Landzunge und Stadtmund
Der Minnengesang der Millennials

Eva Oberli*
Eva Oberli*
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«Lebenslage Partnerschaften sind wohl einfach nicht mehr zeitgemäss. »

«Lebenslage Partnerschaften sind wohl einfach nicht mehr zeitgemäss. »

Es gab eine Zeit, da hat man mit Fächern geflirtet. Das muss man sich mal vorstellen. 20 verschiedene Arten, einen Fächer zu öffnen, und jede Art hatte ihre eigene Bedeutung. Da sind wir im Jahre 2019 doch merklich simpler gestrickt. Das Freiwild von heute braucht weder inbrünstig vorgetragene, anpreisende Lobesreime, noch monatelange Briefwechsel oder ein Ausgehen zum Tanz, um sich das Objekt der Begierde zu angeln. In Zeiten von Snapchat und mit genügend bewusstseinserweiternden Substanzen reicht ein Foto unterhalb der Gürtellinie und eine Textnachricht à la «Hey Chica, hast du kurz zehn Minuten Zeit und zwanzig Zentimeter Platz?»

Gut, das kann man nicht ganz so romantisch verpacken, wenn man eines Tages den Grosskindern die Frage beantworten soll, wie man denn den Opa kennen gelernt hat, aber was soll’s? Ist es heutzutage überhaupt noch verantwortungsvoll, Kinder in die Welt zu setzen? Oder schon nur zu heiraten? Rein steuerrechtlich kann die Ehe gegen das Konkubinat einpacken. Hinzu kommt das angeschlagene Image der Hochzeit: Völlig überholt, nur noch eine Selbstdarstellung und ausserdem viel zu teuer. Auch wenn die Zeiten, in denen der Bräutigam dem Brautvater die zwei besten Kühe als Entschädigung für die Tochter vermachen musste, lange vergangen sind.

Lebenslage Partnerschaften sind wohl einfach nicht mehr zeitgemäss. Vielleicht ist Monogamie auch nichts für den modernen Menschen. Frauen brauchen keine Männer mehr, die sie vor dem Säbelzahntiger beschützen und zweimal im Monat ein erlegtes Mammut in die Höhle schleifen. Der Mann muss auch nicht mehr das Geld nach Hause bringen und für die Familie sorgen, das übernimmt jetzt die Emanzipation. Die Digitalisierung, die Gleichberechtigung und das Ende der Steinzeit haben der früher so zentralen Ehe den Schleier gelüftet. Brauchen wir ja alles nicht mehr. Wir sind heute so frei, haben alle Möglichkeiten und gegenüber unseren Partnern quasi keine Verpflichtungen mehr. Alles so herrlich unkompliziert! Bis dann der Tag kommt, an dem der Traumprinz zum nächsten Schloss reitet oder die Herzdame das gute Blatt in der Hand eines Anderen wird.

Die Frustbewältigung ist dann je nach Geschlecht, Alter und emotionalem Aggressionspotenzial unterschiedlich, aber ein gemeinsamer Nenner findet sich immer: Wir leiden. Plötzlich hätten wir doch eine blumengeschmückte Kutsche gewollt. Und weisse Tauben und einen Hochzeitstanz und fünf Kinder und einen Familienlabrador. Würden wir natürlich nie zugeben, wir super lockeren, unabhängigen, ganz und gar nicht kitsch-romantischen Millennials. Aber hey, spätestens nach dem nächsten Alkoholabschuss wird der oder die Verflossene das alles sowieso haargenau um vier Uhr morgens durch eine siebenminütige Sprachnachricht erfahren. Unangenehm für beide Seiten, daher folgt dem Zeitgeschehen entsprechend das Ghosting, einfach jegliche Kontaktversuche ignorieren. Und nichts ist uns geblieben, was Trost spenden könnte. Nicht mal eine Kuh.

*Eva Oberli ist Schülerin am Gymnasium in Muttenz und wohnt auf einem Bauernhof in Niederdorf.