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Die Basler Literaturszene sei heute langweilig - das findet auch Matthyas Jenny. Der Buchhändler, Autor und Erfinder zahlreicher neuer Basler Literaturformate wie dem Poesietelefon vermisst frische, interessante Initiativen.
Der Saal ist voll, wenn der Literaturspezialist Urs Heinz Aerni an der Volkshochschule Basel den Kurs «Wie veröffentliche ich ein Buch?» gibt. Der Briefkasten ist voll, wenn sich der Eingabeschluss für Basler Förderbeiträge an literarische Werke nähert. Das Basler Literaturhaus wird wieder voll sein, wenn am 27. März die U 20 Poetry Slam-Meisterschaften stattfinden. «Die Basler Literaturszene ist erfreulich lebendig und vielseitig», sagt Literaturhaus-Intendantin Katrin Eckert. «Sie ist sehr aktiv», sagt Aerni. «Es ist sehr erfreulich, wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt hat», sagt Regula Düggelin, die in der Kulturabteilung des Kantons Basel-Stadt für Literatur zuständig ist.
Düggelin hat seit 2004 den Vorsitz im Fachausschuss Literatur beider Basel. Zu ihren Aufgaben gehört, eingehende Manuskripte auf ihre Förderungswürdigkeit zu prüfen. Deren werden immer mehr: «Die Gesuchszahlen sind in den letzten Jahren stark gestiegen, einen richtigen Sprung erlebten wir 2013», sagt Regula Düggelin. Dabei stelle sie auch eine «Qualitätssteigerung» fest (vgl. Kasten).
Nur das Geld vermehrt sich nicht entsprechend. Der Ausschuss habe in den letzten Sitzungen aus finanziellen Gründen einige sehr gute Manuskripte ablehnen müssen. Und die Geförderten bekommen auch dieses Jahr eher den Minimalbeitrag von 15'000 statt des Basler Maximalbeitrags von 20'000 Franken, damit mehr Autoren zum Zug kommen können.
Für Manuskript-, Publikations- und Projektförderungen steht jährlich ein Budget von 160'000 Franken zur Verfügung – je 80'000 aus beiden Halbkantonen. Eine Aufstockung um 30'000 Franken ist 2014 vom Grossen Rat zwar gutgeheissen worden, steht nun aber aufgrund des zurückgewiesenen Budgets noch nicht fest. Zum Vergleich: Dem Kanton Zürich stehen insgesamt über 400'000 Franken für die Literaturförderung zur Verfügung.
Dank grösserer Budgets kann in Zürich und in Bern auch Erschienenes belohnt werden. Das fehle in Basel, sagt der hier lebende Autor Martin Dean, der in der Zürcher Literaturkommission sitzt. Er wünschte sich wenigstens den abgeschafften Literaturpreis wieder zurück (vgl. Wunschliste). Ein solcher Preis könne den Autorinnen und Autoren helfen, in der Masse wahrgenommen zu werden und beispielsweise einen Verlag zu finden, sagt Katrin Eckert. Letzteres sei immer schwieriger: Einige Schweizer Verlage sind eingegangen, die restlichen hatten es schon vor der Euroabwertung schwer genug, und in einem deutschen Verlag unterzukommen, ist für Schweizer Autoren nicht leicht.
Bücher und Manuskripte kann man zählen, das Finanzielle kann man messen, die Stimmung auszumachen ist schwieriger, erst recht bei dieser im Grunde stillsten aller Künste. Sie ist aber mit Sicherheit harmonischer als noch vor rund 20 Jahren. Damals lagen Basler Autorinnen und Autoren, allen voran Martin R. Dean, in einem heftigen, öffentlich ausgetragenen Streit mit Mitgliedern der Literaturkommission. Auch untereinander soll es sich unfreundlich gesinnte Fraktionen gegeben haben. «Es ging immer um Schreibhaltungen», erklärt Dean. «Dass es heute keine Kontroverse unter Autoren mehr gebe, empfindet er aber nicht als Fortschritt, sondern «als Ausdruck dessen, dass wir uns gänzlich auseinanderdividiert haben».
Die Basler Literaturszene sei heute langweilig, findet auch Matthyas Jenny. Er spricht von «AHV-Literatur». Der Buchhändler, Autor und Erfinder zahlreicher neuer Basler Literaturformate wie dem Poesietelefon vermisst frische, interessante Initiativen, abseits von Institutionen wie dem Literaturhaus – denn, sobald etwas vom Staat gefördert wird, gerät es aus seiner Sicht behördlich und langweilig. Und die Texte heutzutage, «alles so geschliffen, alles so perfekt»; auch wegen der Literaturschulen, etwa der in Biel.
Sehr junge Basler Autorinnen und Autoren wie etwa Gianna Molinari sind Jenny so wenig geläufig wie Martin Dean. Vielleicht bewegt man sich in Basel tatsächlich in verschiedenen Literaturkreisen. Molinari schätzt auch die Situation hier ganz anders, viel positiver ein: «Die Basler Literaturszene wird immer aktiver», sagt sie.
Die unterschiedlichen Wahrnehmungen können auch ein gutes Zeichen sein: Offenbar läuft in der Region in Sachen Literatur derart unübersichtlich viel, dass manche etwas zu vermissen meinen, das es eigentlich bereits gibt. Gelesen wird nämlich nicht nur im Literaturhaus, in der Lesegesellschaft, den Buchhandlungen, Bibliotheken und Museen, gelesen wird auch auf Dächern, in WGs und Bars. Junge Formen blühen: Spoken Word und Slam. Das Literaturhaus vermittelt ein günstiges Lektorat, Projektbegleitungen, Lesezirkel, Schreibwerkstätten und Workshops, auch für Schüler. Der Schweizer Buchpreis wird in Basel verliehen, das Literatur- und das Lyrikfestival hier gefeiert. Das Poesietelefon ist reinstalliert. Es gibt in Basel immer mehr Schreibateliers (die CMS hat offenbar noch freie Räume auf dem Dreispitz-Areal) und internationale Austauschprogramme – etwa im Atelier Mondial des Internationalen Austausch- und Atelierprogramms Region Basel oder im Kleinen Markgräflerhof. Aerni, der dort im Stiftungsbeirat sitzt, sagt: «Die Nachfrage nach einem Platz in Basel ist sehr gross. Die Stadt hat unter Autoren europaweit einen sehr guten Ruf.»
Der Autor Guy Krneta ist in Bern aufgewachsen und vor zwölf Jahren nach Basel gezogen. Obwohl es auch hier viele Kolleginnen und Kollegen gebe, die er sehr schätze und regelmässig treffe, sei «das Gefühl, dass man am Gleichen denkt, das Gefühl von Szene» in Bern viel stärker. Das habe einerseits mit der lebendigen Spoken-Word- und andererseits mit der Dramatikerszene zu tun, die in Basel praktisch nicht vorkomme. Hier seien Theater und Literatur viel stärker getrennt. Zwar habe man sich jahrelang erst im Theater Basel, dann im Literaturhaus getroffen, habe neue Stücke gelesen und zusammen diskutiert, doch «die Theater interessierten sich in keiner Weise dafür, wir blieben unter uns Schreibenden, sodass auch nichts davon je auf die Bühne kam. Das hat uns schliesslich so entmutigt, dass wir die Reihe einstellten.»
94 zeitgenössische Autorinnen und Autoren mit Wohnsitz in Basel-Stadt führt das Lexikon der Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller online auf. Gibt man Riehen sowie sämtliche Baselbieter Gemeinden ein, kommen noch mal etwa so viele hinzu. Zu den bekanntesten gehören Hansjörg Schneider, Alan Claude Sulzer, Guy Krneta, Jürg Läderach, Urs Allemann, Martin R. Dean, Irena Brežná, Melitta Breznik, Dieter Forte und Rolf Hochhuth, der allerdings schon länger nicht mehr aktiv ist. Als hoffnungsvolle Basler Jungtalente gelten etwa Gianna Molinari, Simone Lappert und die Slampoeten Laurin Buser und Daniela Dill.
«Es gibt einige Autoren, bei denen ich mich wundere, dass sie schweizweit nicht besser wahrgenommen werden», sagt Eckert, der Baselbieter Markus Ramseier etwa. In Zürich hätten es Schriftsteller diesbezüglich leichter, meint Martin R. Dean. Weil dort die meisten Medien mit nationaler Ausstrahlung ihren Sitz haben: das Schweizer Fernsehen mit dem Literaturclub, NZZ, Tages-Anzeiger, das Magazin. Immerhin arbeiten das Basler Literaturhaus und viele junge Autoren mit neuen Literaturzeitschriften zusammen, Belles Lettres, Lasso und NaRr.
Die Konkurrenz ist riesig. Alles in allem erscheinen jährlich allein im deutschsprachigen Raum 100'000 Bücher – vom Krimi über den Roman bis zum Sachbuch. Hinzu kommen Übersetzungen aus aller Welt – und gerade in der Schweiz beherrschen die meisten mindestens ein, zwei weitere Sprachen gut genug, um ausländische Literatur auch im Original zu lesen. Sogar wenn in Basel künftig Geld und Aufmerksamkeit für die hiesigen Literaten steigen, leicht haben werden sie es nie. Auf den Nachttischen ihrer Leser müssen sie sich mit Nobelpreisträgern messen. Mit je eigenen Qualitäten.