Esaf 2022
Wirbel auf der Zielgeraden: Zweifel am Sicherheitskonzept des «Eidgenössischen» in Pratteln

Sicherheitschef Marcus Müller ist wegen Meinungsverschiedenheiten von seinem Amt zurückgetreten. Dem Organisationskomitee wird vorgeworfen, aus Spargründen nicht alle Sicherheitsempfehlungen umsetzen zu wollen.

Bojan Stula
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Die enge Einbindung des Esaf Festgeländes zwischen A22, Hülftengraben und Bahnlinie sorgt insbesondere im südlichen Teil (oberer Bildrand) für Kritik an den Evakuierungskapazitäten.

Die enge Einbindung des Esaf Festgeländes zwischen A22, Hülftengraben und Bahnlinie sorgt insbesondere im südlichen Teil (oberer Bildrand) für Kritik an den Evakuierungskapazitäten.

Sven Thomann/ Blick/freshfocus

Eine am Freitag publizierte Recherche der «Basler Zeitung» trübt die Vorfreude auf das am 26. August beginnende Eidgenössische Schwing- und Älplerfest in Pratteln. Wie die Zeitung berichtet, soll es schwere Bedenken wegen des Sicherheitskonzepts geben. Kritisiert werden insbesondere fehlende Fluchtwege für rund 2000 Personen im südlichen Teil des Festgeländes, das durch die Bahnlinie Basel-Olten, den Hülftengraben und die A22 begrenzt ist.

Aber auch generell zu wenig Fläche für die zu erwartenden Menschenmassen auf dem Festgelände und eine zu dichte Möblierung mit Festgarnituren und Brunnen, die sich im Falle einer Panik als Stolperfallen entpuppen könnten, sollen zu Meinungsverschiedenheiten im Organisationskomitee (OK) geführt haben. Aus Spargründen seien nicht alle Vorschläge umgesetzt worden, welche die spezialisierte Basler Sicherheitsfirma Gruner AG im Rahmen eines Beratungsauftrags erteilt hat.

Als Folge dieses Konflikts hat Sicherheitschef Marcus Müller Ende April seinen sofortigen Rücktritt eingereicht. Inzwischen ist der pensionierte Baselbieter Krisenstableiter durch den vormaligen Sicherheits-Finanzchef Urs Saner ersetzt worden, wie Nachforschungen der bz ergeben haben. Auf der offiziellen Esaf-Internetseite ist der Posten des Sicherheitschefs vakant.

In der «Basler Zeitung» wird Müller folgendermassen zitiert:

«Unsere Sicherheitshinweise wurden nicht immer ernst genommen. Das Finanzielle wurde in den Vordergrund gestellt. Am Ende wollte ich die Verantwortung nicht mehr tragen. Es gibt Normen und Regeln, die man einhalten muss. Dazu sind sie nämlich da.»

Gemeinde Pratteln stellt sich hinter das Organisationskomitee

Der Prattler Gemeindepräsident Stephan Burgunder (2. v. r.), hier bei der Präsentation des Esaf-Logos im Prattler Schloss, sieht keinen Anlass für Kritik an OK-Präsident Thomas Weber (2. v. l.).

Der Prattler Gemeindepräsident Stephan Burgunder (2. v. r.), hier bei der Präsentation des Esaf-Logos im Prattler Schloss, sieht keinen Anlass für Kritik an OK-Präsident Thomas Weber (2. v. l.).

Kenneth Nars

Konfrontiert mit dieser Kritik reagiert das Organisationskomitee des «Eidgenössischen» abwehrend. Wo es Differenzen zu den Empfehlungen von Gruner gab, habe man im Dialog mit der Sicherheitsfirma nach den den lokalen Gegebenheiten am besten angepassten Lösungen gesucht. Eine Evakuation des Festgeländes sei jederzeit möglich.

Das Esaf 2022 in Pratteln werde jedenfalls so sicher sein wie es die voran gegangenen gewesen sind, gibt OK-Präsident und SVP-Regierungsrat Thomas Weber im «Regionaljournal» von SRF zu Protokoll.

Sogar überrascht von den Vorwürfen zeigt sich am Freitagvormittag der Prattler Gemeindepräsident Stephan Burgunder. Aus seiner Sicht gebe es keinen Anlass für eine derartige Kritik:

«Ich habe absolut keine Sicherheitsbedenken. Sicherheitstechnisch stehe ich voll und ganz hinter dem Anlass.»

Die Standortgemeinde sei an allen Sicherheitsplanungen «sehr, sehr nahe dran». Die Sicherheitsplanungen sind laut Burgunder enorm detailliert: «Alle möglichen Entwicklungen und Vorfälle wurden berücksichtigt. Wir haben ebenso ein spezielles Verkehrs- wie ein Evakuationskonzept», betont der Gemeindepräsident und FDP-Landrat.

Eidgenössischer Schwingerverband sieht keinen Grund, um einzugreifen

Ähnlich klingt es seitens des Eidgenössischen Schwingerverbands (ESV), dem Auftraggeber für die Durchführung des Schwingfests. Laut ESV-Geschäftsführer Rolf Gasser, der gleichzeitig stellvertretender Esaf-Geschäftsführer ist, gibt es für den Schwingerverband keinen Grund, aufgrund der Berichterstattung der «Basler Zeitung» einzugreifen:

«Das lokale OK geniesst weiterhin unser vollstes Vertrauen. In gewissen sicherheitstechnischen Detailfragen kann man immer unterschiedlicher Auffassung sein.»

Man werde aber in der zweiten Juni-Hälfte im Rahmen des regelmässigen Austauschs mit dem OK zusammensitzen. «Dort kommen die aktuellen Fragen dann bestimmt zur Sprache», sagt Gasser.

Der oberste Schweizer Schwinger, ESV-Obmann Markus Lauener, stützt diese Aussagen. Er gehe davon aus, dass das OK alle sicherheitsrelevanten Vorkehrungen getroffen habe:

«So wie ich Thomas Weber kenne, kann ich mir nicht vorstellen, dass er in irgendeiner Sicherheitsfrage grobfahrlässig unterwegs sein könnte.»

Schwingerverband-Geschäftsführer Gasser misst dem durch Müllers Rücktritt verursachten Eklat keine übermässige Bedeutung bei: «Bisher hat es an jedem Esaf, das ich als ESV-Geschäftsführer begleitet habe, auf der Zielgeraden irgendwelche personellen Konflikte gegeben. Das liegt bis zu einem gewissen Grad in der Natur der Sache, wenn so viele unterschiedliche Charaktere aufeinanderprallen.»

Keine Frage von Billiglösungen

So wie in Zug 2019 wünschen sich die Organisatoren auch das Esaf 2022 in Pratteln: Stimmungsvoll und in friedlicher Schwingfest-Atmosphäre - trotz Publikumsandrang.

So wie in Zug 2019 wünschen sich die Organisatoren auch das Esaf 2022 in Pratteln: Stimmungsvoll und in friedlicher Schwingfest-Atmosphäre - trotz Publikumsandrang.

Urs Flueeler / KEYSTONE

Die Solidaritätsbekundungen von Organen rund um das Organisationskomitee kommen in einer solchen Krisensituation nicht unerwartet. Wirklich vertraut mit den umstrittenen Fachfragen ist Marcel Schaub, seit 22 Jahren der Sicherheitsverantwortliche der Gemeinde Pratteln. «Natürlich ist es unschön, dass Marcus Müller ausgestiegen ist. Ich kenne ihn schon lange und schätze ihn sehr», bedauert Schaub das Vorgefallene.

Aber es sei ein grosses Gremium, das sich mit den Sicherheitsfragen rund ums Esaf befasse, nicht bloss eine Einzelperson. Schaub selbst sieht die Sicherheit an den drei Schwingfesttagen als gewährleistet an:

«Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nie. Doch die getroffenen Lösungen entsprechen vollumfänglich den gesetzlichen Vorgaben und sind überprüft worden. Die Frage der Hindernisse und der Fluchtkorridore hat man x-fach angeschaut und besprochen. Das Fluchtkonzept wurde von Fachpersonen ausgearbeitet, und ich vertraue darauf.»

Schaub ist laut eigenen Angaben bei den wichtigen Besprechungen im Teilstab Sicherheit dabei gewesen und hat sich von den korrekten Abläufen selber überzeugen können. Letztlich drehten sich die offenen Fragen um Finessen:

«Damit Budgetvorgaben eingehalten werden können, vergleicht man verschiedene Lösungsansätze, ohne aber die Sicherheit zu schmälern. Wir reden hier also von einem Vergleich zwischen Rolls Royce und Ferrari und nicht zwischen Auto und Velo.»

Marcus Müller: Noch bliebe Zeit genug

Während 21 Jahren leitete Marcus Müller den kantonalen Krisenstab Baselland. Seine Expertise in Sicherheitsfragen gilt in Fachkreisen als unbestritten, jedoch eilt ihm der Ruf voraus, ein Perfektionist zu sein.

Während 21 Jahren leitete Marcus Müller den kantonalen Krisenstab Baselland. Seine Expertise in Sicherheitsfragen gilt in Fachkreisen als unbestritten, jedoch eilt ihm der Ruf voraus, ein Perfektionist zu sein.

bz-Archiv

Wie sicher wird denn nun der Besuch des Eidgenössischen Schwingfests in Pratteln im August sein? Eine abschliessende Beurteilung ist aufgrund der am Freitag bekannt gewordenen Fakten und Aussagen kaum möglich. Auf die Nachfrage, ob er bei unverändertem Sicherheitsdispositiv als einfacher Besucher ans Schwingfest gehen wird, antwortet Marcus Müller: Ja - aber dank seines Fachwissens könne er sich innerlich auf gewisse Situationen vorbereiten.

Dieses Fachwissen hätten die normalen Schwingfans nicht: «Der Anspruch muss aber sein, dass auch Besucherinnen und Besucher ohne dieses Fachwissen im Eventualfall richtig reagieren können.» Dabei stehen zwei Hauptkritikpunkte für den früheren Muttenzer Gemeinderat im Vordergrund: «Erstens die Lenkung der Personenströme. Das braucht Platz und Personal, und das kostet Geld. Hier wird gespart. Zweitens die Evakuierung im Eventualfall.»

Entsprechend reagiert Müller auf die oben genannten Relativierungen seiner Kritik:

«Das ist das Kernproblem: Mein Sicherheitsverständnis und mein Verständnis vom notwendigen Sicherheitsniveau sind nicht deckungsgleich mit dem Verständnis des OK. In Einzelherausforderungen, die für mich wichtig sind, haben wir uns nicht finden können. Deshalb bin ich zurückgetreten.»

Jedoch zeigt sich Müller alles andere als unversöhnlich. «Es bestünde immer noch genügend Zeit und Möglichkeiten, breitere oder hindernisfreie Fluchtwege in den kritischen Bereichen zu schaffen», gibt er dem Organisationskomitee als Ratschlag mit auf den Weg.