Theater Basel
Tropenliebe im Dickicht der Dialoge – «Die Wiederauferstehung der Vögel»

Am vergangenen Wochenende feierte Katrin Hammerls Inszenierung von «Die Wiederauferstehung der Vögel» am Theater Basel Premiere.

Iris Meier
Drucken
Dass Paul und Fritz ganz in Weiss gekleidet sind, liegt vielmehr an der damals üblichen Mode für Tropenreisende. (Archivbild)

Dass Paul und Fritz ganz in Weiss gekleidet sind, liegt vielmehr an der damals üblichen Mode für Tropenreisende. (Archivbild)

zvg ETH Bibliothek

Basel, 1877. Die Seidenbandfabrikanten-Familie Sarasin sitzt in bunten Seidenkleidern am langen Esstisch. Das Gespräch allerdings läuft nicht so geschmeidig. Die fromme Mutter (Isabelle Menke) hat was über Hegel gehört und möchte nun «die Geschichte reparieren». Der Patriarch (Andrea Bettini) hat viel gearbeitet und möchte Ruhe.

Sohn Paul (Simon Kirsch) und Grosscousin Fritz (Maximilian Kraus) grinsen einander verliebt an und möchten sich nebeneinandersetzen. Da erklingt, wie ein Warnzeichen, ein lauter Paukenschlag. Ihre gegenseitige Zuneigung ist tabu im protestantischen, konservativen Milieu. Auch ins Studienzimmer sollen die beiden Jünglinge nicht allein, darauf besteht Schwester Adalie. Dass die Vornamen mit Ausnahme von Fritz und Paul nicht mit den historischen Figuren übereinstimmen, verrät uns eines: Autor Thiemo Strutzenberger geht es nicht um die Familiengeschichte der bedeutenden Patrizierfamilie Sarasin. Wir werden nichts über Fritz und Pauls sympathischen Urgrossvater Jakob erfahren, der das Weisse Haus hat bauen lassen. Dass Paul und Fritz ganz in Weiss gekleidet sind, liegt vielmehr an der damals üblichen Mode für Tropenreisende.

Eine Dissertation als Theaterstück

«Tropenliebe» heisst das Buch, das Strutzenberger zu seinem Stück inspirierte. Bernhard C. Schärs 2015 erschienene Dissertation ermöglicht einen neuen Blick auf die Kolonialgeschichte der Schweiz, «die lange dachte, dass sie keine hatte». Er untersucht die Sulawesi-Expeditionen der Gross-Vettern Sarasin um 1900 und zeigt auf, welche Vorteile ihre Beziehung zur niederländischen Besatzung beiden Seiten brachte. Die Kolonialherren organisierten ihnen zahlreiche «Kulis», welche die Lasten der Expedition zu schleppen hatten. Umgekehrt spurten die Expeditionen der Sarasins die blutige Invasion der niederländischen Kolonialmacht vor.

Nächste Vorstellungen

30. Januar, 4., 10. und 12. Februar

Wie macht man aus einer Dissertation ein Theaterstück? Auch wenn Schärs Schreibstil angenehm süffig ist, eine Doktorarbeit in eine Bühnenfassung zu transformieren, ist ein Abenteuer. Einen Teil der kolonialhistorischen Ereignisse legt Strutzenberger einem Vogel, dem Grossfusshuhn, in den Schnabel: «Und aus der Mitte von Europa kamen die Naturforscher und wollten nach der Erde und nach Lebewesen seh’n. Sie schritten über Wege hin, die vorher unbekannt gewesen sind. Auf ihnen zog nun die Armee der Niederländer ein.»

Menke, Winzenried und Bettini wirken witzig in ihren Federboas. Ob der Humor die Tragik des Kolonialismus betont oder schwächt, ist Geschmackssache. Ebenso das mit den Jamben. Nicht nur sind die Themen der Dissertation komplex, Strutzenberger bringt sie auch noch in eine höchst rhythmisierte Sprache. Wenn Fritz also im Gespräch mit einem witzig unkonzentrierten Missionar (Urs Peter Halter) um die Vereinbarkeit von Theologie und Naturwissenschaft ringt, derweil Paul den einheimischen Übersetzer (Jonas Götzinger) im Habitus europäischer Überlegenheit über die Evolution belehrt, muss sich das Publikum schon sehr konzentrieren, um vor lauter Bäumen den Urwald noch zu sehen.

Erotisches Interesse am Körper des Anderen

Auf der Bühne wird das Gefühl von Tropen weniger visuell als über ein überzeugendes Klangkonzept und die Choreografie (Gina Gurten) vermittelt. Was fehlt, ist eine Vertiefung der Liebesgeschichte der Gross-Vettern. Pauls Liebesgedichte an Fritz oder Fritz’ Nekrolog auf Paul sind berührende Zeugnisse eines Paares, das in einer Zeit, in der Homosexualität strafrechtlich verfolgt wurde, die gegenseitige Zuneigung lebte.

Die Stationen ihrer Liebe kommen nicht auf die Bühne. Stattdessen tanzt Fritz mit dem Missionar, während sich in Pauls Komplimenten an den Übersetzer eine Form des Begehrens zeigt, die Schär als «das erotische Interesse am Körper des Anderen» bezeichnet. Umgekehrt wäre bei einer zu starken Betonung des Privaten die kritische Auseinandersetzung mit den kolonialen Verflechtungen zu kurz gekommen. Bereits jetzt geht sie im Dickicht der Dialoge etwas verloren.

Der Container des Bühnenbildes, der sich in viele Richtungen deuten lässt, ist auch ein Bild dafür, dass hier doch ziemlich viel Theorie in eine Kiste gepackt wurde. Und doch: Katrin Hammerls Inszenierung ist anregend.