Die Choreografin untersucht in ihrem neuen Tanzstück Sexualität und Liebe. Entstanden ist ein schonungsloses Spiel mit der Verlegenheit des Publikums: bunt, witzig, unterhaltsam.
Eine Nacht, die wir nie vergessen werden: Das soll dieser Tanzabend sein, sagt der halbnackte Mann auf der Bühne und kichert. Performer Sotiris Vasiliou spottet über die Künstlerin Alexandra Bachzetsis, die in der Kaserne Basel diese Woche ihr neues Werk «2020: Obscene» zeigt. «Die Mehrheit von Euch kennt ihre Stücke nicht, seien wir ehrlich», fährt der Tänzer fort. «Wir flehen Dich an, Alexandra, hör sofort auf damit.»
Die kurze Szene steht exemplarisch für Choreografin Bachzetsis, die mit ihren Arbeiten schon ins Museum of Modern Art in New York oder in die Londoner Tate Modern eingeladen wurde. Selbstironie und Humor sind ihr wichtig – und kommen im neuen Stück besonders gut zur Geltung.
Dabei hat sich Bachzetsis keinen leichten Inhalt ausgesucht. Ihre Performance, die sich wie die meisten ihrer Arbeiten zwischen Kunstinstallation und Tanz bewegt, befasst sich mit Sexualität und dem Tod. Und das zuweilen äusserst explizit: mit nackter Haut, eindeutigen Bewegungen, Sexspielzeug und Videoprojektionen.
Das wirkt mal obszön, mal abstossend. Eine bewusste Provokation der Zürcherin. Sie habe herauszufinden versucht, was voyeuristisch, was exhibitionistisch wirke, sagt sie im Gespräch, und liefert die Antwort gleich mit: «Obszön ist für mich, andere in ihrer Intimität zu beobachten.»
Und so setzt Bachzetsis das Publikum der Intimität der vier Darstellenden, sie selbst inbegriffen, schonungslos aus. «Anders als im Museum kann sich das Publikum im Theater in der Dunkelheit von allem distanzieren», erklärt Bachzetsis. «Das finde ich zu einfach. Ich möchte die Leute mit sich selber konfrontieren.»
Bequem ist dieser Abend also nicht – dafür oder gerade deswegen aber ein grosses Vergnügen. Die Kunst liegt im geschickten Umgang mit einer plakativen Bildsprache. So plump manche Szenen im ersten Moment erscheinen, so rasch löst die Inszenierung sie wieder auf, wechselt von der öffentlichen Selbstbefriedigung zur Angst um die Vergänglichkeit der Jugend.
Das Ganze unterlegt die Künstlerin mit einem Bühnenbild, das mit knalligen Farben für eine eigene Optik sorgt, die es im Theater selten zu sehen gibt. Wohl auch deswegen schafft es die Arbeit der Künstlerin regelmässig ins Museum. Auch mit «2020: Obscene» ist das Bachzetsis gelungen. Die Arbeit wird als Videoinstallation ab Mitte März im Kunsthaus Zürich zu sehen sein.
Die Choreografin beweist mit ihrem neusten Stück, wie vielfältig ihr Werk ist. Wer bisher erst ihr Stück «Étude» (2012) gesehen hat, dürfte baff sein. Damals verzichtete sie auf Musik und Text, zehn Stücke später bringt sie ein halbes Konzert auf die Bühne. Immer wieder sind da Referenzen an Filme und legendäre Musikstücke. Der Achtzigerhit «Forever Young» ist nicht bloss Soundtrack, der Song karikiert bei Bachzetsis die Selfie-besessenen Gesellschaft.
Sie beobachte eine extreme Tendenz der Selbstinszenierung, sagt Bachzetsis. Ein Trend, der sich mit der Pandemie verstärkt habe. «Ich wollte den extremen Beautywahn und Körperkult unserer Zeit auf die Spitze treiben», so die Künstlerin, die mit «Archetypen» von sexueller Konnotation arbeitet.
Mode, das letzte Element in diesem bunten Gefüge, ist deshalb essenziell: Einmal sind es die langen Haare, ein anderes Mal die hohen Hacken («die Louboutin-Heels müssen einfach echt sein») oder der Schulmädchen-Look mit Mini-Jupe und enger Bluse.
Entstanden ist eine lustvolle Mischung aus Kunst, Humor, Mode, Musik und Sex, die auch in Basel gut ankommen dürfte. Angst braucht niemand zu haben: Das Licht im Publikum bleibt aus. Die Schamesröte sieht niemand, versprochen.
2020: Obscene
Kaserne Basel, 2./3.3., 20 Uhr, in englischer Sprache.
www.kaserne-basel.ch