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Betteln ist gesellschaftlich geächtet, ein Verbot aber wohl rechtswidrig. Bettler ist ein Beruf aus anderer Zeit. Wir machen eine kleinen Exkurs in die Geschichte.
Eine Grossfamilie von Roma aus Rumänien erhitzt Basel. Sie nächtigen in der Theodorsanlage und nutzen den Wettsteinbrunnen als Sanitäranlage. Tagsüber verteilen sie sich strategisch in der Stadt und betteln um Geld, zuweilen gelangweilt, zuweilen aggressiv.
Die Polizei laviert zwischen hilflosem Abseitsstehen und dem punktuellen Einkassieren der Bettelware. Die politische Moraldebatte misst währenddessen das breite Feld aus zwischen rigiden Forderungen nach einer (Wieder-)Einführung eines Bettelverbots und empörten Toleranzappellen. Erstere ohne Rücksicht auf die Rechtslage, Letztere ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Implikationen.
Historisch gibt es kein Stadtbild ohne Bettler. Nie war ihre Zahl in unseren Breitengraden allerdings so tief wie in den vergangenen Jahrzehnten, nie waren sie vor allem weniger sichtbar. Einschränkungen verhängten die Stadtoberen erst im späten Mittelalter, als Sozial- und Wirtschaftskrisen die Zahl der Armen anschwellen liess. 40'000 bettelnde Personen, so will eine 1858 publizierte historische Studie wissen, seien einst in einem Jahr in Basel gewesen oder durch die Stadt gezogen.
Die Klagen von heute und von früher unterscheiden sich trotz ungleicher Massierung nicht wesentlich. Und wenn heute LDP-Regierungskandidatin Stephanie Eymann temporäre Bettelbewilligungen für fahrende Bettler vorschlägt, erinnert dies an die «Bettelzeichen», die einst an Auswärtige ausgegeben wurden und etwa ein dreitägiges Betteln in einer Stadt erlaubten.
Betteln ist zwar immer auch eine Folge von Armut gewesen, doch Betteln ist aus der Armutsperspektive allein nicht zu verstehen: Es ist ebenso eine Lebensform und eine Erwerbsmöglichkeit, die weit über die Existenzsicherung hinausgeht. Betteln galt lange auch in unserem Kulturkreis als legitime Form der Unterhaltssicherung, als Beruf.
In seiner Studie «Bettler und Spender» hat Andreas Voss die Geschichte des Bettelns aus der Sicht der Gebenden nachgezeichnet und zwei Traditionen ausgemacht: In der griechischen und römischen Antike galt es als Wohltat der Reichen an der Gesellschaft, wenn sie durch Gaben den Armen das Leben erleichterten. In der orientalischen und darauf aufbauend der christlichen Tradition ist das Geben religiös fundiert. Die Armen standen unter besonderem Schutz der Götter oder in der christlichen Variante: unter dem Schutz der Kirche. In der Bibel ist nachzulesen, wie der Mittellose Gott nähersteht als der Reiche. Dieser konnte sich die Gottesnähe allerdings durch Almosen, Ablässen und andere Gaben erkaufen.
Das merkantile Prinzip gilt auch bei diesem Austauschhandel: Almosen gegen Seelenheil. Bettlerorden wie die Franziskaner und Dominikaner profitierten ebenso davon wie die tatsächlich Verarmten. Die Kirche, die den eingezogenen Zehnten als Armenvermögen verbuchte, investierte dieses allerdings zunehmend in prachtvolle Kirchenbauten. Dies verärgerte das neue städtische Bürgertum, deren Almosen an die Kirche nicht bei den Armen landeten.
Ende des 14. Jahrhunderts erliessen erste Städte Bettelverordnungen, die gleichzeitig den Ausgangspunkt für die bürgerliche Armenfürsorge markierten. Trotz dieser Säkularisierung beruhte die Finanzierung bis in das 16. Jahrhundert auf der religiösen Almosentradition und damit auf Freiwilligkeit. Die Verordnungen blieben deshalb weitgehend auf Repression beschränkt mit zwei wiederkehrenden Aspekten: Arbeitsfähige sollten zur Arbeit angehalten und stadtfremde Bettler weggewiesen werden. Bettelvögte hatten über die Einhaltung zu wachen und Verstösse strafrechtlich zu ahnden.
Die Reformation, die auch eine Reformation des Arbeitsethos beinhaltete, förderte eine Stigmatisierung des Bettelns oder umgekehrt: Armut und Bettel verloren ihre Hochschätzung. Erstmals wurde gesellschaftlich unterschieden zwischen Bettlern, die aus Not, und solchen, die aus Opportunität handelten. Der Druck auf vermeintliche oder echte Erwerbsbettler stieg, mit brutalen Methoden wurden sie verfolgt.
Es dauerte teilweise bis ins 19. Jahrhundert, bis der Staat die Armenfürsorge auch mit Steuergeld finanzierte. Die Lücke in der Armenversorgung führte zu einer Wiederkehr der antiken Tradition des Gebens: Als Wohltat an der Gemeinschaft riefen Begüterte gemeinnützige Stiftungen und Organisationen ins Leben, um Gutes zu tun und um ihr gesellschaftliches Ansehen zu mehren. Gerade in Basel blühte das Wirken für das Gute und Gemeinnützige, wie auch die entsprechende Gesellschaft heisst.
Mit dem Aufbau der Sozialwerke erhielten Arme das Recht auf Unterstützung. Für die Bettelei gibt es seither keine eigentliche Legitimation mehr: Die religiöse Begründung ist ebenso hinfällig geworden wie die grundsätzliche Alternativlosigkeit, auf der Strasse betteln zu müssen. Anders gesagt: Die Gruppe von Rumänen, die in der Stadt auf Betteltour geht, stört durch das offene Betteln die historischen gewachsenen gesellschaftlichen Errungenschaften.
Den Bettelverordnungen im Mittelalter folgten immer schärfere Regulierungen. Anfang des 20. Jahrhunderts galt in allen Schweizer Kantonen ein striktes Bettelverbot. Verstösse wurden jedoch milde geahndet. Die Bestimmung, Betteln aus Arbeitsscheu oder Habsucht im schweizerischen Strafgesetzbuch zu verankern, scheiterte 1918 etwa mit der Begründung, es handle sich bloss um Bagatelldelikte.
In Deutschland war Betteln seit 1871 ein Straftatbestand. Doch nicht zuletzt die «Ausmerzung» von Bettlern durch die Nationalsozialisten führte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Liberalisierung, die sich ab 1960 auch in den Gesetzen niederschlug. Als Basel-Stadt im vergangenen Jahr den Bettelverbotsparagrafen aus dem Gesetz kippte, lag der Kanton allerdings bereits nicht mehr im Trend. Denn dieser zeigt seit den 1990er-Jahren wieder in Richtung Verschärfung.
Eine international vergleichende Rechtsdiskussion legt allerdings nahe, dass ein generelles Verbot heute weder haltbar noch durchsetzbar ist. Dies belegt eine Studie von Daniel Möckli von der Universität Zürich. Das Bundesgericht hatte in einem Urteil von 2008 ein generelles Bettelverbot im Kanton Genf zwar nicht a priori ausgeschlossen, doch darin eine Einschränkung der freien Lebensgestaltung gesehen. Noch klarer sind die Regeln der Europäischen Menschenrechtskonvention, die garantieren, das Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Dazu gehört auch die Möglichkeit, um Geld zu betteln.
Einschränkungen finden sich vielerorts und seien auch rechtlich zulässig, meint Möckli. Doch die meisten davon, wie das Verbot Kinder vorzuschicken oder das Verbot von bandenmässigem und aggressives Betteln, seien ohnehin durch andere Gesetze gewährleistet. Die Wegweisung Fremder, wie sie eine Konstante in der Bettler-Geschichte darstellt, ist heute allerdings kaum mehr möglich; leicht wird sonst gegen die Gleichheitsgrundrechte verstossen.
Aus den USA schwappte noch eine andere Argumentation nach Europa: Die Meinungsäusserungsfreiheit schützt das Betteln. Wenn es zulässig sei, dass Organisationen Bettelbriefe verschicken, so könne auch nicht unterbunden werden, dass ein Bettler einen Passanten direkt um Geld frage.
Die Bettler – gesellschaftlich geächtet, aber rechtlich geschützt – werden deshalb weiterhin zum Stadtbild gehören. Sporadisch auch mit Roma-Familien aus Rumänien. Dies aus Armut, aber auch weil «Betteln zur Kultur der Roma gehört», wie der Soziologe György Szabo der politisch unverdächtigen TAZ sagte.