Ein Austritt Grossbritanniens aus der EU würde die Beziehung zwischen der Schweiz und Europa noch schwieriger machen, sagte Diplomat Henri Gétaz an einem Diskussionsanlass in Lörrach.
Zum ersten Mal veranstaltete Metrobasel einen Diskussionsanlass in Lörrach. Besonders für die deutschen Nachbarn war es interessant, einen Schweizer Spitzendiplomaten wie Henri Gétaz am Rednerpult zu haben, der sich im Dossier Schweiz – EU auskennt wie kaum jemand. Doch selbst er hatte auf viele Fragen keine Antwort. Sicher ist, dass die Schweiz durch die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) in eine enorm schwierige Lage hineinmanövriert wurde. Was auch immer die Schweiz macht, es ist falsch. Bei einer strengen Umsetzung der MEI sind die Bilateralen Abkommen in Gefahr. Das will man auf keinen Fall. Andererseits ist die Schweiz durch die in der Vorlage festgeschriebene Frist gezwungen, sehr rasch zu handeln.
Die EU, die sich ein Jahr lang nicht zu Diskussionen hat bewegen lassen, ist durch den drohenden Ausstieg Grossbritanniens aus der EU («Brexit») gelähmt: Diskutiert wird erst nach dem 21 Juni. Die Diskussionsabstinenz der EU 2014/15 lasse sich mit der Tatsache erklären, dass die entsprechende Kommission vor einer personellen Rochade stand, erläuterte Gétaz.
Völlig undurchsichtig werde die Lage, wenn Grossbritannien effektiv aussteige. Gétaz wollte sich nicht auf die Äste wagen. Der Fokus der EU dürfte auf den Beziehungen zu Grossbritannien liegen, nicht auf den zu der Schweiz. In der Diskussion hätten die Nachbarländer Deutschland Frankreich und Italien das Hauptgewicht in der EU. «Die Europapolitik ist stark von regionalen Gegebenheiten geprägt», sagte Gétaz. Eine Wiederholung der MEI-Abstimmung hält Gétaz für gefährlich, weil sie vielleicht nochmals angenommen würde. Und dann hätte die Schweiz ein noch viel grösseres Problem.
Gétaz versuchte auch, den Gästen das Abstimmungsresultat zu erklären. Netto seien jährlich 80'000 Menschen zugewandert. Hochgerechnet auf Deutschland wären das 800'000 Menschen – eine Stadt wie Stuttgart. In der Bevölkerung sei in den letzten Jahren die Frage aufgetaucht: Wird das mit der Zuwanderung immer so weiter gehen? «Diese Antwort konnten wir nicht liefern. An der Urne stimmen die Menschen mit dem Bauch ab.»
Sicher ist, dass auch die Nachbarländer der Schweiz, in der Region Deutschland und Frankreich, unter einem strengen Regime der Zuwanderung leiden müssten. Der Grenzgänger-Zuwachs würde möglicherweise blockiert, was in Deutschland zu weniger Einkommen führt. Das wiederum führt zu sinkenden Steuererträgen.
Hagen Pfunder, Chef Roche Pharma Deutschland, befürchtet einen massiven Standortnachteil, und zwar nicht nur für die Region, sondern den ganzen Standort Europa. Der Konkurrent auf dem Arbeitsmarkt für Spitzenkräfte wäre die USA.
Regula Ruetz, Direktorin des Thinktanks Metrobasel, geht davon aus, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland und Frankreich steigen werde, in der Schweiz hingegen werde es unbesetzte Stellen geben. Der Fachkräftemangel werde in den kommenden Jahren allein aus demografischen Gründen stark an Brisanz gewinnen. Die Zuwanderung hat den bereits existierenden Fachkräftemangel bislang etwas mildern können.