FAQ
Sans-Papiers sind gefragte Arbeitskräfte – trotzdem sind sie ständig auf der Hut

Sans-Papiers fehlt ein entscheidendes Papier. Warum das ihr Leben dominiert, erklärt in zehn Punkten.

Benjamin Wieland
Drucken
«Re-Re-Regularisierung!», skandierten die gegen 200 Sans-Papiers und Sympathisanten, die am Donnerstag in Basel demonstrierten.
6 Bilder
Sie gingen auf die Strasse für eine kollektive Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus.
Anlass für die Kundgebung war der Jahrestag der Einreichung von zehn Härtefallgesuchen in Basel.
Für sechs von ihnen kam vor einer Woche der Bescheid, dass die Gesuche vom Migrationsamt gutgeheissen und an das Bundesamt für Migration weitergeleitet wurden.
Sans-Papiers in Basel
Die Kundgebungsteilnehmer sprachen den Sans-Papiers, die noch immer auf einen Bescheid warten oder sich bislang noch nicht trauten, aus ihrer Anonymität herauszutreten und überhaupt ein Gesuch einzureichen, ihre Solidarität aus.

«Re-Re-Regularisierung!», skandierten die gegen 200 Sans-Papiers und Sympathisanten, die am Donnerstag in Basel demonstrierten.

Juri Junkov

1. Wie wird man zum Sans-Papier?

Es gibt viele Wege. Die einen kamen als Touristen, Studenten oder als Arbeitskräfte in die Schweiz und blieben hier. Bei anderen ist das Visum abgelaufen oder ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Auch wenn die Biografien ganz unterschiedlich sind, haben alle Sans-Papiers etwas gemeinsam: Ihnen fehlt ein entscheidendes Papier – die Aufenthaltsgenehmigung.

2. Woher stammt der Name?

Aus Frankreich. Dort wurden die «Papierlosen» zuvor Clandestins oder Ilégales genannt. Die Betroffenen propagierten ab 1970 Sans-Papiers.

3. Wie viele Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung leben in der Nordwestschweiz?

Genau weiss das niemand. Die Anlaufstelle für Sans-Papiers in Basel beruft sich auf Schätzungen des Staatssekretariats für Migration (SEM). Es beziffert die Zahl für Basel-Stadt auf 4000. In der Agglomeration dürften laut Anlaufstelle nochmals ein- bis zweitausend Menschen hinzukommen. Landesweit geht man von 76 000 Sans-Papiers aus – Tendenz eher steigend. Die Eidgenössische Migrationskommission (EMK) schrieb 2010 in einem Bericht: «Die Anwesenheit von Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis hat seit den 1980er-Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen.» Das hat mit der Globalisierung zu tun – und damit, dass Sans-Papiers gefragte Arbeitskräfte sind.

4. Warum stellen Sans-Papiers keinen Asylantrag?

Dazu müssten sie die Bedingungen für Asyl erfüllen – also in ihrem Heimatland verfolgt und akut bedroht sein. Das trifft nur für wenige zu.

5. Welche Möglichkeiten gibt es, den Status zu regularisieren?

Nicht viele. Die Schweizer Migrationsgesetze sind restriktiv. Für Menschen ausserhalb der Europäischen Union und der Efta ist es extrem schwer, an eine Aufenthaltsbewilligung zu gelangen. Die praktisch einzige Möglichkeit ist ein Gesuch für eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls. Die Hürden sind hoch: So müssen die Anstragsstellenden nachweisen, viele Jahre in der Schweiz verbracht zu haben. Seit kurzem gibt es in Basel-Stadt ein neues Merkblatt, das klar festhält, was ein Härtefall ist. Zuvor waren die Kriterien unscharf definiert. Fabrice Mangold, Co-Leiter der Basler Anlaufstelle, sagt, kürzlich seien in Basel die ersten Härtefallgesuche nach den neuen Kriterien gutgeheissen worden – so auch jener von Ardan P. (siehe links). Einige Sans-Papiers verlieben sich auch während ihres Aufenthalts in der Schweiz und heiraten. Im Familiennachzug kann die Person mit Bewilligung dann eine Aufenthaltsbewilligung für die Partnerin, den Partner ohne Bewilligung beantragen.

6. Wenn die Sans-Papiers keine Aufenthaltsbewilligung besitzen: Haben sie keine Rechte?

Nein. Wir haben es zum Glück nicht mit «Vogelfreien» wie im Mittelalter zu tun. Das SEM hält fest, dass sich «zahlreiche Grundrechte auf alle Menschen im Land erstrecken, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus». Die EKM schreibt, Sans-Papiers befänden sich zwar in einer «irregulären Situation», trotzdem würden sie über «Rechte verfügen» und hätten «Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben». Das umfasse das Recht auf Hilfe in Notlagen und auf elementare medizinische Versorgung.

7. Können Sans-Papiers eine Krankenversicherung abschliessen?

Ja. Das Krankenversicherungs-Obligatorium gilt auch für sie, und sie haben prinzipiell Anspruch auf Prämienverbilligungen. Sans-Papiers können zudem Wohnungen mieten sowie Kauf- und Arbeitsverträge abschliessen. «Problematisch wird es, wenn sie ihre Rechte durchsetzen wollen», sagt Fabrice Mangold. «Es droht immer die Gefahr, dass das Migrationsamt von ihrer Existenz erfährt. Das könnte eine Ausweisung zur Folge haben.» Das sei auch der Grund, weshalb Sans-Papiers ständig in Angst vor der Polizei lebten. «Sie würden auf einen Schlag alles verlieren, was sie sich hier aufgebaut haben.» Auch können Sans-Papiers kein Bankkonto eröffnen. Sie weichen laut Mangold meist auf Bargeld aus.

8. Dürfen Kinder von Sans-Papiers die Schule besuchen?

Ja. Sans-Papiers verstossen zwar gegen das Ausländerrecht. Doch das Recht auf Bildung, das die Bundesverfassung garantiert, wird höher gewichtet. Deshalb besuchen Kinder von Sans-Papiers die obligatorischen Schulen. Die Schulleitungen sind angehalten, keine Verdachtsfälle dem Migrationsamt zu melden. Das wäre laut Fabrice Mangold verheerend: «Käme das nur einmal vor, würden alle Sans-Papiers-Eltern ihre Kinder von der Schule nehmen. Wir sprechen von rund 10 000 Minderjährigen.»

9. Woher stammt der grösste Teil der Sans-Papiers?

Laut EMK vor allem aus Osteuropa, Südamerika und Afrika.

10. Die meisten Sans-Papiers sind erwerbstätig. In welchen Branchen?

Traditionell waren viele Sans-Papiers auf dem Bau tätig. Als der Saisonnier-Status abgeschafft wurde, blieben sie hier. Weitere Branchen, die traditionell Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung beschäftigen, sind das Gastgewebe, die Landwirtschaft und – mit steigendem Anteil – Privathaushalte. Die Basler Anlaufstelle schätzt, dass mittlerweile über die Hälfte der Sans-Papiers von Privaten beschäftigt werden: Sie betreuen Betagte, hüten Kinder oder helfen im Haushalt.