Katastrophe
Die Folgen von Schweizerhalle sind noch nicht ausgestanden

Die unvollständige Sanierung des Sandoz-Brandplatzes trägt dazu bei, dass heute und in Zukunft das Trinkwasser nur sicher ist, solange aufwendige technische Einrichtungen funktionieren. Legalisiert wird dies durch neue Grenzwerte, die auch für den Konflikt um die Feldrebensanierung relevant sind.

Daniel Haller
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Die Umrisse der beim Brand zerstörten Lagerhalle sind noch immer klar zu erkennen.
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Verseuchtes Erdreich wird abgetragen und wegtransportiert.

Die Umrisse der beim Brand zerstörten Lagerhalle sind noch immer klar zu erkennen.

Haller Daniel

Nicht alle Schadstoffe, die beim Sandoz-Brand entstanden, wurden aus dem kontaminierten Boden geholt. Das beeinträchtigt einen Muttenzer Trinkwasserbrunnen bis heute. Die nach dem Brand definierten Sanierungsziele hat die MBT Umwelttechnik AG, welche Sandoz zum Aufräumen gegründet hat, eingestandenerweise nicht erreicht: Die Nachfolgeorganisation BMG Engineering schrieb 2006 – 20 Jahre nach dem Brand –, es sei «schwierig vorauszusagen», wann die angestrebte Schadstoffkonzentration in allen Werkbrunnen auf den vereinbarten Wert sinken werde. «Erwartet wird dies in den nächsten 10 Jahren.»

Grenzwerte verschoben

Zehn Jahre später spielt jetzt die Schadstoffkonzentration keine Rolle mehr. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) verrückte 2013 mit einer neuen Wegleitung die Grenzwerte massiv nach oben: Für das Pilzvernichtungsmittel Oxadixyl gilt neu ein Konzentrationswert von 4 Milligramm pro Liter. Dies ist 40 000 mal mehr als die 0,1 Mikrogramm, die Sandoz und das Baselbieter Amt für Umweltschutz und Energie (AUE) nach der Katastrophe vereinbart hatten. Bereits vor dem Bafu passte das AUE das Brandplatz-Überwachungskonzept an. «Die ursprünglichen Sanierungsziele wurden durch die Neubeurteilung des AUE vom 21.10.2011 hinfällig und sind nicht mehr relevant», bestätigt Alexandra Borys, Europa-Kommunikationschefin bei Clariant. Die Clariant-Tochter Infrapark Baselland AG bewirtschaftet heute das Areal.

Der Altlastenexperte Martin Forter kritisiert in der «Schweiz am Sonntag», dass an der neuen Bafu-Wegleitung Christoph Munz vom Ingenieurbüro BMG mitgearbeitet hat, der in MBT-Zeiten für die unvollständige Sanierung des Brandplatzes mitverantwortlich war. Munz ist derzeit nicht erreichbar. Doch erklärt Lukas Gasser, Leiter Altlasten bei BMG: «Die BMG wurde 2012 vom Bafu angefragt, die Redaktion der Vollzugshilfe zur Herleitung von Konzentrationswerten und Feststoff-Grenzwerten zu übernehmen. Das Vorgehen zur Herleitung der Grenzwerte wurde vom Bafu vorgegeben.» Dieses Vorgehen habe das Bafu seit Jahren für Stoffe angewandt, die nicht in der Altlastenverordnung aufgeführt sind.

Auch Feldreben betroffen

Die Wegleitung wird auch im Konflikt um die Feldreben-Sanierung eine Rolle spielen: Die Konzentrationswerte für die Pestizide in der Feldrebengrube wurden gegenüber der Wegleitung von 2002 ebenfalls massiv angehoben: für das verbotene DDT und seine verwandten Stoffe um den Faktor 10, für das ebenfalls verbotene Atrazin auf das 10 000- und für das Unkrautvertilgungsmittel Metolachlor auf das 25 000-fache.

«Mit dieser von BMG ausgearbeiteten Richtlinie erlaubt das Bafu eine massiv grössere Emission von Pestiziden aus Altlasten in das Grundwasser – selbst in der Nachbarschaft von Trinkwasserfassungen», erklärt Forter. Die neue Wegleitung setze jene Werte für Pestizide ausser Kraft, die in der Fremd- und Inhaltsstoffverordnung (FIV) definiert sind. Die FIV geht vom Vorsorgeprinzip aus – Nulltoleranz für Pestizide im Trinkwasser. Deshalb galt bisher auch im Grundwasser bei Deponien durchwegs der Konzentrationswert von 0,1 Mikrogramm pro Liter. Die neuen, höheren Grenzwerte würden dagegen berücksichtigen, wie giftig ein Stoff ist, betont BMG.

«Bei der Feldrebengrube liegt mit der neuen Wegleitung kein Pestizid mehr über dem neuen Grenzwert», fasst Forter zusammen. «Damit erfüllen die Behörden ein lange gehegtes Ziel der meisten Basler Chemie- und Pharmafirmen.»

Widersprüche beim Trinkwasser

Das Trinkwasser-Pumpwerk Obere Hard der Gemeinde Muttenz liegt nur 220 Meter vom Brandplatz entfernt. Nach dem Brand durfte man dort kein Grundwasser pumpen, denn mit dem Löschwasser waren Chemikalien versickert. Bendicht Hurni vom AUE schrieb: «Die vollständige Entfernung dieser Abfälle muss von Sandoz ausgeführt werden, und die Regierung ist verantwortlich für die korrekte Ausführung dieses Prozesses.» Die Sandoz-Tochter MBT grub einen Teil der verschmutzten Erde aus, wusch sie in einer speziellen Anlage und füllte damit die Grube wieder auf. So wurden nicht alle Schadstoffe entfernt. Damit das Regenwasser diese nicht ins Grundwasser spült, deckte man den Brandplatz mit einer massiven Betondecke ab.

Dass es damit dem Regierungsrat nicht ganz wohl ist, zeigt der Brunnen Obere Hard. Im November 2001 erteilte die Regierung der Gemeinde Muttenz zwar erneut die Konzession, dem Brunnen täglich 10 000 Kubikmeter Grundwasser zu entnehmen. Zugleich verfügte sie: «Bis zum Abschluss der Sanierung der sandozbrandbürtigen (sic!) Grundwasserverunreinigung» sei die Förderung auf täglich 3456 Kubikmeter beschränkt. «Die Bau- und Umweltschutzdirektion wird den Sanierungsabschluss der Gemeinde Muttenz mitteilen.»

«Eine solche Mitteilung hat uns die Baselbieter Regierung nie gemacht», berichtet der Muttenzer Bauverwalter Christoph Heitz. «Solange wir keine schriftliche Bestätigung haben, der Brandplatz sei saniert, müssen wir davon ausgehen, er sei eine Quelle problematischer Stoffe.»

Industrielle Risiken

Der Brandplatz ist nicht der einzige belastete Ort in unmittelbarer Nachbarschaft zum Trinkwassergebiet Hard. Um die Schadstoffe von den Trinkwasserbrunnen fernzuhalten, pumpte man das Grundwasser unter dem Industriegebiet Schweizerhalle ab und leitete es in den Rhein. So entsteht eine Grundwassersenke. Zweitens lässt die Hardwasser AG Rheinwasser versickern, was unter dem Hardwald einen «Grundwasserberg» erzeugt.

Das Gefälle zwischen Grundwasserberg und -senke werde heute automatisch überwacht, teilt Alexandra Borys im Namen des Infraparks Baselland mit. Die Messgeräte seien mit der automatischen Steuerung der Pumpen in Schweizerhalle gekoppelt. So sei permanent gewährleistet, dass das Gefälle gross genug bleibe und das belastete Grundwasser von den Trinkwasserbrunnen wegfliesst.

Dies reicht der Gemeinde Muttenz nicht: Sie baut eine Trinkwasseraufbereitungsanlage. Diese wird das Wasser nicht nur einstufig per Kohlefilter reinigen wie bei der benachbarten Hardwasser AG, die kommunale Versorger für 220 000 Personen in Basel und der Agglomeration beliefert. Vielmehr verfügt die Muttenzer Anlage zusätzlich über eine Oxidationsstufe.

Für diese 17-Millionen-Investition sei neben den Deponien und dem Brandplatz, den Risiken der Industrie, des Rangierbahnhofs, der Autobahn und des Auhafens vor allem die Rheinwasser-Versickerung entscheidend, erklärt Heitz: Wird der Rhein flussaufwärts unbemerkt kontaminiert, stellt man dies erst fest, wenn die Verschmutzung in der Rheinüberwachungsstation in Weil ankommt – also zu spät: Das Wasser für die Versickerung wird dem Rhein schon in Pratteln entnommen.

Muttenz baut somit die kostspielige Trinkwasseraufbereitung wegen der industriellen Risiken, zu denen Hinterlassenschaften wie der Brandplatz und die Deponien gehören. «Deswegen verstehen wir nicht, dass der Kanton uns keine Beiträge aus dem 20-Millionen-Fonds für Trinkwasserschutz gewährt», erklärt Heitz. Dieser Fonds wurde von der Industrie im Vorfeld der Abstimmung über die Totalsanierungsinitiativen geäufnet (siehe Text rechts).

Dazu bemerkt Gemeinderat Joachim Hausammann: «Die Erfahrung mit dem Brandplatz zeigt: Macht man einen Deckel drüber, ohne die Schadstoffe wirklich zu entsorgen, hat dies jahrzehntelange Unsicherheiten zur Folge. Deshalb wollen wir bei der Sanierung der Deponie Feldrebengrube keine diffusen Restrisiken hinterlassen, sondern fordern eine abschliessende Sanierung.»