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In der Orthopädie gibt es häufig Eingriffe, die nicht nötig wären. Die Gesundheitsdirektoren beider Basel wollen deshalb das Lohnsystem ändern. Boni für jene Ärzte, die viele Eingriffe machen, sollen ab 2021 nicht mehr erlaubt sein. Den Anfang macht das Unispital: Ab Januar gibts hier nur noch Fixlöhne.
In den Spitälern in der Region Basel wird zu viel operiert. Gemäss einer jüngst durchgeführten Erhebung werden in Baselland und Basel-Stadt jährlich 8000 Eingriffe mehr als nötig vorgenommen – allein diese unnötigen Operationen schlagen mit etwa 80 Millionen Franken pro Jahr zu Buche. Bereits bekannt ist: Die Gesundheitsdirektoren in Baselland und Basel-Stadt werden Massnahmen ergreifen und die Spitallisten straffen. Künftig sollen nicht mehr alle Spitäler alle Operationen durchführen können. Nun ergreifen die ersten Spitäler die Initiative, die Eingriffe zu deckeln. Wie das «Regionaljournal Basel» gestern berichtete, sollen die Orthopäden des Universitätsspitals Basel (USB) und des Bethesda-Spitals, die fortan kooperieren werden, künftig Fixlöhne bekommen. Gestrichen werden ab Januar die Boni, die sich nach der Anzahl der Operationen richten. Yves Acklin, der als Standortleiter «Orthopädie» mit seinem Team für die planbaren ambulanten und stationären Eingriffe im Bethesda-Spital zuständig sein wird, sagt gegenüber dem «Regionaljournal»: «Das System mit den Boni ist meiner Meinung nach ein falsches.» Es solle keinen Anreiz geben, mehr Operationen als nötig durchzuführen.
Welche notwendig sind und welche nicht, ist allerdings schwierig zu beurteilen. Nicolas Drechsler, Sprecher des Universitätsspitals, sagt denn auch, dass es keine Anhaltspunkte gäbe, dass im USB zu häufig zum Messer gegriffen wird. Es handle sich um ein generelles Problem im Gesundheitssystem. «Am Universitätsspital Basel werden die Operationen, ihre Indikationen und ihre Ausführung sowie die Qualität der Behandlung jeweils an den entsprechenden Rapporten vorgestellt.» Diese unterstünden somit einer ständigen Qualitätskontrolle. Damit werde bereits heute Fehlanreizen entgegengewirkt, sagt Drechsler.
Klar ist aber auch, dass gerade die Orthopädie am anfälligsten ist für Operationen, die eigentlich nicht nötig wären. Gemäss dem Versorgungsplanungsbericht der beiden Basel ist jede dritte Kniearthroskopie unnötig. Immerhin mehr als eine 20-prozentige Überversorgung besteht bei der Handchirurgie sowie bei der Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie. Die regionalen Gesundheitspolitiker reagieren dementsprechend mit Wohlwollen auf die Massnahme des Universitätsspitals. Sarah Wyss, Präsidentin der grossrätlichen Gesundheitskommission, sagt: «Prinzipiell finde ich es falsch, dass die Operateure für die Menge bezahlt werden.» Die Sozialdemokratin sieht den Moment gekommen, um das Gesundheitssystem als Ganzes zu hinterfragen.
Das neue Krankenversicherungsgesetz habe unter anderem zur Folge gehabt, dass vor allem auf die Menge geschaut werde und nicht auf die Qualität der operativen Eingriffe. «Natürlich ist es schwierig, diese zu messen», räumt Sarah Wyss ein. Aber in den skandinavischen Ländern gäbe es Ansätze, Werte zu erheben, wie gut es den Patienten nach den Operationen gehe.
Auch das Basler Gesundheitsdepartement begrüsst das neue Lohnsystem am Unispital und am Bethesda. «Es geht in die richtige Richtung», sagt GD-Sprecherin Anne Tschudin. Sie ist überzeugt: «Mengenabhängige Boni wirken sich kostensteigernd aus und lösen mehr Operationen aus, als medizinisch angezeigt wären.» Deshalb würden die beiden Gesundheitsdirektoren Lukas Engelberger (CVP, BS) und Thomas Weber (SVP, BL) bei der neuen Spitalliste ab 2021 mit allen Leistungserbringern vereinbaren, dass sie keine rein mengen- und umsatzgetriebenen Lohnelemente mehr vorsehen. «Qualitätssichernde Massnahmen wie zum Beispiel das Erreichen eines Qualitätslabels wären hingegen erwünscht und werden als sinnvoll erachtet», sagt Tschudin. Diese Vorgaben würden dann für alle Spitäler und für alle Disziplinen gelten.
Wenn es um Fallmengen geht, stehen aber vor allem die Privatspitäler im Fokus. Die Hirslanden-Klinik in Münchenstein und die Merian-Iselin-Klinik in Basel sorgen dafür, dass das Angebot in der Orthopädie grösser ist als der Bedarf. Für eine Stellungnahme zur Frage, ob die Streichung von Boni der richtige Weg zur Kostensenkung ist, war Hirslanden-Direktorin Beatriz Greuter gestern nicht zu erreichen.
Merian-Iselin-Direktor Stephan Fricker äusserte sich skeptisch. Die Löhne und Gehälter seien Teil eines normalen Anreizsystems. «Grundsätzlich bevorzuge ich das Leistungsprinzip bei der Gehaltsermittlung. Wer mehr leistet, soll auch mehr erhalten.» Bei fixierten Löhnen, so Fricker, würde unter Umständen verhindert, dass «im Zweifelsfalle und für die Unternehmung eine Extrameile gelaufen wird».
Tatsächlich birgt die Streichung der Boni für Eingriffe die Gefahr, dass sich die Chefärzte gänzlich aus dem operativen Geschäft zurückziehen. «Ein Fixum kann Dienst nach Vorschrift bedeuten, oder ein Ordinarius kann monatelang abwesend sein auf Kongressen und Veranstaltungen und so quasi gratis seinen Marktwert steigern zu Lasten der Unternehmung», sagt Fricker. Beim Universitätsspital besteht zudem die Gefahr, dass die Chefärzte sich vollumfänglich der Forschung widmen.