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Der Aufbau der neuen Baselbieter Einheit zur Cybercrime-Abwehr ist mit ernsthaften Startschwierigkeiten verbunden. Das neu gebildete Kompetenzzentrum gegen Cyber-Kriminalität befindet sich erst im Aufbau. Trotzdem zeichnet sich bei der Rekrutierung geeigneter IT-Spezialistinnen und Spezialisten ab, dass die kantonalen Löhne auf dem Stellenmarkt nicht konkurrenzfähig sind.
Die gute Nachricht ist: Seit dem 1. April gibt es im Baselbiet eine spezialisierte Einheit von Polizei und Staatsanwaltschaft, die Internetbetrügern und Cyberkriminellen das Handwerk legen soll. Noch unter Isaac Reber als Sicherheitsdirektor wurde die Cybercrime-Bekämpfung als künftiger Schwerpunkt der Polizeiarbeit definiert. Im November 2019 sprach das Parlament – ohne Gegenstimme – 2,1 Millionen Franken jährlich für Aufstellung und Betrieb.
Die weniger gute Nachricht ist: Es wird noch eine Weile dauern, bis die Einheit ihre volle Schlagkraft entfalten kann. Was mehrere Gründe hat. Zum einen gestaltet es sich schwierig, das Personal zu rekrutieren. Von den 13 bewilligten Stellen bei der Polizei sind erst sechs besetzt, vier davon durch interne Versetzungen geeigneter Korpsmitglieder. Bei der Staatsanwaltschaft sind von drei bewilligten Stellen deren zwei besetzt, eine davon durch interne Versetzung. Michel Meier, der Leiter des Kompetenzzentrums Cybercrime, spricht deshalb von einem «wahren Knochenjob», den die Anwerbung geeigneter Spezialistinnen und Spezialisten darstelle.
Zürich, Waadt, Appenzell Ausserrhoden, Bern und St. Gallen waren die ersten Kantone, die zur Bekämpfung des Milliardengeschäfts Cyberkriminalität spezialisierte Einheiten geschaffen haben. In Basel-Stadt befindet sich ein «Dezernat Digitale Kriminalität» erst im Aufbau. Auf nationaler Ebene sind das neue Nationale Zentrum für Cyber sicherheit (NSCS), das Gremium Cyber-Case sowie der Cyber-Lehrgang der Armee federführend. Zu allen unterhalten die Baselbieter Behörden enge Beziehungen. So absolvierte schon der zweite Armee-Lehrgangsteilnehmer sein Praktikum bei der Baselbieter Polizei.
Denn im Ringen um die wenigen auf dem freien Stellenmarkt verfügbaren IT-Cracks stehen die Baselbieter nicht nur in direkter Konkurrenz mit dem Bund und grossen Kantonen, sondern auch mit renommierten Privatfirmen. Sie alle sind momentan daran, eigene Einheiten zur Cybercrime-Abwehr aufzubauen. Dabei spielt laut Auskunft der Polizei die Lohnfrage eine zentrale Rolle. Ein Monatssalär als IT-Forensiker beim Bund könne rund 3000 Franken höher sein als beim Kanton. Während sich im Baselbiet ein entsprechender Monatslohn auf maximal zwischen 8000 und 9000 Franken beläuft, ist dieser beim Bund fünfstellig. «In dieser Grössenordnung ist der Faktor Salär nicht einfach wettzumachen», schildert Cybercrime-Leiter Michel Meier eine wesentliche Erfahrung aus bisherigen Bewerbungsgesprächen.
Die Staatsanwaltschaft tut sich bei der Rekrutierung ebenso schwer, betont aber einen zusätzlichen Punkt: Die Hauptschwierigkeit liege darin, Personen zu finden, die «einerseits die Begeisterung und die
Eignung für das Fachgebiet Cybercrime mitbringen und andererseits an einem lang jährigen Engagement als Cyber-Strafverfolger interessiert sind». Stawa-Sprecher Thomas Lyssy führt aus, dass die interne Ausbildung zum Cyber-Staatsanwalt respektive Cyber-Untersuchungsbeauftragten rund zwei Jahre dauere: «Ein Abgang nach diesem Zeitpunkt wäre ungünstig, Recruiting und Ausbildung müssten von vorne beginnen. Zusätzlich sind die wenigen externen Weiterbildungsmöglichkeiten durch die Covid-19-Pandemie derzeit nicht vorhanden oder für einen längeren Zeitraum nicht verfügbar.»
Gemäss Finanzierungsvorlage des Landrats haben beide Abteilungen bis 2023 Zeit, auf Sollstärke zu gelangen. Für die Zeit danach meldet Cybercrime-Leiter Meier aber bereits jetzt weiteren personellen Bedarf an, da sich besonders im Bereich IT-Ermittlung erste Kapazitätsengpässe abzeichnen würden.
Bis dahin erhoffen sich die Baselbieter Verantwortlichen auch Lösungen beim anderen grossen Problemfeld, das sie derzeit umtreibt: den rechtlichen und technischen Grundlagen. Da befinde man sich bei der Polizei «noch in der Steinzeit», wie Cybercrime-Cheffahnder Meier offen eingesteht. Aktuell sei es nicht einmal möglich, «innert einer vernünftigen Zeit» festzustellen, ob und in welchem Umfang andere Kantone von einer neuen Cyberbetrugsmasche betroffen sind. Der Blick in die Büros der Cybercrime-Jäger in der Liestaler Gutsmatte zeigt: Entsprechende Anfragen werden noch immer via E-Mail und Word-Formulare getätigt; diese immerhin gesichert. «Dies ist jedoch sehr mühsam und zeitaufwendig», beschreibt Meier den Arbeitsalltag und folgert: «Ohne einen automatisierten Datenaustausch zwischen den Kantonen sehe ich nur eine sehr begrenzte Möglichkeit, Cyber crime wirksam zu bekämpfen.»
Daher müsse dringend ein Datenaustausch «mit vernünftigem Aufwand» her. Ebenso wenig könne die Schaffung der notwendigen Rechtsgrundlagen jedes Mal mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Gerade jetzt verstärke sich diese Problematik durch den durch die Coronapandemie ausgelösten Digitalisierungsschub zusätzlich.
Bei der Baselbieter Staatsanwaltschaft schätzt man die aktuelle Lage ziemlich ähnlich ein: «Der Gesetzgebungsprozess kann derzeit mit dem digitalen Wandel und der damit einhergehenden, teilweise internationalen Cyberkriminalität nicht Schritt halten», schlägt Sprecher Thomas Lyssy Alarm. Insbesondere die hohen Hürden des EU-Datenschutzes und das Verbot einer Vorratsdatenspeicherung würden die wirksame Bekämpfung der Cyberkriminalität international «zunehmend in Frage stellen». Und auf nationaler Ebene müsse unbedingt auf die schnellstmögliche Koordination der Einführung des Ermittlungstools Picsel hingewirkt werden. Das wiederum setze eine «zeitlich dringende Anpassung der Rechtsgrundlagen» voraus.