Verängstigter Drogenkurier wehrt sich mit Messer – und steht nun wegen versuchter Tötung vor Gericht.
Es ist eine mysteriöse Geschichte, die sich im September 2018 in der Basler Pilgerstrasse abspielte: Ein heute 30-jähriger Mann hört wenige Wochen nach einem Einbruch spätabends gegen 23 Uhr an seiner Wohnungstüre verdächtige Geräusche, stürmt mit einem Fleischmesser nach draussen und stellt einen Mann vor dem Haus. Er setzt Pfefferspray ein, es ergibt sich ein Gerangel, und schliesslich fügt er dem Unbekannten mit seinem Messer zehn Schnitte und Stiche an Schulter, Oberarm und Rücken zu.
Daraufhin ruft er selber die Polizei, der 30-Jährige sitzt als brasilianisch-deutscher Doppelbürger seither wegen Fluchtgefahr hinter Gittern. Das Messer fand die Polizei später hinter einer Parkbank. Diese Woche steht der Mann wegen versuchter vorsätzlicher Tötung vor dem Basler Strafgericht. Das Opfer flüchtete sich mit dem Velo nach Hause, seine Freundin fuhr ihn danach ins Spital. Anzeige wollte er nicht erstatten.
Um was es in jener Nacht tatsächlich ging, blieb allerdings auch am Mittwoch am ersten Verhandlungstag im Strafgericht völlig unklar. Das Opfer betonte, er habe sich in der Adresse geirrt und lediglich die Namen an den Briefkästen genauer angesehen. Auf Nachfrage hin gab er dann zu, dass er Kokain kaufen wollte. Cannabis hingegen konsumiere er seit fast 15 Jahren nicht mehr.
Beim 30-jährigen Angeklagten hingegen fand man in der Wohnung Cannabis, und er räumte ein, dass er gelegentlich auch an Freunde verkaufe. Die Staatsanwaltschaft geht allerdings davon aus, dass er im grossen Stil gehandelt und als Cannabiskurier gutes Geld verdient hat. Er ist auch schon mehrmals von der Polizei erwischt worden, als er die Ware auslieferte. Auch verschickte er regelrechte Werbe-SMS an seine Kunden. Ein Chatverlauf zeigt, dass er innerhalb kurzer Zeit problemlos Stoff für 3000 Franken organisieren konnte. Mit Kokain hat er allerdings nichts zu tun.
Auch die Rolle eines unbekannten Dritten bleibt unklar: Dieser habe dem Opfer die Flucht ermöglicht, indem er den 30-Jährigen in jener Nacht mit einer Schusswaffe bedroht habe. Ein Zeuge bestätigte lediglich, dass im nächtlichen Streit auf der Strasse insgesamt drei Männer beteiligt waren.
Auch die Beziehung der beiden Männer zueinander bleibt ein grosses Fragezeichen: Als das Opfer seine Aussagen machte, wurde die Mutter des Angeklagten im Zuschauerbereich wütend und mischte sich ein. «Mein Sohn sitzt da lebenslang wegen Dir, Du Arschloch», rief sie, woraufhin sie den Saal verlassen musste. Sie entschuldigte sich später beim Gericht.
«Lebenslänglich» steht indes gar nicht zur Debatte: Staatsanwältin Sabine Lustenberger forderte eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten wegen versuchter Tötung und gewerbsmässigem Drogenhandel. Dazu beantragte sie einen Landesverweis von zehn Jahren.
Verteidiger Thomas Zajac hingegen betonte, man könne hier nicht von gewerbsmässigem Handel sprechen, sein Mandant habe nur gedealt, um seinen Eigenkonsum zu finanzieren. Beim Einbrecher habe er zuerst nur den Pfefferspray eingesetzt. Als dieser ihm dann im Gerangel die Luft abgestellt habe, habe er das Messer eingesetzt. Dies sei als Notwehr erlaubt, sein Mandant sei daher freizusprechen. «Mein Mandant wollte keinen Streit anfangen, er wollte niemanden verletzen», sagte Zajac. Bei einem Schuldspruch sei allenfalls eine teilbedingte Strafe von drei Jahren angemessen. Die fünf Richter fällen das Urteil morgen Freitag.