Urs Wüthrich
Regierungsrat Wüthrich: «Ein gemeinsames Kulturleitbild ist möglich»

Der Baselbieter Kulturdirektor spricht erstmals über die Erkenntnisse der Kulturtagsatzung vom vergangenen Jahr. Er geht dabei auch auf die Rolle der beiden Basel punkto Jugendfreundlichkeit ein.

Leif Simonsen
Drucken
Kulturdirektor Urs Wüthrich hört vor wichtigen Auftritten Mendelssohn.

Kulturdirektor Urs Wüthrich hört vor wichtigen Auftritten Mendelssohn.

Juri Junkov

Herr Wüthrich, fast ein Jahr ist es nun her, dass sich die Baselbieter in Liestal zur Kulturtagsatzung trafen. Wo bleibt das Ergebnis?

Urs Wüthrich: Der Entwurf für ein neues Kulturleitbild steht. Der Landrat wird ihn in der nächsten Sitzung zur Kenntnis nehmen.

Ursprünglich wollten Sie sich ein halbes Jahr Zeit nehmen. Warum haben Sie nun die Öffentlichkeit so lange vertröstet?

Wir hatten zum Teil mehrmonatige Krankheitsausfälle und mussten mit den Leuten klarkommen, die wir zur Verfügung haben. Ich verstehe, dass diese Verspätung nun auch Kritiker auf den Plan gerufen hat. Aber es ging nun mal nicht anders. Es wäre ja auch in meinem Interesse gewesen, den Prozess schneller abzuschliessen.

Was steht aber nun in diesem Entwurf?

Für mich stehen drei kulturpolitische Aussagen im Vordergrund. Es soll erstens eine Kultur nahe bei den Leuten geben. Es soll zweitens eine Kultur in der Region geben und drittens eine, wo der Kanton Baselland an der Kultur des Stadtkantons beteiligt ist. Es gibt auch eine Rollenklärung: Die Unterscheidung zwischen der Rolle von Privaten, Gemeinden und des Kantons. Weiter betrachten wir auch das Spannungsfeld zwischen den professionellen Kulturschaffenden und den Laien. Wir machen Aussagen über den Zeitraum von 2013 bis 2020. Wir werden auch über die Kantonsgrenzen schauen – so etwa nach Basel-Stadt. Ich habe strenge Vorschriften zum Umfang gemacht: Das Kulturleitbild soll 40 bis 50 Seiten umfassen, nicht mehr. Einfacher wäre es natürlich, ein Buch zu schreiben. Denn wir sind natürlich eingeengt: Wir können nur einen Teil der Erkenntnisse präsentieren.

Und welche Erkenntnisse bringt uns das Kulturleitbild?

Am wichtigsten ist wohl die Erkenntnis, dass es DIE Baselbieter Kultur nicht gibt. Die Unterscheidung zwischen städtischer und ländlicher Kultur ist völlig absurd. Unsere Kultur kennt keine Postleitzahlen. Aus Allschwil kommt eine bekannte Alphorngruppe, und auf der anderen Seite findet das Modernste, was man in der Musik erleben kann, in Rümlingen statt (mit dem Festival für Neue Musik, Anm. d. Redaktion). Ich war allgemein überrascht, wie hoch der Stellenwert der Kultur für sehr viele Leute ist. Es stand nie zur Debatte, dass die Kultur in den Nice-to-have-Bereich abgeschoben wird und nur finanziert werden soll, wenn man genug Geld zur Verfügung hat.

Wo herrscht Handlungsbedarf? Als Sie vor fast einem Jahr die Kulturtagsatzung lancierten, sprachen Sie auch von der Möglichkeit, ein grösseres Kulturzentrum im Kanton zu schaffen.

Hier bin ich ambivalent. Beim FC Basel spielt es auch keine Rolle, ob jetzt Marco Streller oder Alex Frei von diesseits oder jenseits der Kantonsgrenze stammen. Ähnlich ist es mit den Kulturschaffenden, wenn sie ihr Atelier irgendwann nicht mehr in Rümlingen, sondern in der Stadt haben. Man muss das Umfeld betrachten: Eine grosse Konzerthalle in Liestal würde aus meiner Sicht keinen Gewinn bringen, wenn das gleiche Angebot schon in der Stadt vorhanden ist.

In anderen Schweizer Kleinstädten wie in Fribourg oder Aarau gibt es auch Konzerthallen und Jugendzentren. Die Baselbieter Jugendlichen müssen sich an der Stadt orientieren.

Ich sehe das etwas anders: In erfreulich vielen Gemeinden gibt es Jugendtreffs. Und das Mekka der Nachwuchsförderung liegt in Münchenstein mit dem Walzwerk, wo jungen Bands Proberäume und Aufnahmemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Ausserdem haben wir mit dem Z7 in Pratteln unseren eigenen Leuchtturm.

Sie verweisen immer wieder darauf, dass besonders bei Kulturthemen die Kantonsgrenzen aufgehoben werden. Am Donnerstag wird in Basel-Stadt das Kulturleitbild präsentiert. Wäre es da nicht sinnvoller, wenn Baselland und Basel-Stadt zusammen ein solches Kulturleitbild präsentierten?

Die Realität ist eben doch eine andere: Basel-Stadt hat grosse staatliche Einrichtungen, der Kanton ist noch in viel grösserem Mass Kulturbetreiber als Baselland. Die Ausgangslage war zudem eine andere: Basel-Stadt ist angehalten, ein viel detaillierteres Kulturleitbild auszuarbeiten als wir. Trotzdem: Ich erachte es als gut möglich, dass wir ein nächstes Kulturleitbild zusammen erstellen.

Es wurde auch geunkt, dass die Kulturtagsatzung unbequeme Wahrheiten zutage fördern könnte – nämlich, dass es die Spitzenkultur des Baselbiets, wie etwa das Theater Roxy in Birsfelden, nicht braucht.

Wir müssen uns diesem Risiko stellen. Es kann sein, dass irgendwann mal etwas nicht mehr mehrheitsfähig ist. Aber ich muss hervorheben, dass die Kultur im Baselbiet bisher immer mehrheitsfähig war. Wir haben – und das ist einmalig – einen Kulturvertrag. Und damit wird auch die Kultur unterstützt, die nicht auf den ersten Blick gefällig ist, wie beispielsweise das Palazzo in Liestal, das Marabu in Gelterkinden oder das Gare du Nord in Basel.

Sie klingen sehr zufrieden. Das Kulturleitbild beschäftigt sich mit einem Zeithorizont bis 2020. Wollen Sie denn nicht auch Neues schaffen?

Kultur muss sich ohnehin immer neu erfinden. Die Museen sind zwangsläufig Innovationszentren – sind sie es nicht, geht keiner mehr hin. Aber es gibt auch Projekte wie das Sammlungszentrum von Arbeitsplätzen in Augusta Raurica, die gute Chancen haben. Es gibt stetige Entwicklungen, sowohl in der Musik als auch in der bildenden Kunst, die nicht vorhersehbar sind. Was ich also nicht sagen kann, ist, wo die Baselbieter Kultur 2020 stehen wird.

Weiss der Landrat überhaupt, was er am Donnerstag zur Kenntnis nimmt?

Nur die Bildungskommission weiss genau, was im Entwurf des Kulturleitbilds steht. Der Landrat bekommt eine Übersicht präsentiert. Im Sommer sollen dann die Texte fertiggestellt sein. Damit sollte Ende dieses Jahres das Kulturgesetz auf dem Tisch sein.

Wird das Kulturleitbild Ihr Schaffen als Kulturdirektor beeinflussen oder gar verändern?

Die Erkenntnisse aus der Kulturtagsatzung widerlegen meine kulturpolitischen Überzeugungen überhaupt nicht. Es gibt sehr viel Bestätigung und sehr vieles, was verdeutlicht wurde. Das Leitbild ist nicht besonders spektakulär. Die Hauptaussage, wonach Kultur vielfältig sein muss: Das wusste ich schon vorher.

Die Kulturtagsatzung hat 130000 Franken gekostet. Das haben Sie bezahlt, um herauszufinden, was Sie sowieso schon wussten?

Für mich ist es ein Erkenntnisgewinn, dass meine Erkenntnisse stimmten.

Wir haben nun über die kulturelle Vielfalt im Baselbiet gesprochen. Welche kulturellen Vorlieben hat eigentlich der Kulturdirektor?

Als gebürtiger Emmentaler bin ich offensichtlich ganz ähnlich wie die Baselbieter. Ich interessiere mich für sehr unterschiedliche Kulturformen. Ich mag Blues sowie einige Bands der 60er- und 70er-Jahre wie Creedence Clearwater Revival oder die Rolling Stones – schliesslich bin ich ja vom Alter her haarscharf an Woodstock vorbei. Müsste ich zwei CDs auf eine einsame Insel mitnehmen, wären das die Opern Lucia di Lammermoor von Gaetano Donizetti und Norma von Vincenzo Bellini. Vor einem wichtigen Auftritt höre ich beispielsweise Paulus von Felix Mendelssohn. Gleichzeitig fasziniert mich aber auch das Spontane von Schüleraufführungen.