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Nur wenige Kapitäne dürfen ihr Schiff selber durch Basel manövrieren. Die meisten sind auf Lotsen angewiesen. Bei hohem Rheinpegel ist die Fahrt durch Basel besonders gefährlich – honoriert wird der Einsatz der Rheinlotsen jedoch kaum.
Er mag Hochwasser, da er Herausforderungen liebt. Schon bei gewöhnlichem Pegelstand ist Rheinlotse Peter Christ überzeugt, dass er den anspruchsvollsten Job der Rheinschifffahrt ausübt: «Wir arbeiten hart an der Grenze des Machbaren.» Bei hohem Rheinpegel werde die Fahrt mit einem Frachtschiff durch Basel wirklich gefährlich. In der Führerkabine wird dann kein Wort mehr gesprochen. «Man darf keinen einzigen Fehler machen, sonst kracht es», weiss der 64-Jährige, der seine Karriere auf dem Rhein als 17-Jähriger mit einer Lehre als Schiffsjunge begonnen hat.
Peter Christ steuerte das Tankschiff durch Basel, das am 31. August ein Vermessungsboot rammte. Die Ermittlungen laufen immer noch. Die Staatsanwaltschaft wartet auf Expertenberichte. Wann diese fertiggestellt sind, sei offen. Wegen der laufenden Ermittlungen sagt Christ nur so viel: «Die Situation war ähnlich wie bei einer Fahrt auf der Autobahn im Dunkeln, wenn plötzlich ein Reh vor das Auto rennt. Man hat keine Chance zu reagieren.» Am Tag danach arbeitete Christ bereits wieder: «Als Lotse darf man sich durch nichts überfordern lassen.» (öpf)
Wie auf eisiger Fahrbahn
Die Fahrt eines grossen Frachtschiffs durch das Basler Rheinknie vergleicht Christ mit einer Autofahrt in einer vereisten Kurve. Ein Kampf gegen die Natur. Die durchschnittlich 1000 Tonnen schweren Frachtschiffe, die rund 3000 Tonnen laden können, lenkt der Lotse erst im letzten Moment in die Fahrrinne unter der Mittleren Brücke. Sonst würden sie von der Strömung weggedrückt.
Nur etwa jeder zehnte Schiffsführer besitzt das Basler Patent. Alle anderen müssen auf der Fahrt durch Basel das Steuer und die Verantwortung dem Rheinlotsen abgeben. Der Schiffsführer wird vorübergehend zum Matrosen degradiert. Christ steigt jeweils unter der Dreirosenbrücke zu und fährt normalerweise bis zur Schleuse in Birsfelden mit.
An manchen Tagen gibts kein Geld
Bezahlt werden die fünf Basler Rheinlotsen direkt durch die Schiffer. Täglich ist immer ein Lotse während sechzehn Stunden abrufbereit: von fünf Uhr morgens bis 21 Uhr abends. Bezahlt wird er jedoch nur pro Schiff: mit 58 Euro. Durchschnittlich passieren vier Frachtschiffe pro Tag Basel. Manchmal keines. Dann hält sich Christ vergeblich abrufbereit und verdient nichts. «Das Warten ist mühsam. Aber man gewöhnt sich daran», sagt er. Nur mit der Anerkennung seiner Arbeit hat er Mühe: «Selbst bei Hochwasser, wenn es wirklich gefährlich ist, erhalten wir in der Regel weder ein Danke noch ein Trinkgeld.» Seit dem Zweiten Weltkrieg sei die Bezahlung in der Rheinschifffahrt nie so schlecht gewesen wie heute.
Der 64-Jährige würde in einem Jahr gerne in Pension gehen, wird aus finanziellen Gründen aber bis
67 weiterarbeiten. «Wir werden wie der letzte Dreck behandelt», sagt Christ und versichert auf Nachfrage, ja, das solle man ruhig so schreiben. «Wir erhalten null Anerkennung.»
Kein Lotsen-Nachwuchs in Sicht
Der Kleinhüninger schwärmt zwar für seinen Beruf und sieht sich als selbstständigen Künstler. Sein Gesicht strahlt, wenn er über die hohe Kunst referiert, 180 Meter lange Kuppelschiffe durch das Basler Nadelöhr zu manövrieren: «Das hat einen ähnlichen Reiz wie Hochleistungssport.» Doch weiterempfehlen würde er seinen Job, den er seit 1985 ausübt, nicht. Die Bezahlung sei einfach miserabel. «Das ganze Geld kassiert die Befrachtungsmafia», kritisiert er. Damit meint er die Logistikfirmen, die ihre eigenen Schiffe längst verkauft haben. Für seine Branche sieht Christ schwarz. Von den fünf Basler Rheinlotsen werden in den nächsten Jahren drei pensioniert. Nachwuchs sei nicht in Sicht: «Wer hat schon Lust, bei dieser Bezahlung 16 Stunden pro Tag zu arbeiten und mit dem Velo bei Minustemperaturen nach Birsfelden zu radeln?»
In seiner Karriere ist Christ nur einer Person begegnet, welche die Herausforderung seiner Arbeit verstanden habe. Martin Roth, der Chef des Basler Krisenstabs, habe nach einer Fahrt mit ihm gesagt: «Das ist ja, wie wenn man mit einem Jumbojet im Sturm landen müsste.» Ein schwacher Trost.
In der Revierzentrale atmete man gestern auf: Die Hochwassersperrung konnte aufgehoben werden. Die Situation bleibt aber angespannt. Von Andreas Maurer
Der Rhein wird unberechenbarer. «Früher gab es jedes Jahr die Schneeschmelze im Frühling und das Adventswasser durch die Regen- und Schneefälle im Dezember», erinnert sich Roland Blessinger, Leiter Schifffahrt und Hafenbetrieb der Schweizerischen Rheinhäfen. Diese Bauernregel habe vor rund 20 Jahren relativ zuverlässig die beiden jährlichen Hochwasser vorausgesagt. Heute gilt sie nicht mehr. Diese Woche wurde der Rhein zum zweiten Mal in diesem Jahr in Basel wegen Hochwassers vorübergehend gesperrt. Obwohl sich der Pegelstand nicht mehr mit Bauernregeln voraussagen lässt, gefällt Blessinger die heutige Situation besser: «Hochwasser sind grundsätzlich seltener geworden.» Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer davon ist der Klimawandel.
Eine Nacht durchgearbeitet
Für Blessinger und seine Kollegen von der Revierzentrale beim Dreiländereck bedeutet ein Hochwasser oberhalb eines Rheinhalle-Pegels von 790 Zentimetern Nachtarbeit. Die Revierzentrale beim Dreiländereck ist dann rund um die Uhr besetzt. Dieses Dienstleistungszentrum koordiniert und überwacht den Schiffsverkehr auf dem Rhein vom Stauwehr Märkt unterhalb Basel bis zur Strassenbrücke in Rheinfelden. Die Revierzentrale leistet Nachtarbeit, um sofort regieren zu können, wenn der Pegel unerwartet steigt. «Zu 98 Prozent ist dieser vorhersehbar. Wir wollen aber auch für die zwei Prozent gewappnet sein», erklärt Blessinger. Dank der Nachtarbeit sind die Hafenmitarbeiter jederzeit einsatzbereit, wenn ein angelegtes Schiff oder eine Person auf dem Rhein in Schwierigkeiten gerät. Zudem müssen bei sehr hohem Pegel Hafenanlagen in Sicherheit gebracht werden: etwa die Büros in der Bootsgarage. Eine ernsthafte Gefahr drohte diese Woche jedoch nicht. Damit etwa Kleinbasel unter Wasser gestanden wäre, hätte der Rhein noch zwei Meter steigen müssen.
Für den Schiffsverkehr war die kurze Sperrung nicht dramatisch. «Mit kurzen Unterbrüchen müssen die Schiffer jederzeit rechnen», sagt Blessinger. In den Rheinhäfen beider Basel sind nur wenige Schiffe «gestrandet». Viele unterbrachen ihre Fahrt schon auf dem Weg Richtung Basel. Und auch der Zufall spielte mit: Es waren gerade wenige Frachtschiffe unterwegs.
Unruhiges Wochenende steht an
Diese Woche war die Revierzentrale in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag im Extraeinsatz. Für die Wochenendnächte werden die Mitarbeiter auf Pikett gehalten. Der Wetterbericht sagt wieder Regen voraus. «Der Pegel könnte die Hochwassermarke erneut knacken», befürchtet Blessinger. Noch liegen die Prognosen aber im grünen Bereich.