Im Friedwald von Nuglar ruht die Asche der Verstorbenen unter den Baumwurzeln. Naturbestattungen sind hier auch für Haustiere möglich.
Der 70-jährige Ernst Brunschweiler stellt sein Auto auf einem kleinen Parkplatz auf den Kirschenwiesen oberhalb Nuglar ab. Kein Schild weist hier den Weg zum Friedwald von Nuglar, wo die Asche von Verstorbenen unter den Wurzeln von Eichen, Buchen und Linden weilt. Das weisse Wegkreuz nennt Brunschweiler dem Besucher als Erkennungszeichen. Aber das trügt, wie er nachher eingesteht: «Wir sind hier im Kanton Solothurn. Da stehen jede Menge weisse Kreuze herum.»
Erst am Waldrand, nach etwa fünfhundert Meter Fussweg, weist eine kleine Tafel auf die Existenz des Friedwalds hin. Sie diene zur Orientierung und Information der Besucher, sagt Brunschweiler, gleichzeitig aber auch als Abschreckung: «Das hält die jungen Leute davon ab, gerade hier Party zu machen.» «Hier», das ist auf den ersten Blick ein normaler Waldweg in einem normalen Mischwald. Nach etwa dreihundert Metern steht man an der Grenze zum Baselbiet. Ein alter Grenzstein verwittert dort, der noch den linksgerichteten Baselstab zeigt. Laut einer Anekdote lief der Friedwald-Gründer Ueli Sauter mit Skeptikern durch einen Friedwald und fragte die verdutzten Gäste am Ende dann, ob sie etwas bemerkt hätten.
Man muss schon wissen, dass man an den Bäumen am Wegesrand und etwas abseits nach kleinen Plakettchen oder Aufmalungen suchen muss, um die lebenden Ruhestätten zu finden. Zwei Buchstaben stehen dort: Beginnend mit AA kodieren sie den Käufer des Baumes, den Brunschweiler in seiner Mappe nachschlagen kann. Im Friedwald wird Wert auf Anonymität gelegt: Nur selten steht ein Vorname auf den Plaketten; weitere Angaben sind nicht erwünscht.
Es gibt auch keine Bänke, keine Wege zu den einzelnen Bäumen und keine Kreuze: Der Kanton will laut Brunschweiler «nicht einfach den Friedhof in den Wald versetzen». Nur ein Gedenkstein steht am Wegesrand: Der Turnverein Nuglar errichtete ihn für drei seiner verunglückten Bergsteiger. Auch Grabschmuck ist im Friedwald nicht erlaubt. Trotzdem liegt vor Baum AD eine zerrupfte Rose. Brunschweiler muss schmunzeln: «Rosen haben die Rehe zum Fressen gern.» Unter der Föhre gegenüber liegen einige Steine. Die Angehörigen bringen sie beim Besuch mit, ähnlich einem jüdischen Grab. Das Teelicht im Glas daneben verstösst aber eindeutig gegen das Friedwaldreglement. «Waldbrandgefahr», sagt Brunschweiler nur.
Knapp dreissig Bäume sind im Nuglarer Friedwald bereits verkauft, wegen der Symbolkraft des Jahreslaufes vor allem Laubbäume. Die Asche von Menschen aus Basel, Zwingen, Liestal, Riehen, Therwil, Lupsingen und sogar Frankfurt am Main liegt hier, 25 Zentimeter tief unter den Wurzeln eines Baumes vergraben. Abgesehen vom «herrlichen Platz» und der «richtig schönen Aussicht» sind es die geringe Pflege und minimale Kosten, die Friedwald-Kunden hier in Nuglar schätzen. Die Mehrheit der Trauerfeiern finden hier ohne kirchliche Begleitung statt; es gibt aber freiberufliche Ritualberater, meist verheiratete ehemalige katholische Pfarrer. Brunschweiler findet es «eigentlich schöner, wenn man die Abschiedsfeier selbst gestaltet, der Sohn zum Beispiel die Rede hält». Nicht zuletzt kann man im Friedwald auch die Asche seiner Haustiere zur Ruhe betten, was auf einem herkömmlichen Friedhof schwer möglich ist.
Die Gemeinde Nuglar-Sankt-Pantaleon entschied sich 2004 für den Friedwald; jener in Dornach ist bereits drei Jahre älter. Zuvor musste der Kanton Solothurn sein Einverständnis geben. Ihren Anfang nahm die Friedwald-Bewegung im Thurgau. Er war nicht leicht: Die Anekdote von den Skeptikern stammt von damals. Viele Kantone und Gemeinden waren und sind noch skeptisch. Gründer Sauter musste viel Überzeugungsarbeit leisten, notfalls über das Gericht. Das Baselbiet liess sich bisher ebenfalls nicht überzeugen. Läufelfingen, Ormalingen und Therwil lehnten den Antrag ab; in Biel-Benken genügte der Wald nicht den Anforderungen.
Brunschweiler ist heute für dreissig Friedwälder in den Kantonen Aargau, Solothurn, Bern und Luzern zuständig. Er verwaltet sie und pflegt sie, ist Ansprechpartner für Interessierte und Angehörige. Einen Baum hat er sich noch nicht ausgesucht; aber er will auf jeden Fall in einem Friedwald ruhen, am liebsten an einem See. «Der Wald ist schön; aber eigentlich ist mein Element das Wasser», sagt er. Lange Zeit wohnte er am Bodensee, bevor er in den Aargau zog. Ein Wald am Seeufer sei aber noch schwerer für einen Friedwald zu bekommen.