Literatur
Sex Sells und Sibylle Berg weiss, wies geht

Sibylle Berg schreibt über ein Paar Mitte vierzig, dass die aufregendsten Zeiten hinter sich hat. Bis die Frau fremdgeht. Am Mittwochabend liest die Kultautorin in der Kaserne Basel.

Susanna Petrin
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Sibylle Berg war 2012 mit ihrem letzten Roman für den Schweizer Buchpreis 2012 nominiert. Nun kommt sie wieder nach Basel, um aus ihrem neuen Roman «Der Tag, als meine Frau einen Mann fand» zu lesen. Mit Musik. Georgios Kefalas/Keystone

Sibylle Berg war 2012 mit ihrem letzten Roman für den Schweizer Buchpreis 2012 nominiert. Nun kommt sie wieder nach Basel, um aus ihrem neuen Roman «Der Tag, als meine Frau einen Mann fand» zu lesen. Mit Musik. Georgios Kefalas/Keystone

KEYSTONE

Beschreibt Sibylle Berg hier ein geriatrisches Ehepaar beim letzten Aufzucken kurz vor dem Ableben? Leicht könnte man diesen Eindruck gewinnen. So abgelöscht, antriebslos, von sich und vom Leben angeekelt wirken die beiden. Sie, Chloe, bedauert, dass er, Rasmus, seinen Beruf nicht als das erkenne, was er sei: «ein Zeitvertreib im Warten auf den Tod». Er hat solche Angst, dass er den gesamten Tag die «zusammengekrampften Zehen» nicht öffnen kann. Sex ist etwas, das sie über sich ergehen lässt und er nur auszuführen im Stande ist, wenn seine Blase ihm auf die Prostata drückt. Das Paar ist ungefähr Mitte vierzig.

Die Umgebung, in der sich das depressive Duo durch den Tag schleppt, unterstreicht die Endzeitstimmung. Eine Autobahn trennt den schmuddligen Strand vom Billighotel, dessen Prolo-Gäste stets den verwesenden Geruch des nahen Schlachthofs in der Nase haben. Alles hier ist am Verrotten. Auch die alte Liebe. Sie muss einer neuen weichen: Chloe lernt einen Masseur kennen und ficken. Selten wurde Sex mechanischer und liebloser beschrieben, wie Sibylle Berg es nun in «Der Tag, als meine Frau einen Mann fand» in aller Ausführlichkeit tut. Dennoch wird behauptet, es sei Leidenschaft.

Handwerklich dürftig

Dieser Roman ist widerlich. Das ginge ja noch. Wie Sibylle Berg mit ihrem sezierenden Blick in lakonischer Sprache die Armseligkeit der menschlichen Existenz blosslegt, hat in einigen ihrer früheren Werke Spass gemacht. Aber Berg beginnt sich zu wiederholen. In diesem neuen, ihrem vielleicht schwächsten Buch, sprechen nicht zwei verschiedene Figuren, sondern es spricht zweimal die Kolumnistin Berg. Die inneren Monologe der beiden Protagonisten ähneln sich sprachlich und inhaltlich – sie strotzen vor abgeklärten, wenig originellen Meinungen. Die Autorin will sich mit gesellschaftskritischen Sentenzen profilieren. Ihre Eitelkeit geht auf Kosten interessant gestalteter Charaktere und einer Handlung.

Sowie auf Kosten des Feminismus. Berg kritisiert zwar in Interviews den kapitalistischen Anspruch auf perfekte Körper. Aber mit ihren ständigen Beschreibungen von zu dicken Hintern, zu grossen Brüsten, Cellulitis und Speckfalten untermauert sie, was sie kritisiert. Statt sich von den perfekten Körperbildern der Werbeindustrie zu emanzipieren, verstärkt sie die Sehnsucht danach ex negativo. Noch ärgerlicher wird es, wenn sie die Frau als zu faul, Karriere zu machen, beschreibt.

Der Philosoph Antonio Gramsci sagt, man sei als intelligenter Mensch ein Pessimist aus Vernunft, aber ein Optimist aus Willen. Sibylle Berg ist eine Pessimistin aus Intelligenz und Willen. Aber mit ihrer Zynik der Vernunft macht sie es sich mittlerweile zu einfach. Auch wenn es manchmal scheint, dass es das ist, was sie glaubt: Sibylle Berg ist nicht die Einzige, die begriffen hat, dass wir alle einmal werden sterben müssen. Menschenverachtende Sprüche reissen, ist leicht. Aller Ironie zum Trotz – im Kern den Wert des Lebens, die Würde des Menschen und die Liebe zur Welt zu vermitteln, das ist schwer.

Sibylle Berg tritt am Mittwoch um 20 Uhr mit Patrick Frey und der Einmannband Fai Baba in der Kaserne Basel auf.