Gesundheit
Überfüllte Notfallstationen: Jeder Dritte könnte auch zum Arzt

Leif Simonsen
Drucken
Viele Patienten müssten eigentlich gar nicht in den Notfall.

Viele Patienten müssten eigentlich gar nicht in den Notfall.

Kenneth Nars

Immer weniger Menschen haben einen Hausarzt – sie gehen mit Verletzungen und Krankheiten gleich ins Spital. Das Universitäre Kinderspital beider Basel (UKBB) ist davon besonders betroffen. Als am Dienstag der Jahresbericht vorgestellt wurde, war von «seit Jahren steigenden Zahlen» im Notfall die Rede. «Dies ist insofern unerfreulich, als es sich bei einem grossen Teil der Besuche um Bagatellfälle handelt, die keiner Notfallbehandlung bedürfen», hiess es in der Medienmitteilung.

Es ist dies einer der vielen Gründe für die steigenden Gesundheitskosten, denn die Behandlung im Notfall ist um ein Vielfaches höher als diejenige beim Hausarzt. Zudem sind die Notfallzentren der Spitäler überfüllt. Im vergangenen Jahr wurden im UKBB 32'273 Patienten auf dem Notfall behandelt. Tausend mehr als ein Jahr zuvor.

Das Notfallzentrum des Universitätsspitals Basel (USB) beobachtet einen ähnlichen Trend. Insbesondere in den Jahren 2013 bis 2016 sei eine Zunahme verzeichnet worden, sagt USB-Pressesprecher Nicolas Drechsler. Danach habe sich die Zahl eingependelt. Im vergangenen Jahr lag das Unispital bei rund 52'800 Notfällen.

Die Spitäler ringen seit Jahren um eine klare Haltung. Hinter vorgehaltener Hand ist von den vielen Bagatellfällen die Rede. Doch die Ärzte wollen auch keine falschen Signale senden und zu verstehen geben, dass der Notfall unter keinen Umständen aufzusuchen ist.

Die Präsidentin der grossrätlichen Gesundheitskommission, Sarah Wyss, bringt es auf den Punkt: «Es gibt ja nicht nur diejenigen, die wegen einer Bagatelle auf den Notfall rennen. Sondern es gibt auch einige, die sich zu spät in Behandlung begeben.»

Das USB führt Statistik über die Schwere der Notfälle. Drechsler sagt: «17'000 der Patienten, die sich in die Notfallaufnahme begeben, werden hospitalisiert. Weitere 17'000 brauchen eine vertiefte Abklärung und wiederum rund 17'000 könnten auch ausserhalb eines Universitätsspitals behandelt werden.» Dies würde allerdings nicht bedeuten, dass es sich dabei um Bagatellfälle gehandelt habe.

Aussagekräftiger sei der «Emergency Severity Index», der die Fallschwere in fünf Klassen unterteile. Das USB und das UKBB gewähren der «Schweiz am Wochenende» Einblick in die Statistik der Fallschwere. In Lebensgefahr befinden sich Patienten der Kategorien 1 (es braucht Sofortmassnahmen) und 2 (lebensbedrohliche Situation droht, Patient braucht in den nächsten zehn Minuten einen Arzt). Diese ersten beiden Kategorien werden gemeinhin als Notfälle bezeichnet. Die betroffenen Patienten leiden etwa an schwerster Atemnot oder Herzstillstand. Im USB-Notfall trifft dies auf 25,2 Prozent aller eingelieferten Patienten zu. Im UKBB sind es 23 Prozent.

In die Kategorie 3-5 werden diejenigen eingeteilt, die sich nicht in Lebensgefahr befinden. Patienten der Kategorie 3 und 4 brauchen «Ressourcen», wie es im Medizinerjargon heisst. Untersuchungen im Labor, Elektrokardiographie, Wundversorgung.

Und in die Kategorie 5 fallen jene, die gar keiner Behandlung bedürfen. Hierunter fallen aber auch die wenigsten: Im vergangenen Jahr liessen sich lediglich 2,3 Prozent im Uni-Spital wegen Nichtigkeiten einweisen. Über 70 Prozent fielen in die Kategorie 3 oder 4 – klassische Fälle für den Hausarzt.

Gebühren für den Notfall?

Während die Zahl der Bagatellfälle beim USB seit Jahren in etwa stabil ist, stellt das UKBB eine Zunahme fest, wie die Kommunikationsbeauftragte Geraldine Cairoli sagt.

Auch die Gesundheitskommission beschäftigt sich seit längerem mit den vollen Notfallzentren. Schliesslich sind die Kosten für die Behandlung auf dem Notfall ungleich höher als diejenige beim Hausarzt. Wyss sagt, dass sie auch schon überlegt habe, ob Gebühren bei den Besuchen der Notfallaufnahme sinnvoll seien.

Von dieser Idee sie nun aber weggekommen. Damit würden Leute von der Notfallbehandlung abgehalten werden, die wenig Geld hätten. Mit womöglich verheerenden Folgen. Sie setzt auf die strengere Regulierung der Spezialärzte im Kanton sowie darauf, dass die Hausarztmedizin gefördert wird. Momentan habe es noch genügend Hausärzte, sagt sie. «Doch wegen der demografischen Entwicklung wird es in ein paar Jahren zu wenige geben.»