Seit dem 1. Juli ist in Basel-Stadt das Mindestlohngesetz in Kraft. Doch noch immer streiten Arbeitgeber und Gewerkschaften mit dem Kanton über den Geltungsbereich und Ausnahmen. Nur ein Beispiel: Ungeklärt ist, ob den Chauffeuren der Behindertentransporte IVB mindestens 21 Franken pro Stunde ausbezahlt werden muss.
Seit dem 1. Juli gilt in Basel-Stadt ein Mindestlohn von 21 Franken. Das Gesetz ist kompliziert und kennt zahlreiche Ausnahmen: So dürfen unter anderem in Branchen mit Gesamtarbeitsvertrag Stundenlöhne unter 21 Franken ausbezahlt werden. Obwohl das Basler Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) in den vergangenen Monaten mit den Sozialpartner intensiv über den Geltungsbereich des Basler Mindestlohns verhandelte, ist auch nach Inkrafttreten noch immer nicht alles klar.
Eine Unschärfe betrifft Herkunft und Arbeitsort der Arbeitnehmenden: Der Mindestlohn gilt laut Verordnung für solche, deren «gewöhnlicher» Arbeitsort in Basel-Stadt liegt. Gewöhnlich bedeute vorliegend «regelmässig», erklärt Michael Mauerhofer, Leiter Arbeitsbedingungen im AWA. Gilt der Mindestlohn auch für den Kurier eines Pizza-Lieferdiensts mit Sitz in einer Baselbieter Agglogemeinde, der regelmässig Essen über die Kantonsgrenze in die Stadt ausliefert? «Wenn er einen Grossteil seiner Arbeitszeit im Kanton Basel-Stadt tätig ist, dann sagen wir: Ja.»
Im Kanton Genf, wo seit 2021 ein Mindestlohngesetz in Kraft ist, kontrollierten die Behörden bei Essenslieferdiensten die Auftragsbücher. Solche Kontrollen dürfe Basel-Stadt auch bei einem Unternehmen vornehmen, das seinen Sitz im Baselbiet hat, betont Mauerhofer.
Saskia Schenker, Direktorin des Basler Arbeitgeberverbands, reagiert ungehalten: Im Beispiel sei der Arbeitsort des Pizza-Kuriers im Baselbiet, er beginne sein Tagwerk da und beende dieses auch im Landkanton:
«Arbeitnehmende von ausserkantonalen Betrieben, die Aufträge in Basel-Stadt erledigen, fallen nicht unter die Mindestlohn-Verordnung. Deshalb ist der Kanton nicht berechtigt, solche Betriebe zu kontrollieren.»
Sollte er dies doch tun, würde man sich rechtliche Schritte überlegen, stellt Schenker klar. Anders sei es freilich bei Arbeitnehmenden ausserkantonaler Unternehmen, die ihren Arbeitsplatz fix in der Stadt haben. «Dass hier der Mindestlohn gilt, bestreiten wir nicht», stellt Schenker klar. Dies entspreche der Definition in der Verordnung und werde in den anderen Kantonen mit Mindestlöhnen so angewendet.
Kritik kommt auch von den Gewerkschaften: Die Regelung des geografischen Geltungsbereichs via eine nicht näher definierte «Regelmässigkeit» sei unzureichend, sagt Daria Frick, Sprecherin der Unia Aargau-Nordwestschweiz. Inhaltlich hat sie eine andere Einschätzung als Arbeitgeber-Direktorin Schenker: Laut Binnenmarktgesetz müssten Mindestlöhne eingehalten werden, wenn ausserkantonale Arbeitgeber ihre Angestellten in Kantone mit Mindestlöhnen entsenden.
Daneben wird noch immer über weitere Ausnahmen vom Mindestlohn diskutiert, wie AWA-Bereichsleiter Mauerhofer bestätigt. Dabei geht es um Unternehmen und Organisationen, die in der beruflichen Integration tätig sind. Eine solche ist die Behindertenselbsthilfe beider Basel (IVB), die unter anderem Transporte für Menschen mit Beeinträchtigungen durchführt.
Rund 40 der 70 Mitarbeitenden der IVB sind im Stundenlohn angestellt und erhalten für ihre Chauffeurdienste einiges weniger als 21 Franken, die Rede ist von 14 bis 16 Franken brutto pro Stunde. Dabei handle es sich vielfach um Personen, die ergänzend eine IV-Rente erhalten, führt IVB-Präsident Marcel W. Buess aus.
Müsste die IVB ihnen den gesetzlichen Mindestlohn entrichten, hätte dies gleich zweifach negative Auswirkungen: Einerseits drohten den IV-Beziehenden empfindliche Rentenkürzungen, weil sie mit ihrer Teilzeit-Tätigkeit nun «zu viel» verdienen. Anderseits würde der Mindestlohn die Tarife für die Behinderten und Betagtentransporte um 25 bis 30 Prozent erhöhen: Damit würde es für die Kunden aus wirtschaftlichen Gründen noch schwieriger, die Dienstleistung der IVB in Anspruch zu nehmen.
Summa summarum bringe der Mindestlohn für die IV-Beziehenden unter seinen Angestellten nichts. Buess findet:
«Ihre Lebensbedingungen werden damit nicht verbessert. Dabei wäre das laut Gesetz der Zweck des Mindestlohns.»
Bei den 30 Festangestellten, die zumeist in Verwaltung, Disposition und Patiententransport tätig sind, liegen die Monatslöhne deutlich über den Anforderungen des Mindestlohngesetzes, stellt er klar.
Die Diskussionen seien am Laufen, zwischen AWA und IVB hat letztmals im Mai ein Hearing stattgefunden. «Zentral ist, dass es uns gelingt, gleich lange Spiesse zu gewährleisten», betont Mauerhofer. Gewerkschafterin Frick kommentiert den Fall IVB nicht. Allgemein kritisiert sie aber die Verordnung, wonach die Regierung in «Einzelfällen» bei Menschen mit Beeinträchtigungen gemeinsam mit Arbeitgebern über Ausnahmen entscheide. «Damit wird letztlich das Mindestlohngesetz verwässert.»
Mitarbeitende der IVB im Fahrdienst sind im Stundenlohn angestellt und erhalten für ihre Chauffeurdienste einiges weniger als 21 Franken, die Rede ist theoretisch von 14 bis 16 Franken brutto pro Stunde. Da die Chauffeure aber nur die Arbeitszeit aufschreiben dürfen, wenn diese einen Kunden transportieren, die Hin- und Rückfahrt sowie die Wartezeit bis zum nächsten Auftrag werden ihnen nicht vergütet. Somit verdienen die Chauffeure der IVB auf die ganze Präsenzzeit in den meisten Fällen weit unter 10 Franken pro Stunde. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit Basel-Stadt unternimmt zum Schutz der Chauffeure keine Arbeitszeitkontrolle bei der IVB.