Anwalt Stefan Suter will für die SVP in die Regierung – obwohl er nur bedingt zu dieser Partei passt.
Geplant war ein Gespräch von 45 Minuten, es wurden eineinhalb Stunden. Das hängt damit zusammen, dass Stefan Suter in vielen Bereichen nicht in die Sünnelipartei passt, für die er als Regierungskandidat antritt. Während die Mutterpartei auch mal mit rechtskräftig als rassistisch beurteilten Slogans wie «Kosovaren schlitzen Schweizer auf» Stimmung macht, sagt der 56-Jährige Sätze wie: «Wegen der humanitären Haltung der Schweiz im Kosovokrieg gibt es hierzulande kein Dorf mehr, in dem keine Kosovaren wohnen. Ich finde das grossartig.» Sätze, die man in der noch immer von Herrliberg gelenkten Partei selten hört.
Andererseits kennt der Anwalt, der vor Gericht immer frei referiert, nach drei Jahrzehnten jeden rhetorischen Winkelzug, um sich argumentativ nicht in die Enge treiben zu lassen. Etwa wenn es um das Thema Migration geht. Die SVP ist bekannt für ihre restriktive Asylpolitik. Suter selber betreibt seit 20 Jahren ein Hilfsprojekt im südlichen Madagaskar, einer der ärmsten Gegenden der Welt. Jeden Tag telefoniert er mit seinen Leuten vor Ort. Regelmässig reist er auch auf die Insel. Elf Stunden Flug ab Paris, gefolgt von einem Inlandflug, anschliessend vierzehn Stunden Autofahrt.
Sein Verein baut Schulen, Brunnen, Häuser für Obdachlose und Behinderte, Staudämme und weitere Infrastruktur. «Ich bin grundsätzlich immer auf der Seite der Armen», sagt Suter. Aber wenn es abends in den Armenvierteln dämmert, müsse er weg, «sonst wird es lebensgefährlich». Armut sei immer auch ein Sumpf von Kriminalität, so Suter, der auch durch seinen Job als Strafverteidiger die dunkelsten Seiten der Menschen kennt. Und er erzählt eine Geschichte, die sich vor wenigen Wochen ereignet hat: Der Wächter eines eben von seinem Hilfswerk errichteten Staudamms sei entführt worden. Die Täter stellten eine Lösegeldforderung von umgerechnet 20000 Franken an den Schweizer Wohltäter. Suter versuchte, auf Zeit zu spielen, mit Erfolg: Der Stammesälteste des Dorfes erfuhr vom Vorfall, konnte die Entführer identifizieren und drohte ihnen mit brutaler Vergeltung. Am nächsten Tag war der Wächter wohlbehalten zurück.
Das Dilemma zwischen Moral und Realität zeige sich auch in der Migrationspolitik. Die einfachste Lösung gegen Migration wäre eine konsequente Abschottung – «aber ich bin gegen Mauern», sagt der Sohn eines Grenzwächters. Und viele Politiker, die meinen, mit ein bisschen Hilfe vor Ort das Problem lösen zu können, hätten schlichtweg keine Ahnung von den Verhältnissen in Afrika. Wo genau Suter selber ansetzen würde, bleibt allerdings unklar. «Es gibt zur Migrationsfrage keine einfache Lösung», sagt er.
Suters konträre Ansichten zu zentralen Forderungen der SVP ziehen sich als roter Faden durch das Gespräch. In Riehen setzte er sich vergangenes Jahr als Präsident mit der Pfarrwahlkommission für einen Kandidaten ein, der wegen einer sexuellen Handlung mit Kindern vorbestraft ist. Es sei nur um eine Fussmassage gegangen, und jeder habe eine zweite Chance verdient, argumentierte der Jurist. Seine Partei dagegen setzte sich in den vergangenen Jahren für ein Berufsverbot für Pädophile und die Unverjährbarkeit solcher Straftaten ein. Suter: «Für die Forderung nach Unverjährbarkeit habe ich kein Verständnis.»
Auch bei der aktuellen Diskussion über die osteuropäischen Bettelgruppen vertritt er eine andere Haltung als seine Partei. «Ich fühle mich nicht belästigt. Die Bettler verstehen ein klares Nein und lassen mich dann in Ruhe», sagte er gegenüber dem «Regionaljournal» von SRF. Sogar die Begrenzungsinitiative – für die anderen bürgerlichen Parteien der Grund, nicht zusammen mit der SVP in den Wahlkampf zu ziehen – lehnt Suter ab. «Die Abstimmung ist sowieso gelaufen», meint er trocken. Damit werde das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union zum Thema, und da sei er klar dagegen: «Die Schweiz würde ihre Entscheidungskompetenzen verlieren, die EU alleine die Weiterentwicklung des Rechts bestimmen.» Die Europafrage sei letztlich das verbindende Element aller SVP-Wähler.
Er sei kein Parteisoldat, sondern ein autonomer Kopf, so der Riehener. Und: «Der Umstand, dass ich praktisch einstimmig von der Basis nominiert wurde, zeigt doch, dass die Partei will, dass ich meine Ansichten auch vertrete.» Doch sobald man in eine Partei eintrete, kriege man halt einen Stempel aufgedrückt. «Am Schluss aber muss der Mensch stimmen, nicht die Parteizugehörigkeit.» Die SVP musste denn auch einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Anfangs lehnte Suter das Angebot der Partei ab, ohne die anderen bürgerlichen Parteien an der Seite schien eine Kandidatur chancenlos. «In den weiteren Gesprächen ist mein Interesse dann gewachsen.»
Suter ist sicherlich der aussergewöhnlichste Kandidat, mit dem die SVP bisher den Sprung in die Regierung probiert hat. Er ist allerdings auch ein Verlegenheitskandidat der Partei. Der Basler SVP, zermürbt durch jahrelange Machtkämpfe und Intrigen, fehlt schlichtweg die Personaldecke, um momentan eine eigene aussichtsreiche Kandidatur zu stemmen. Dazu kommt, dass auch in der Partei selber kaum jemand ernsthaft an den Erfolg einer Regierungskandidatur glaubt. Die Klatsche für Lorenz Nägelin, der vor vier Jahren zusammen mit den anderen bürgerlichen Parteien antrat, ist noch sehr präsent. Ein Alleingang ist da quasi chancenlos. Wer in der Partei mit höheren Weihen liebäugelt, schielt momentan Richtung Nationalratswahlen 2023.
Suter selber scheint dies nicht zu kümmern. Wenn der Jurist über seine angestrebte Tätigkeit in der Regierung spricht, nutzt er öfters Futur I als den Konjunktiv. Er sei in der Lage, jedes Departement zu übernehmen, vom beruflichen Hintergrund sei aber sicherlich das Justiz- und Sicherheitsdepartement naheliegend. Seine Ziele sind eine wirtschaftsfreundliche Politik und der Abbau von Bürokratie.
Doch auch ein politisches Scheitern wäre für ihn verkraftbar. Suter ist Anwalt mit Leib und Seele: «Ich bin immer im Beruf. Aber kaum je belastet», sagt er. So könne es auch sein, dass ihm in der Freizeit – Suter hat eine kleine Schafherde, besitzt 60 Hochstammbäume und bewirtschaftet Wald – plötzlich eine zündende Idee für ein rechtliches Problem einfalle. Er möge die verschiedenen Rollen, die der Anwaltsberuf biete: «Am Morgen bin ich Verteidiger in einem Verfahren, am Nachmittag in einem anderen Opfervertreter.»
Bekannt wurde Suter, als er Ende der 1990er-Jahre den Financier Werner K. Rey verteidigte, später die Pilotenverbände der ehemaligen Crossair gegen ihren neuen Arbeitgeber Swiss und Bischof Kurt Koch gegen den Röschenzer Pfarrer Franz Sabo vor Gericht vertrat. Prägend seien für ihn aber andere Fälle gewesen: «Wenn jemand am Anfang offenbar keinen Anspruch hat und am Ende sein Glück findet, sind das mindestens so schöne Fälle.»