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Staatsrechtler und Alt-Ständerat René Rhinow fordert, die Vorfälle in Stadt und Land differenziert zu beurteilen. Auch sollte man genau hinschauen und die verschiedenen Vorfälle auseinanderhalten.
Im Baselbiet ist die Empörung gross, dass ehemalige Regierungsräte sowie Chefbeamte Honorare in die eigene Tasche gesteckt haben. Und auch in Basel stellen sich Fragen im Zusammenhang mit den unkorrekt abgerechneten Spesen durch Regierungsrat Carlo Conti, der die Konsequenzen gezogen und den Rücktritt angekündigt hat. Angesichts der überstürzenden Ereignisse verläuft die Debatte emotional und wirr.
Der ehemalige Ständerat René Rhinow plädiert im Interview dafür, genau hinzuschauen und die verschiedenen Vorfälle auseinanderzuhalten. Es sei wichtig, dass die Affären lückenlos aufgearbeitet und unrechtmässige Bezüge geahndet werden. Auch sei es legitim, über strengere Regeln zu diskutieren. Gleichzeitig warnt Rhinow vor reflexartigen Rücktrittsforderungen.
Wenn aktuelle Mandatsträger in den Medien vorverurteilt werden, könne dies künftig fähige Persönlichkeiten abschrecken, für ein Regierungsamt oder einen Chefbeamten-Job zu kandidieren. Eine Kultur des Rücktritts, wie sie Deutschland kennt, sind für den Staatsrechtler nicht auf die hiesige Konkordanzdemokratie übertragbar: Ständige Neuwahlen würden die politische Amtsführung lähmen.
Herr Rhinow, in der Debatte um Honorare und Spesenbezüge gibt es mehrere Ebenen. Erstens jene des Gesetzes – ob die Bezüge in der Vergangenheit rechtens waren. Dann lassen sich diese zweitens unter moralisch-ethischen Gesichtspunkten beurteilen. Und drittens stellt sich die politische Frage: Wie wollen wir das künftig regeln? Diese drei Ebenen werden munter vermischt.
René Rhinow: Diese Einschätzung teile ich. Ich halte diese Vermischung für problematisch. Meines Erachtens sollte folgende Frage im Vordergrund stehen: Erfolgten die Bezüge rechtmässig oder nicht? Das kommt vor allen moralischen oder ethischen Fragen. Ich bin etwas enttäuscht von den eher oberflächlichen Analysen gewisser Medien. Kürzlich habe ich in einem Kommentar sinngemäss gelesen: Ob die Honorare rechtmässig waren oder nicht, sei zweitrangig. Aber die Bezüge seien unmoralisch. Ich meine: Darum geht es eben nicht, jedenfalls nicht in erster Linie.
Spielen moralische Fragen in diesem Kontext denn keine Rolle?
Ich habe Mühe mit einer Moralisierung der Politik, die pharisäerhafte Züge annimmt. Verstossen die Bezüge gegen geltende Gesetze, so ist das unannehmbar. Wenn die Bezüge hingegen rechtlich zulässig waren, dann kann man zwar eine politische Debatte darüber führen, ob dies künftig noch so sein soll. Die Empörung ist dann aber fehl am Platz.
Sie sprechen die Rechtmässigkeit der Bezüge an. Darf denn der immer wieder zitierte gesunde Menschenverstand keine Rolle spielen? 1500 Franken Spesen für eine dreistündige Sitzung ist doch fernab einer angemessenen Entschädigung.
Dem widerspreche ich nicht. Nach der Klärung der entscheidenden Fragen, welche Bezüge rechtmässig waren, stellen sich weitere: Waren oder sind gewisse Bezüge überrissen? Ich finde aber: Über diese zweite Frage lässt sich politisch nüchtern diskutieren – ohne Aufregung und ohne Rücktrittsforderungen zu platzieren.
René Rhinow (71) ist ein Elder Statesman der Baselbieter Politik: Von 1987 bis 1999 vertrat der Jurist den Landkanton im Ständerat, den er im letzten Amtsjahr auch präsidierte. Als Präsident der Staatspolitischen und der Aussenpolitischen Kommission prägte er die Politik der kleinen Kammer über Jahre mit.
Rhinow gilt als Vertreter des klassischen Freisinns und dezidierter Anhänger der Konkordanzdemokratie. Rhinow leitete von 1978 bis 1981 das Baselbieter Verwaltungsgericht, von 1982 bis 2006 war er ordentlicher Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel. Von 2001 bis 2011 präsidierte er zudem das Schweizerische Rote Kreuz. Seit März 2012 ist er Ombudsmann der AZ Medien AG, zu der auch die bz gehört. Rhinow ist verheiratet und lebt in Liestal. (haj)
Welche Unterschiede sehen Sie zwischen der Honorar-Affäre im Baselbiet und den unkorrekt abgerechneten Spesen von Regierungsrat Carlo Conti in Basel?
Ich kenne den Fall Conti nur aus den Medien. So wie sich mir die Situation präsentiert, meine ich: In Basel-Stadt existieren im Gegensatz zu Baselland für sämtliche Staatsangestellten seit vielen Jahren klare Regeln für Honorar- und Spesenbezüge. Diese Regeln sind offenbar gebrochen worden. Allerdings stellt sich auch hier die Frage: Hat Conti vorsätzlich gehandelt – was ich persönlich nicht glaube – oder sind die Unkorrektheiten vielmehr Folge einer gewissen Nachlässigkeit bei der Führung der Spesenkonti? Dieser Unterschied ist bedeutend – verglichen etwa mit vorsätzlichen Handlungen gemäss Strafgesetzbuch. Aus Contis sofort gezogener Konsequenz – der Rücktrittsankündigung – zu schliessen, nun müsse im Baselbiet jeder Regierungsrat, der in die Affäre verwickelt ist, ebenfalls zurücktreten, halte ich für falsch.
Wären Sie anstelle von Conti zurückgetreten?
Das ist eine hypothetische Frage, auf die ich keine Antwort geben kann. Ich habe Verständnis, dass er in seiner Situation zum Schluss gelangt ist, die Konsequenzen zu ziehen. Ihm wären die unkorrekt abgerechneten Spesen wohl immer wieder vorgehalten worden. Dies wirkt lähmend auf die Amtsführung.
Welche Signale sendet der Rücktritt von Conti?
Das war ein respektvoller Akt. Im Gegensatz zu anderen Beobachtern bin ich allerdings nicht der Meinung, dass damit die Messlatte für Rücktritte von Regierungsräten generell nach unten geschraubt wird. Ein einziger Rücktritt eines Regierungsrats reicht dazu nicht aus. In der Schweiz entspricht es nicht der politischen Kultur, dass ein Amtsträger, der einen Fehler begeht, sofort zurücktreten muss.
Finden Sie das richtig?
Ja. Selbstverständlich kann es auch bei uns Fälle geben, in denen ein Rücktritt angezeigt ist. Ich habe damals die Affäre Kopp miterlebt. Elisabeth Kopp ist letztlich über ihren Mann gestolpert, der scheinbar in zweifelhafte Geschäfte verwickelt war sowie über ihre mangelnde Einsichtsfähigkeit. Um einen Rücktritt zu fordern, müssen grobe Fehler in der Amtsführung passiert sein oder es muss ein schwerwiegender Vertrauensverlust vorliegen. Das braucht sehr viel – mehr als das, was bei Carlo Conti passiert ist. Magistraten sollen an ihrer Amtsführung insgesamt gemessen werden. Interessanterweise findet eine Diskussion darüber kaum statt. In diesem Punkt sind die Medien, die nun bei den Honoraren sehr kritisch sind, wiederum erstaunlich zurückhaltend.
Woran liegt das?
Unsere Gesellschaft labt sich an Diskussionen um Geld, an der Frage, wie viel der Nachbar, der Chef, der Regierungsrat verdient.
In Basel-Stadt werden die Untersuchungen nun auf alt Regierungsräte ausgedehnt. Ist das sinnvoll?
Das halte ich für übertrieben und riecht nach Abrechnung, im Sinne von: «Die müssen nicht meinen, sie seien besser davon gekommen.» Wichtig ist, dass jene reinen Tisch machen, die im Amt sind und dass für die Zukunft saubere Lösungen getroffen werden. Das ist entscheidend.
Andere Staaten kennen die erwähnte Kultur des Rücktritts. Welche Folgen hätte es für unser politisches System, würde die Schweiz auf eine solche Kultur einschwenken?
Eine Kultur ist nichts Statisches, sondern etwas, das sich im Laufe der Zeit entwickelt. In der Schweiz könnte sich tatsächlich mit der Zeit eine strengere Rücktrittskultur etablieren. Dass das bis anhin nicht der Fall war, hat aber gute Gründe: In unserem politischen System mit den kollegialen Regierungen ist die Gefahr gross, dass durch vermehrte Rücktritte und Neuwahlen durch das Volk während der Amtsdauer die Amtsführung gelähmt wird und das Parteiensystem überfordert wird. In Staaten wie Deutschland ist es einfacher, in einem Kabinett einen Minister auszutauschen.
Weshalb sind im Baselbiet die Nebeneinkünfte der Regierungsräte erst jetzt ein Thema geworden?
Ich denke, die Abzocker-Diskussion hat einiges in Gang gesetzt, obwohl die Grössenordnungen überhaupt nicht vergleichbar sind. Wir reden im Baselbiet in den gravierendsten Fällen von einer tiefen fünfstelligen Zahl, die während mehrerer Jahre bezogen worden ist. In der Wirtschaft geht es um Millionen. Ich bin überzeugt, dass massvolle Entschädigungen aus einem legalen Nebenerwerb seit Jahrzehnten in der Schweiz gang und gäbe waren. Jedenfalls war dies bislang kaum ein Thema, auch nicht bei Aufsichtsorganen und Finanzkontrollen.
Ist die rigorose Regelung richtig, welche die Regierung als Konsequenz aus der Affäre vorschlägt?
Das ist eine politische Frage. Dass im Salär eines Regierungsrats Nebentätigkeiten in staatsnahen Verwaltungsräten quasi inbegriffen sein sollen – diese Haltung ist legitim. Eine andere Lösung wäre es ebenso: Dass zum Beispiel sämtliche Entschädigungen aus solchen Verwaltungsratsmandaten in einen Topf geworfen und dann diese Einkünfte oder ein Teil davon gleichmässig auf sämtliche Regierungsmitglieder verteilt werden. Dass ein Regierungsrat Nebeneinkünfte erzielt, ist nicht a priori verpönt. Im Gegenteil: Dies lässt sich dann gut begründen, wenn wegen eines Zusatzaufwandes auch zusätzlich entschädigt wird. Der Exzess ist aber verpönt, die Illegalität ist verpönt – und das zu Recht.
Führen strikte Regeln dazu, dass potenzielle Kandidierende für Regierungsämter oder Chefbeamten-Jobs vergrault werden?
Kaum wegen der geringeren Einkünfte. Die Saläre für Regierungsmitglieder befinden sich in beiden Basel auf einem Niveau, das sicher nicht unattraktiv wirkt auf mögliche Kandidierende. Der Medien-Hype um die Bezüge ist der viel heiklere Punkt als die Tatsache, dass nun punkto Honorare klare Regeln getroffen werden und sich dadurch die Einkünfte womöglich etwas schmälern. Wenn Amtsträger damit rechnen müssen, von den Medien vorverurteilt und an den Pranger gestellt zu werden, so ist das für fähige Persönlichkeiten gewiss abschreckend.
Haben wir Medien mit der Kritik übermarcht?
Schauen wir genau hin, was passiert ist: Womöglich ist es im Einzelfall zu einem Exzess gekommen. Aber wenn nun so getan wird, als hätten Regierungsräte betrogen oder gestohlen, so halte ich das für masslos übertrieben. Es deutet derzeit nichts auf eine Straftat hin. Die Dimension einer Staats- oder Führungskrise hat diese Affäre nicht. Und sie hat auch nichts mit Korruption zu tun. Aber es gab Unregelmässigkeiten in finanziellen Dingen, welche die Bürger enttäuscht und die zu Recht kritisiert und nun gestoppt werden.