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Der Landrat stritt eine Dreiviertelstunde lang über die Prüfung einer Einführung von Überbrückungsrenten für ältere Arbeitslose. Eine ebenso emotionale wie entlarvende Debatte.
Sollte sich jemand fragen, wie der im Frühjahr neu gewählte Landrat tickt, dann konnte er am Donnerstagnachmittag allerbesten Anschauungsunterricht geniessen. Die ebenso exemplarische wie entlarvende Debatte entzündete sich an einem Postulat von SP-Fraktionschefin Miriam Locher. Die Münchensteinerin forderte von Regierung zu prüfen, ob im Baselbiet mit der Einführung einer Überbrückungsrente bis zum Erreichen des AHV-Alters Arbeitslose über 50 vor dem Abrutschen in die Sozialhilfe bewahrt werden könnten. Locher stützte sich in ihrem Vorstoss auf eine Empfehlung der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe.
In ihrer Stellungnahme sprach sich die Regierung gegen Lochers Postulat aus, da sie keine kantonal «isolierte Leistung» schaffen wolle und Ergänzungsleistungen Sache des Bundes seien. Zudem habe der Bundesrat das Thema bereits aufgegriffen. Tatsächlich ist unter den im Mai angekündigten Massnahmen zur Förderung inländischer Arbeitskräfte eine Überbrückungsrente für Menschen vorgesehen, die mit 58 Jahren ihre Stelle verlieren, sofern sie davor mindestens 20 Jahre lang gearbeitet haben und nicht vermögend sind.
So weit, so klar. Man hätte getrost zum nächsten Traktandum übergehen können. Doch weit gefehlt. Es folgte ein 45-minütiger Schlagabtausch, bei dem man den Verdacht nicht los wurde, dass es dabei erstens um parteipolitische Revierabgrenzungen, zweitens um ein Kräftemessen zwischen Altgedienten und Ratsneulingen sowie drittens um eine kräftige Prise Wahlkampfgetöse ging. Da war zunächst die SP, die mit Vehemenz ihr Anliegen verteidigte. Ältere Arbeitnehmer seien doppelt so lange von Arbeitslosigkeit betroffen wie Junge. Eine Überbrückungsrente biete Betroffenen eine viel bessere und würdevollere Perspektive. Hinter einer Entlassung im Alter stünden Familienschicksale. Am nüchternsten formulierte es Linard Candreia (Laufen), im Landrat seit 2015: Bei der Überbrückungsrente handle es sich um eine kreative Lösung. Lochers Vorstoss sei nötig, geeignet und verhältnismässig.
Damit wollten sich die liberalen Wirtschaftsvertreter nicht abfinden. Auf Bundesebene liege bereits eine pfannenfertige Vorlage vor, die sogar über Lochers Forderungen hinausginge. Dies wohlgemerkt unter der Obhut einer freisinnigen Bundesrätin, betonten die beiden altgedienten FDP-Landräte Andreas Dürr (Biel-Benken) und Balz Stückelberger (Arlesheim). Es sei geradezu lächerlich, ein kantonales «Paradies an der Ergolz» schaffen zu wollen, echauffierte sich Dürr. Vielmehr sei eine Überbrückungsrente blosse Symptombekämpfung. Statt sich eine ineffiziente Doppelspurigkeit zu leisten, müssten mehr Anreize für die Wirtschaft geschaffen werden, ältere Arbeitsnehmende zu behalten oder sogar neu anzustellen, ergänzte Stückelberger.
Dem wollte die SVP nicht nachstehen. Neuling Ermando Imondi (Zwingen) warnte vor den «falschen Anreizen», die eine Überbrückungsrente darstellen könnte; sowohl für die älteren Arbeitslosen wie für die Arbeitgeber. Routinier Caroline Mall (Reinach) nutzte die Gelegenheit, gegen den freien Personenverkehr zu schiessen: «Ich habe es selber erlebt, wie ältere Kollegen wegrationalisiert und durch jüngere Grenzgänger ersetzt wurden.» Die Personenfreizügigkeit sei Teil des Problems.
Aber all diese Voten waren gar nichts im Vergleich zum Wortgefecht, das sich die 2018 nachgerückte FDP-Frau Jacqueline Bader (Reinach) und ihr um ein Jahr dienstälterer SP-Rivale Adil Koller (Münchenstein) lieferten. Dieses spielte sich in etwa so ab: Koller, wohl angestachelt durch das Stichwort «falsche Anreize», betonte nochmals die notwendige Entlastung für die Betroffenen. Bader replizierte: Anstatt die Leute «mit Geld durchzufüttern», sollten ältere Arbeitslose effektiver in den Arbeitsmarkt zurückgeführt werden. Das Problem liege bei den Arbeitsämtern, welche das Problem bloss verwalteten. Darauf Koller: Der Ausdruck «durchfüttern» mache ihn extrem wütend. Daraus spreche die pure Arroganz. Es gehe um Menschen, die 30 Jahre lang gearbeitet hätten, dann ausgemustert würden und es nicht verdienten, in die Sozialhilfe abzurutschen. Dann wieder Bader: Sie habe die Nase voll davon, als Unternehmerin und Arbeitgeberin stets als «Geldsack» abgestempelt zu werden. «Hast du Adil jemals eine ältere Person dem Arbeitsmarkt zugeführt?» Es seien die regionalen KMU, welche das Auffangbecken für die älteren Arbeitnehmenden bildeten.
Damit waren nicht nur alle Parteilinien abgesteckt, sondern auch der Ausschlag auf der Erregungsskala erreicht. Der Rat nahm Lochers Postulat mit 46 zu 35 Stimmen an, die Regierung wird wider Willen doch eine kantonale Sonderlösung ausarbeiten müssen. Auch dies ein Resultat der neuen Kräfteverhältnisse im Parlament. Der einzige CVPler der gegen das SP-Postulat stimmte, war der Oberwiler Pascal Ryf: «Mich hat das Argument überzeugt, dass eine solche Überbrückungsrente die Unternehmen noch stärker dazu verleiten kann, ältere Arbeitnehmer zu entlassen.»