Gentechnologie-Gegner
Maya Graf: «Sonst verlieren wir die Kontrolle über unsere Ernährung»

Durch neue gentechnisch verändernde Technologien kommen auf die Bauern und die Landwirtschaftspolitik vielfältige Herausforderungen zu, sagt die scheidende Präsidentin der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG).

Daniel Haller
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Nicole Nars-Zimmer niz

Maya Graf, Baselbieter Nationalrätin der Grünen, hat am Dienstag an einer Mitgliederversammlung auf ihrem Hof in Sissach nach 15 Jahren das Präsidium der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) abgegeben.

Maya Graf

Seit Maya Graf (54) 2001 für die Grünen in den Nationalrat einzog, betreut sie für ihre Fraktion das Landwirtschafts- und Gentech-Dossier. Als SAG-Präsidentin kämpfte sie für das vom Volk 2005 angenommene Gentech-Moratorium. Graf ist Mitglied der Wissenschafts-, Bildungs- und Kulturkommission des Nationalrats, der Geschäftsprüfungskommission und der Geschäftsprüfungsdelegation. 2013 war sie Nationalratspräsidentin. Die Biobäuerin ist in Sissach auf dem Hof Unter der Fluh aufgewachsen, machte das Handelsdiplom und schloss die Höhere Fachschule in Basel als Sozialarbeiterin ab. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Frau Graf, für Sie war die Gentechnologie ein zentraler Teil Ihrer politischen Arbeit. Durch den Film «Mais im Bundeshaus» wurden sie national bekannt. Weshalb hören Sie jetzt auf?

Maya Graf: Es war eine bewegte Zeit, und wir haben als SAG viel erreicht, aber 15 Jahre sind genug. Begonnen hatte alles schon 1999, als sich Greenpeace gegen Container mit Gentech-Futtermitteln wehrte, die bereits im Basler Hafen standen. Da merkte man, dass nichts geregelt war. «Mais im Bundeshaus» zeigte, wie das Gentechnik-Gesetz im Parlament erarbeitet und 2002 verabschiedet wurde. 2005 hat dann die Schweizer Bevölkerung dem Anbau-Moratorium zugestimmt, das 2017 mit grösster Wahrscheinlichkeit um weitere vier Jahre verlängert wird.

Gelten die Gesetze auch für die neue CRISPR-Technologie, mit der man Veränderungen vornimmt, ohne fremde Gene einzupflanzen?

Wir stehen jetzt nach rund einem Vierteljahrhundert, in dem es um die «alte» Gentechnologie ging, vor ganz neuen Herausforderungen. Die SAG und ihre Verbündeten in der EU sind höchst alarmiert, denn die neuen Verfahren sind einfacher, aber es fehlt eine Risikoforschung. Die Gefahr besteht, dass vorschnell gentechnisch veränderte Organismen in die Umwelt gelangen. Dann kann nichts mehr zurückgeholt werden. Niemand weiss, wie sich solche Mutationen in späteren Generationen auswirken. Wie verhalten sie sich gegenüber ihren Verwandten in der Natur? Kann man dann überhaupt die Genveränderung noch nachweisen, weil ja angeblich nichts Fremdes eingepflanzt wurde?

Glossar

CRISPR: Methode, mit relativ einfachen Mitteln eine Mutation der Gene hervorzurufen und die Erbinformationen umzuschreiben (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats).
TTIP: Freihandels- und Investitionsschutzabkommen in Form eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen der Europäischen Union und den USA. Die Vertragsbedingungen werden hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. (Transatlantic Trade and Investment Partnership)
FiBL: Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick.
Alliance F: der grösste Schweizerische Frauen-Dachverband.

Wäre da für Sie nicht noch viel zu tun?

Neue Technologien werfen neue Fragen nach Regulierungen und in der Forschungspolitik auf. Dies ist ein guter Zeitpunkt, die SAG in die nächsten Hände zu legen: Meine Nationalratskollegin Martina Munz ist ETH-Agronomin. Sie ist in der gleichen Kommission wie ich und hat sich bereits eingearbeitet. Zudem werde ich weiterhin mit ihr zusammenarbeiten.

Was fordern Sie?

Die neuen Techniken müssen den gleichen gesetzlichen Regeln unterzogen werden wie die bisherigen Gentechniken. Die Züchtungen müssen – auch in der EU – unter das Gentechnik-Gesetz fallen und deklariert werden. Dieser Kampf läuft derzeit hinter den Kulissen – mit den gleichen Playern wie bei der alten Gentechnologie. Zudem sollte mit Steuergeldern vor allem die Züchtung von in der Schweiz angepassten, robusten bio-tauglichen Sorten stärker unterstützt werden, anstatt immer neue Arten der Labor-Züchtung zu pushen. Wenn die Industrie darin Vorteile sieht, soll sie die Entwicklungskosten und das Risiko selber tragen.

Spricht da die Bio-Lobbyistin?

Die Schweiz sollte den Anschluss nicht verpassen. Im Rahmen von Horizon 2020 investiert die EU in den nächsten Jahren 20 Millionen Euro in die Entwicklung der Bio-Züchtung. In Holland wurden mit neuen, natürlichen Verfahren robuste, bio-taugliche Kartoffelsorten entwickelt, die aktuell im FiBL getestet werden. Es ist unverständlich, dass unsere staatliche Forschungsanstalt Agroscope gleichzeitig Gentechnik-Kartoffeln für Millionen von Franken im Hochsicherheitstrakt testet. Für eine langfristig nachhaltige Landwirtschaft werden diese Gelder an einem völlig falschen Ort eingesetzt, zumal die offizielle Landwirtschaftspolitik auf eine gentechfreie Qualitätsstrategie setzt.

Das klingt nicht, als würden Sie sich aufs Altenteil zurückziehen.

Nein, ich habe mit dem Co-Präsidium der Alliance F ein weiteres neues, spannendes Thema. Zudem betreue ich für die Grünen das Landwirtschaftsdossier, worin ich auch mit allen Trägerorganisationen der SAG inklusive Bauernverband weiter zusammenarbeiten werde.

Wie steht die SAG zum Freihandelsabkommen TTIP, über das aktuell verhandelt wird?

Die Gefahr, dass die USA Gentech-Produkte nach Europa exportieren können, ist riesig und löst vor allem in Deutschland Widerstand aus: Im letzten Herbst protestierte eine Viertelmillion Menschen in Berlin; Bauern, Konsumentinnen, Umweltorganisationen, Familien. Wir stehen in Kontakt mit dem deutschen Parlamentarier Harald Ebner, der die geheimen Verhandlungspapiere lesen konnte. Sein Fazit: Deutschland möchte Autoteile in die USA verkaufen. Die USA wollen im Gegenzug ihre agroindustriell und mit Subventionen produzierten Überschüsse auf den EU-Markt bringen. Darunter wären Gentech-Futtermittel, Hormonfleisch oder mit Chlor behandelte Poulets. Weiter wollen sie Herkunftsbezeichnungen abschaffen. Damit könnte beispielsweise der heute AOC-geschützte Gruyière-Käse auch in den USA hergestellt oder «Champagner» in Kalifornien produziert werden.

Betrifft uns dies in der Schweiz?

Schafft TTIP die grösste Freihandelszone der Welt, werden wir keine Wahlmöglichkeit haben. Dann stellt sich die Frage, ob wir unsere weitgehend bäuerliche Landwirtschaft, die Deklarationsvorschriften und Konsumentenrechte behalten wollen. Essen ist schliesslich auch ein Kulturgut. Zudem gilt in den USA: Man darf alles auf den Markt bringen, bis jemand Schäden nachweist. In Europa ist es umgekehrt: Die Risiken von neuartigen Lebensmitteln müssen abgeklärt sein, bevor man sie verkaufen darf. Dieses Vorsorgeprinzip wollen wir behalten.

Hat die Schweiz bei den Verhandlungen etwas zu sagen?

Nein. Doch die EU und die USA sind unsere grössten Handelspartner. Die Schweiz wird sich also in irgendeiner Form an das Freihandelsabkommen andocken. Dies wird bereits geprüft.

Sie sind gegen Freihandel und gelten als «Technologie-Verhindererin». Haben Sie diese Bremser-Rolle nicht satt?

Die entscheidenden Fragen sind: Wem dienen neue Errungenschaften? Was lösen sie für die Gesellschaft und für die Umwelt aus? Jene, die mir das Verhindern vorwerfen, verhindern selbst jegliche Diskussion darüber. Wir sprechen über Pflanzenzüchtung, nicht über industrielle Güter wie Autobestandteile oder Uhrwerke. Es geht um Lebewesen in einem lebendigen System. Da bin ich gern skeptisch gegenüber bestimmten Technologien, weil es bewährte Techniken und vielversprechende neue Ansätze gibt. Die Gentechnik und der rein profitorientierte TTIP-Freihandel sind nicht die Lösung, sondern sie verhindern mit ihrem einseitigen Ansatz, dass alle Menschen genug zu essen bekommen und wir auch in Zukunft in einem intakten Ökosystem leben.

Gentech-Befürworter argumentieren, um 9 Milliarden Menschen zu ernähren, brauche es ertragreichere Pflanzen.

Seit 20 Jahren versucht die Agrarindustrie, Gentechnik als geniale Erfindung gegen Hunger und Pestizid-Verbrauch zu verkaufen. Erreicht wurde das Gegenteil: Die drei Gentech-Pflanzen Soja, Mais und Raps, die man heute weltweit anbaut, sind Tierfutter für den Fleischkonsum der Reichen im Norden. Der Anbau dieser Produkte entzieht den Kleinbauern im Süden den Boden, den sie für die Ernährung der Menschen in ihrer Region brauchen würden. Auch wurde der Pestizid-Einsatz nicht verringert, sondern ist teilweise sogar gestiegen. Inzwischen gibt es Super-Unkräuter, die resistent gegen das Monsanto-Herbizid Glyphosat sind. Patentierte Gentech-Pflanzen dienen nicht der Bekämpfung des Hungers, sondern um zum Beispiel zusammen mit dem Saatgut das Herbizid verkaufen zu können.

Aber es gibt doch den «goldenen» Reis, der das lebenswichtige Vitamin A enthält.

Das Problem mit Vitamin A wird gelöst mit etwas Gemüse oder Butter auf dem Speisezettel und der gezielten Abgabe von Tropfen an Kleinkinder. Der goldene Reis ist und bleibt seit über 15 Jahren in den Labors – zum Glück. Hier zeigt sich einmal mehr der einseitige Ansatz der Gentechnik-Befürworter. Eine ausgewogene Ernährung erreicht man eben nicht mit der Monokultur eines noch so vitaminhaltigen Reises. Man muss einen Reis entwickeln, der in ein System passt, in dem die Bauern Fischzucht, Reisanbau und einen Gemüsegarten kombinieren.

BASF hat die Gentech-Forschung in die USA verlegt, Bayer will den US-Konzern Monsanto übernehmen, Syngenta wird von China gekauft – Globalisierung total. Wie wollen Sie mit einem regionalen Moratorium verhindern, dass Gentech nicht doch auf unseren Tisch kommt?

Der Widerstand wird getragen von einer breiten Allianz aus Bauernorganisationen, Konsumentinnen, Umwelt- und Entwicklungsorganisation sowie Ärzten und Ärztinnen für den Umweltschutz. Sie haben es geschafft, fast ganz Europa gentechfrei zu halten. Einzig in Spanien und Portugal wird auf weniger als 1 Promille der europäischen Ackerfläche Gentech-Mais angebaut. Dies haben wir erreicht, indem sich die Zivilgesellschaft vernetzt hat: Unsere Fahne wurde in andere Sprachen übersetzt und flatterte selbst in Japan. Es geht um Ernährungssouveränität: Wir bestimmen selbst, was auf den Teller kommt. Wir machen uns nicht abhängig von der Agroindustrie und wollen keine Technologie, welche die Pflanze wie einen Legobaustein behandelt. Es geht um unser Leben.

Wir beziehen Futtermittel aus Südamerika, wo man vor allem Gentech-Sorten anbaut. Essen wir also indirekt genveränderte Produkte?

Nein. Alle Bauernorganisationen, die Grossverteiler und die Futtermittel-Importeure stehen heute hinter dem Moratorium, das unsere Allianz 2005 durchgesetzt hat. Sie haben erkannt, dass man sich nicht als gentechfrei erklären und zugleich Gentech-Soja verfüttern kann. Nun kommt seit mehr als zehn Jahren kein Gentech-Futter mehr in die Schweiz. In Deutschland verlangen die Bauern nun gentechfreie Futtermittel. Die Beschaffung in Südamerika wird aber immer schwieriger, da durch Pollenflug auch traditionelle Sorten gentechnisch verseucht sind. Deshalb setzt Europa nun darauf, von Norditalien über Österreich bis in die Ukraine gentechfreie Soja anzubauen. Dies geht in Richtung einer Landwirtschaft, in der man gemeinsam mit den Menschen im System denkt, die demokratisch abgestützt ist, und wo wir nicht langfristige Schäden verursachen: Das Wichtigste, das wir bewahren müssen, sind unsere Ackerflächen, unsere Biodiversität und unsere Handlungsfreiheit in Bezug auf die Nahrung von morgen.

Gentech-Befürworter betonen, die Schädlichkeit sei durch keinerlei Studien nachgewiesen worden.

Das ist falsch. In den USA und Kanada ist dies am besten erforscht. Farmer möchten wieder weg von der Gentechnik, können aber nicht mehr, da bereits 80 bis 90 Prozent vom Mais nur noch gentechnisch erhältlich sind. In ganz Westkanada gibt es heute keinen Bio-Raps mehr, weil alles kontaminiert ist. Die Wahlfreiheit des Konsumenten ist weg, und die Agroindustrie verdrängt die andere Landwirtschaft. Da verlieren wir die Kontrolle über unsere Ernährung. Essen muss bäuerlich und gemeinschaftlich produziert werden.

Da würden Ihnen die Gegner vorwerfen, dass sie urbane Kleinbauern-Romantiker bedienen.

Dann bezeichnen sie halt die Schweiz als Kleinbauern-Romantik (lacht). Wir ernten viel Lob für unsere multifunktionale Landwirtschaft und die Qualitätsstrategie. Kleinbauern sind zudem weltweit das sicherste System, Menschen zu ernähren. Dabei kann und muss man die Technik durchaus weiter entwickeln. Aber diese muss dem lokal und sozial angepassten landwirtschaftlichen System dienen und darf dieses nicht unterwerfen.