«4 ½ Jahreszeiten» vereinigt Musikerinnen, Schauspieler und Tänzer zu einem zauberhaften und hintersinnigen musikalischen Traumspiel.
Wenn Thom Luz auf dem Besetzungszettel steht, muss man sich darauf gefasst machen, dass alles etwas anders ist, als man es vom Theater, von der Oper, vom Ballett, vom Schauspiel gewohnt ist. Nur auf eines kann man sich verlassen: Auf den Einsatz von Nebelmaschinen, die einen traumhaften Schleier über all das legen, was auf der Bühne geschieht.
Für dieses Mal setzt Luz den Nebel zurückhaltend ein, für das Schleierhafte sorgen vielmehr Leinwände, die heruntergefahren werden und für Schattenspielmomente sorgen. Doch wir wollen hier nicht beim Technischen bleiben. Für den technischen Ablauf des Abends ist der bis an die Grenze zur Lethargie abgeklärte Orchesterdisponent (Martin Hug) zuständig. Von seinem schwebenden Kabäuschen aus ruft er die Musikerinnen und Musiker zur Orchesterprobe auf.
Wir Zuschauerinnen und Zuschauer bleiben auf einer Tribüne auf der Hinterbühne sitzend vorerst vom Geschehen ausgeschlossen. Der Theatervorhang ist zu, lediglich über ein paar Videobildschirme sind Blicke in den Orchestergraben zu erhaschen. Dort sollen die «Jahreszeiten» geprobt werden. Und bereits kommt es zu ersten Konflikten: Sind die «Jahreszeiten» von Antonio Vivaldi gemeint oder die von Joseph Haydn?
Es kommt zur ersten «Jahreszeiten»-Kakophonie. Haydn setzt sich aber schliesslich durch. Aber damit sind die Konflikte nicht ausgeräumt. Nach und nach schickt der Dirigent einzelne Instrumentalistinnen und Instrumentalisten raus: Zuerst die Flötistin, dann die Cellistin, gefolgt vom Klarinettisten, der Violinisten, dem Bratschisten, dem Schlagzeuger, dem Triangel-Spieler.
Nach und nach schlüpfen die Musikerinnen und Musiker durch den Vorhang zu uns Zuschauerinnen und Zuschauer auf die Hinterbühne. Und jetzt beginnt das seltsam abgehobene und zugleich eigentlich recht realitätsnahe Spiel jenseits eines wirklich nachvollziehbaren Handlungsstrangs.
Was tun Musikerinnen und Musiker, wenn sie aus dem Orchester ausgeschlossen und in die Wartezone verbannt werden? Sie essen ein Sandwich, gucken auf einem der Videobildschirme Fussball. Sie testen mit den Pauken-Schlegeln die Akustik des Bühnenbodens aus und entdecken zu zweit und zu dritt, dass man ein Cello auch spielen kann, indem man das Instrument bewegt und nicht den Bogen.
Mit der Zeit lösen sich die Musikerinnen und Musiker aus ihrem individuellen Zeitvertreibs-Modus und finden zu Ensemblemomenten zusammen. Zum harmonischen Haydn, zu leicht ins Disharmonische überleitenden Kompositionen von Charles Ives, zur gemeinsam gesungenen Italo-Schnulze «Maledetta Primavera», um dann aber wieder auseinanderzudriften.
Dazu der lakonische Kommentar des Inspizienten: Es sei zu beobachten, dass bei Haydens «Jahreszeiten» der Sommer und der Herbst immer öfters gleichzeitig gespielt würden und sich die Musiker nicht zusammenraufen könnten, den Herbst erst nach dem Sommer anzusetzen.
«Mit solchen unharmonischen Überlagerungen werden wir öfter rechnen müssen.»
Das kann man als Kommentar zur Klimakrise oder aber auch nur zum vergangenen Sommer lesen. Oder nicht. Der Abend mit dem wunderbaren aus Musikerinnen und Musikern des Kammerorchester Basel, Schauspielern und Tänzern zusammengewürfelten Ensembles, verzichtet auf klar deutbare Hinweise. Es ist vielmehr ein zauberhaft vieldeutiges und hintersinniges Traumspiel, in das man hineingezogen wird, das wunderbare musikalische und tänzerische Momente beinhaltet und das unzählige Anhaltspunkte zum Einhaken und Weiterdenken bietet.
«4 ½ Jahreszeiten», Sinfonie-Überschreibung von Thom Luz auf der Grossen Bühne des Theater Basel.