Gesundheit
Pflegekosten-Streit: Droht Baselbieter Altersheimen bald der Konkurs?

Der Baselbieter Heimverband sieht schwarz, sollten die Pflegebeiträge der Gemeinden nicht stärker erhöht werden. Deshalb machen die 31 Alters- und Pflegeheime mit einer Kampagne Druck auf Kanton und Gemeinden. Auch vor Gericht wird gestritten.

Michael Nittnaus
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Heimverband sieht schwarz, sollten Pflegebeiträge nicht stärker erhöht werden. (Symbolbild)

Heimverband sieht schwarz, sollten Pflegebeiträge nicht stärker erhöht werden. (Symbolbild)

Keystone

Nimmt man den Tonfall als Massstab, so stehen die 31 Baselbieter Alters- und Pflegeheime kurz davor, dicht zu machen – derart drastisch schildern sie ihre Situation: «Der Regierungsrat treibt die Baselbieter Alterszentren und Pflegeheime in eine Abwärtsspirale und gefährdet die Existenzgrundlage der Heime.» Dies schreibt der Heimverband Curaviva Baselland in seiner Stellungnahme zur Vernehmlassung über die Pflegenormkosten (PNK) ab 2019, also den Beiträgen, die die Heime von Krankenkassen, Heimbewohnern und Gemeinden finanziert für eine Stunde Pflege erhalten.

Curaviva beklagt seit Jahren, dass die Baselbieter Regierung die PNK zu tief ansetze und die Heime zu rechtswidriger Querfinanzierung zwinge, doch mit dem neusten Entscheid vom Mai scheint die Geduld endgültig am Ende.

74 Franken oder 88 pro Stunde?

Der Verband sieht nur drei Möglichkeiten, wie die Heime reagieren können, sollten die PNK 2019 wie von der Regierung vorgesehen auf 74.05 Franken pro Stunde festgesetzt werden:

  • Weiter rechtswidrige Querfinanzierung.
  • Massiver Leistungsabbau in der Pflege.
  • Die Verluste in Kauf nehmen «mit der Konsequenz eines mittelfristigen Konkurses».

Da für Curaviva keiner dieser Wege infrage kommt, bleibt nur der Kampf um höhere Ansätze. Zwar erhöht die Regierung die PNK durchaus – 2018 liegen sie bei 69.40 Franken – doch fordern die Heime aufgrund eigener Berechnungen sowie Aussagen des Preisüberwachers für 2019 nicht weniger als 88.47 Franken pro Stunde Pflege. Zur Einordnung: Schon die Erhöhung gemäss Regierungsvorlage bedeutet für die 86 Gemeinden Mehrkosten von schätzungsweise knapp fünf Millionen Franken.

Kurz erklärt

Alters- und Pflegeheime erbringen Leistungen in der Pflege, der Betreuung und der Hotellerie. Gesetzlich geregelt sind einzig die Pflegekosten. Was die Heime für eine Stunde Pflege erhalten – die sogenannten Pflegenormkosten (PNK) – ist für alle gleich hoch, egal ob ihre effektiven Pflegekosten differieren. Das führt dazu, dass Kosten auf die Betreuung – also alle Pflegeleistungen, die die Krankenkasse nicht übernimmt – und die Hotellerie überwälzt werden.

Dies verstösst gegen Bundesrecht. Zahlen müssen diese beiden Kategorien die Heimbewohner respektive die Gemeinden über Ergänzungsleistungen. Die PNK werden durch die Krankenkassen, die Heimbewohner und die Gemeinden getragen. Während die Beiträge der beiden Erstgenannten auf einen festen Tagessatz pro Pflegestufe limitiert sind, übernehmen die Gemeinden die Restkosten. Erhöht die Regierung die PNK, geht dies also zulasten der Gemeinden.

Der Konflikt ist unausweichlich. Schon gegen die Pflegenormkosten 2018 ist eine Beschwerde von Curaviva und sieben Heimen vor Kantonsgericht hängig. Am 22. August entscheidet das Gericht aber erst, ob die Heime überhaupt beschwerdeberechtigt sind. In einem vergleichbaren Fall gegen die Pflegekosten 2011 mussten die Baselbieter Heimbewohner selbst klagen – und bekamen recht. Auch für 2019 scheint der Weg über die Justiz zu führen: «Wir müssen uns vorbehalten, alle erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Schritte einzuleiten», schreibt Curaviva in der Vernehmlassungsantwort.

Die Vehemenz, mit welcher der Heimverband vorgeht, steigerte sich in den letzten Wochen nochmals. Seit Anfang Juni läuft die Online-Petition «Die Pflegebeiträge dürfen nicht sinken». Sinken deshalb, weil der Kanton unter Mitarbeit der Gemeinden einen Vorbeschluss gefasst hat, per 2021 die den PNK zugrunde liegende Berechnungsskala tiefer anzusetzen. Die Flyer, die die Petition begleiten, laufen unter dem Slogan «Ohne Schotter nur Roboter». Curaviva selbst schreibt bereits von einem erfolgreichen Start, Stand Freitag haben allerdings erst 397 Personen unterschrieben.

Sämtliche 2017er-Kostenrechnungen geprüft

Das inhaltlich überzeugendste Argument lieferte der Verband vor drei Wochen ab: Er liess sämtliche 2017er-Kostenrechnungen der 31 Baselbieter Heime durch eine unabhängige Treuhandfirma prüfen. Diese kam zum Schluss, dass eine Stunde Pflege durchschnittlich 86.16 Franken gekostet habe. Dies bildet nun eine der Grundlagen für die Forderung fürs kommende Jahr.

Der Kanton möchte während der Vernehmlassung keine Stellung nehmen. Diese läuft bis zum 10. August. Im Herbst liegt dann die definitive Regierungsvorlage für den Landrat vor. Bereits auf dem Tisch liegt aber die Stellungnahme des Gemeindeverbands VBLG. Und auch dieser wählt deutliche Worte. Die Heime würden eine «verwirrliche Aufklärungs-Kampagne» fahren. Dass die ausgewiesenen Pflegekosten der einzelnen Heime 2016 zwischen 60 und 93 Franken schwankten, sei bedenklich. Die Heime sollten diesen Abweichungen nachgehen. Der VBLG stimmt dem Regierungsansatz 2019 «als Interimslösung» zu, pocht aber vehement auf die tiefere Berechnungsskala ab 2021.

Wer nun in diesem ewigen Streit recht hat, ist offen. Da die Regierung die alleinige Kompetenz zur Festsetzung der Pflegenormkosten ab 2023 aber an die Gemeinden abtreten will, dürften die Konflikte eher noch zu- denn abnehmen. Erster Hinweis ist die neuste Mitteilung von Curaviva: Der Verband habe einen Antrag an die Regierungsräte Thomas Weber und Anton Lauber gestellt. Man verlange, dass Curaviva als Partner ins Projekt der Kompetenzverschiebung an die Gemeinden einbezogen wird. Eine Antwort ist noch ausstehend.