Übernahme
Aus für Waldenburgerbahn: Ein Tal guckt in die Röhre

Es bleibt der Name, das Signet auf den Wagen. Und – vorerst zumindest – die rot-cremige Farbe der Züge. Doch die Waldenburgerbahn als eigene Bahn verschwindet nach fast 136 Jahren. Das zweitälteste Unternehmen im Waldenburgertal wird aufgelöst, im Handelsregister gelöscht, seine Organe hören auf zu existieren. Eine langes Kapitel Talgeschichte geht zu Ende.

Lorenz Degen*
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Das Waldenburgerli fährt in den Bahnhof von Waldenburg ein. Das Foto entstand 1885, kurz nach der Gründung der WB.
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Waldenburgerbahn
Drei Triebfahrzeug-Generationen der Waldenburgerbahn.

Das Waldenburgerli fährt in den Bahnhof von Waldenburg ein. Das Foto entstand 1885, kurz nach der Gründung der WB.

Der Anfang der Waldenburgerbahn (WB) liegt weit vor dem März 1880, als die Bauarbeiten beginnen. Sucht man ein Datum, stösst man auf den 1. Mai 1858. Im Waldenburgertal wird man das Zischen jener Lokomotive nicht gehört haben, die erstmals durch den fertigen Hauensteintunnel von Läufelfingen nach Olten hinabdampft. Aber die Folgen dieses neuen Transportmittels namens Eisenbahn werden rasch spürbar. Die Fuhrwerke fahren nicht mehr über den Oberen Hauenstein ins Mittelland, der Hauptwirtschaftszweig versiegt. Waldenburg und seine Talschaft veröden, Auswanderer segeln nach Amerika. Man muss die kommende Misere geahnt haben, als 1853 die Gemeinde Waldenburg eine Uhrenfabrik gründet. Diese «Societé d’Horlogerie à Waldenbourg» kommt aber erst in Schwung, als Gedeon Thommen den Betrieb übernimmt. Noch deutet nichts darauf hin, dass er auch Eisenbahngründer wird.

Gedeon Thommens Initiative

Mehrere Anläufe, Schienen ins Waldenburgertal zu legen, scheitern. Vertraglich zugesicherte Subventionen der Centralbahn versanden. Erst als Gedeon Thommen 1878 eine Aktienzeichnung durchführt, kommt Bewegung in das lang ersehnte Vorhaben. Billig, ja billigst gebaut, verzichtet die Bahn ausser in Waldenburg auf Bahnhöfe oder Perrons. Die Spurbereite wird auf 75 Zentimeter festgelegt. Das ist das absolute Minimum, in der Schweiz sonst nirgendwo verwendet. Die Bahn folgt und hält auf der Landstrasse. Zwei Lokomotiven werden aus Winterthur angeschafft. Dass die Nummer 1 «Dr. Bider» heisst, ist eine Reverenz an den Langenbrucker Bahnförderer und Arzt, der die Eröffnung am 1. November 1880 nicht mehr miterlebt.

In der Konzession wurde eine mögliche Verlängerung nach Langenbruck festgeschrieben. Doch war der Kurort wirklich das Endziel? Oder war diese schmalstmögliche Schmalspurbahn vielleicht nur als Provisorium gedacht, bis eines Tages die «richtige» Eisenbahn durchs Waldenburgertal fährt? Beweisen lässt sich das nicht.

Fernziele: Strom und Meterspur

1899 versucht ein Waldenburger Komitee mit der «Kellenbergbahn» einen Juradurchstich zwischen Waldenburg und Mümliswil zu lancieren. Die Idee liegt im Trend. Die neu gegründeten SBB wollen einen flacheren Juratunnel, die Hauensteinlinie über Läufelfingen ist zu steil. Alle Varianten kommen auf den Tisch, von der Lüsseltalbahn am Passwang über die Wasserfallen- und Kellenbergbahn bis zur Schafmattbahn bei Rothenfluh. Die Hauenstein-Basislinie mit einem Tunnel von Tecknau nach Olten obsiegt. Die Waldenburgerbahn bleibt eine schmalspurige Stichbahn.

Von da an führt ein langer Weg vom Dampf zum Strom und ein noch längerer von 75 Zentimetern zur Meterspur. 1912 liegt ein erstes Meterspurprojekt mit Elektrifizierung vor. Der Erste Weltkrieg verhindert eine Ausführung. In den 1930er-Jahren lehnt der Landrat eine Elektrifizierung auf 75 Zentimeter Spurbreite ab und bewilligt dafür die Anschaffung einer neuen Dampflokomotive. Die namenlos gebliebene Nummer 7 ist die letzte SLM-Dampflok für eine Schweizer Bahn. Eine formschöne und kräftige Maschine, aber für die WB krass überdimensioniert. Ihr Kohlenhunger wird zum grossen Problem, und ihre vier starren Achsen scheuern die engen Kurven durch.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs ist die WB eine verschlissene Bahn. Ein Drittel der Betriebseinnahmen wird für Kohle ausgegeben. Wie etliche Bahnen der Schweiz steht sie auf der Kippe. Autobus oder Modernisierung? Die Bevölkerung steht hinter ihrem «Waldenburgerli». Massgeblich setzt sich wiederum ein Arzt ein, Dr. Roland Straumann aus Waldenburg, der in dieser Zeit als Landrat die WB durch alle Instanzen verteidigt. Nie zuvor und nie danach ist die WB so in ihrer Existenz bedroht wie in diesen Jahren. 1951 beschliesst der Landrat die Elektrifizierung. Am 20. Oktober 1953 fahren erstmals elektrische Züge, die mit enormer Anteilnahme der Bevölkerung willkommen geheissen werden.

Schwerer Lohnkonflikt

So sehr die Elektrizität herbeigesehnt worden ist, so rasch ist der Dampf wieder da. Die Eurovapor, eine Genossenschaft von Dampflokfreunden, bringt 1970 eine österreichische Dampflokomotive ins Waldenburgertal. Zum 100-Jahr-Jubiläum 1980 kehrt die frisch revidierte Dampflokomotive Nummer 5 «G. Thommen» auf die Schienen zurück, nachdem sie 19 Jahre lang als Denkmallok in Liestal ihr Dasein gefristet hat. Der Gütertransport verlagert sich Ende 1984 auf die Strasse. Zuvor wurden Stückgüter für die Industrie, Weizen und auch lebende Tiere wie Kälber oder Schweine mit der Bahn befördert.

Die 1970er- und 1980er-Jahre sind geprägt von teils schweren Lohnkonflikten. Ein Streik vor dem 100-Jahr-Jubiläum wird abgewendet, allerdings bleibt die Stimmung auf dem Siedepunkt. Angestelltenvertreter SP-Nationalrat Paul Wagner führt mit WB-Verwaltungsratspräsident Roland Straumann hitzige Debatten. Die Situation entspannt sich erst ab Mitte der 1990er-Jahre, als die WB-Löhne deutlich angehoben und regelmässig der Teuerung angepasst werden.

BLT + WB = BLT

Ab 1985 treffen neue Züge ein, welche die drei Triebwagen und Personenwagen mit offenen Plattformen sukzessive ablösen. Nach einem Brand wird der heutige Bahnhof Waldenburg 1994 eröffnet. So bewährt die jetzige Fahrzeuggeneration ist, sie entspricht nicht mehr dem heutigen Komfortbedürfnis. Seit 2002 wird über neues Rollmaterial gesprochen.

Mittlerweile hat sich der Landrat zur Meterspur bekannt und damit der WB eine langfristige Zukunft gegeben. Mit der Umspurung geht ein langer Traum in Erfüllung. Das technische Unikum WB steigt damit in den weit grösseren Kreis der Schweizer Meterspurbahnen auf.

Am Dienstag hat die letzte Generalversammlung der WB stattgefunden. Die Übernahme durch die Baselland Transport AG (BLT) – das Wort «Fusion» verschleiert die realen Machtverhältnisse – ist richtig und für die WB die einzige Überlebensoption. Die BLT garantiert einen modernen Bahnbetrieb für das Waldenburgertal. Unschön ist einzig das Übernahmeverfahren. Die BLT kaufte die WB-Aktien von den Talgemeinden und dem Kanton, die dafür eine BLT-Aktie erhielten. Die privaten WB-Aktionäre, Einzelpersonen und Familien aus dem Waldenburgertal und der Region Basel, sind die Verlierer. Ihre Aktien sind nichts mehr wert, eine BLT-Aktie bekommen sie nicht. Von der neuen «Gross-BLT» sind sie ausgeschlossen. Ein merkwürdiger Dank für ihre lange Treue zur Bahn.

Was erinnert künftig an die alte WB?

Nun obliegt es der BLT, das Waldenburgsche Eigengut zu verwalten. Historische Akten, eine Dampflokomotive, Personen- und Güterwagen sind Kulturgüter, auch ein heutiger Triebwagen wird es dereinst sein. Was wird künftig an die alte WB erinnern? Und wo? Diese Fragen bleiben vorerst offen.

Erst einmal heisst es Abschied nehmen, nach fast 136 Jahren. Sic transit gloria ferroviae waldenburgensis – oder auf Baselbieter Mundart: Aadie Waldeburgerli!

Ein Niederdörfer erinnert sich

Max Furler (86), ehemaliger Gemeinderat, Landrat und WB-Verwaltungsrat aus Niederdorf, pendelte mit seinem Lehrlingsabonnement vom Frühling 1947 bis zum Ende der Dampfepoche im Oktober 1953 von Montag bis Freitag von Niederdorf nach Liestal. Das Fahren im Dampfzug fand Max Furler wegen der langsamen Geschwindigkeit nicht lustig. «Die Fahrzeit dauerte von Waldenburg bis Liestal 51 bis 58 Minuten. Wer um 8 Uhr in Basel sein wollte, musste um 5.45 Uhr mit dem ersten Zug Waldenburg verlassen.»

Max Furler erinnert sich gut an die damaligen Mitpassagiere und das Bahnpersonal. «Die WB war eine sehr persönliche Angelegenheit. Ich kannte fast alle Angestellten mit Namen. Da gab es die Lokführer Strübin, Mangold, Gautschin und den lustigen Heizer Aeschbacher.» Und auch heute Undenkbares hat er erlebt: «Im Sommer rannte der Kondukteur beim Halt ins nächste Restaurant, entweder in die Station Lampenberg, ins Rössli in Hölstein oder in die Station in Niederdorf. Mit drei oder vier Flaschen kühlem Bier für die Mannschaft kam er zurück.»

Zum 20. Oktober 1953, dem Tag der Elektrifikationsfeier, hat Max Furler einen besonderen Bezug: «An diesem Sonntag stellte ich meine zukünftige Frau zum ersten Mal meinen Eltern vor. Sie kam am Morgen mit einem der letzten Dampfzüge nach Niederdorf und fuhr am Abend mit einem der ersten elektrischen wieder nach Liestal.»

* Lorenz Degen wohnt in Liedertswil und gehört dem Beirat der Waldenburgerbahn an.