei Prozent. Die Wenigsten suchen professionelle Hilfe auf. Deswegen sagen viele Psychiater, dass es die Winterdepression gar nicht gibt. Der Winterblues, unter dem die meisten leiden, befällt uns meist im November und ist dann wieder Ende Winter am stärksten – wenn der Frühling auf sich warten lässt.
Was lässt sich gegen den Winterblues tun?
Den inneren Schweinehund überwinden. Das bedeutet: Auch dann rausgehen und sich bewegen, wenn es einen eigentlich nicht reizt. Effizient sind auch Lichttherapielampen, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen und deren Wirkung bei der saisonalen Depression mit Antidepressiva gleichzusetzen ist.
Wer ist auf Stimmungsschwankungen im Winter besonders anfällig?
Zum einen ist bewiesen, dass Frauen gefährdeter sind als Männer – es gibt ja auch allgemein mehr depressive Frauen als Männer. Zum anderen hat die Winterdepression natürlich auch mit den Breitengraden zu tun: Je nördlicher man kommt, desto kürzer werden die Tage. Interessant ist allerdings, dass gemäss einer Studie die Isländer nicht stärker unter Winterdepressionen leiden als wir Basler. Entweder gibt es tatsächlich eine genetische Komponente – oder diejenigen Isländer, die besonders unter den kurzen Wintertagen leiden, sind schon alle ausgewandert.
Wirkt sich ein harter Winter auch auf die Suizidzahlen aus?
Dass es im Winter mehr Suizide gibt als im Sommer, ist ein Irrtum. Die meisten passieren im Frühsommer. Warum das so ist, weiss man meines Erachtens nicht. Vielleicht braucht es eine gewisse Kraft, um einen Suizidversuch zu unternehmen.
In der Nacht vom kommenden Samstag auf Sonntag wird die Zeit umgestellt. Die Uhr wird eine Stunde vorgestellt. Nützt uns das, weil es morgens früher hell ist, oder schadet es uns, weil es abends früher eindunkelt?
Die Umstellung von Winter- auf Sommerzeit nimmt uns eine Stunde weg. Das heisst: eine Stunde früher aufstehen. Bei der Umstellung von Winter- auf Sommerzeit gibt es nachweislich mehr Herzinfarkte als üblich. Dafür liegt die Zahl der Herzinfarkte bei der Umstellung auf die Winterzeit unter dem Schnitt. Aber so gesehen müsste man auch den Montag abschaffen – das ist der Wochentag, an dem die meisten Herzinfarkte passieren.
Gewöhnt man sich mit zunehmendem Alter an die harten Winter?
Eine Altersabhängigkeit ist bei der Winterdepression und beim Winterblues nicht zu erkennen. Mit 15 Jahren hat man etwa gleich stark zu kämpfen wie mit 90, ausser mit dem Schnee und Glatteis auf der Strasse. Was sich stark ändert, ist der biologische Tagesrhythmus. In der Pubertät verschiebt er sich jährlich um 20 Minuten nach hinten. Wenn Schweizer Gymnasiasten schon vor acht Uhr in der Schule sein müssen, dann ist das für sie noch mitten in der Nacht. Als Erwachsener verschiebt sich das langsam wieder nach vorne. Das machen nicht nur Menschen, sondern auch Tiere mit.