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Lokalpolitiker Yves Krebs will ein «sektenfreies Baselbiet». Für Scientologe Jürg Stettler ist die Forderung der Inbegriff der Intoleranz.
Seit Monaten sorgen Auseinandersetzungen zwischen Scientologen und deren Gegnern in beiden Basel für Schlagzeilen. Baselbieter «Freie Anti-SC-Aktivisten» stehen in der ganzen Schweiz vor den Infoständen von Scientology. Der Basler Aktivist Manfred Harrer wurde kürzlich wegen zahlreicher Tätlichkeiten und Nötigung verurteilt.
Bald soll im Baselbieter Landrat auch das Postulat von Yves Krebs (GLP) diskutiert werden: Er fordert ein «sektenfreies Baselbiet» und will wissen, inwiefern sich Infostände und Veranstaltungen von Scientology verbieten liessen. Als der Vorstoss im November eingereicht wurde, schrieb der Pressesprecher von Scientology, Jürg Stettler, E-Mails an jene Landräte, die das Postulat unterzeichnet hatten.
Krebs und Stettler sind beide in Oberwil aufgewachsen. In dieser Sache könnten sie aber nicht weiter voneinander entfernt sein.
Herr Krebs, Herr Stettler, was ist Ihr Verständnis vom Wort «Sekte»?
Jürg Stettler: Für mich ist es ganz klar ein Schimpfwort. Keine einzige Religionsgemeinschaft nennt sich so. Dieses Wort wird nur benutzt von Kritikern, die solche Gruppierungen ausgrenzen wollen. Für mich ist das wie «Neger» oder «Zigeuner».
Yves Krebs: Eine Sekte ist eine Organisation, die streng hierarchisch organisiert ist. Tritt man bei, kann man sich mit viel Geld das Seelenheil erkaufen. Es werden Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen. Der Ausstieg ist schwer und gelingt nur mit grossen Konsequenzen. Eine Abhängigkeit kann psychologisch, finanziell oder sexuell sein. Gleichzeitig unterwandern Sekten den Rechtsstaat.
Gibt es für Sie, Herr Stettler, Gruppierungen, die der Definition von Herrn Krebs entsprechen würden?
Stettler: Es gab sicher einige wenige Skandale, wo offensichtlich Dinge wirklich daneben waren. Aber Scientology in diese Ecke stellen zu wollen, ist für mich unhaltbar.
Würden Sie bestreiten, dass Scientology jemals sektenähnliche Züge, wie sie Herr Krebs definiert, angenommen hat?
Stettler: Ja, klar. Ich sehe einfach, dass es Herrn Krebs eigene kreierte Definition ist, basierend auf Vorurteilen. Ich nehme an, Herr Krebs spricht heute zum ersten Mal mit einem Scientologen.
Krebs: Nein, das stimmt nicht. Ich bin vor zwanzig Jahren von einem Scientologen angesprochen worden. Dabei führte ich einen dieser Persönlichkeitstests durch. Ein anderes Mal liess ich an einem Stand meinen psychischen Zustand von einem E-Meter messen.
Stettler: Gut, aber Sie unterhalten sich wohl zum ersten Mal vertieft über das Thema. Jede Religion war in ihren Anfängen mal eine «Sekte». Die ersten Christen wurden verfolgt, christliche Randgruppen wanderten wegen der Ausgrenzung nach Amerika aus. Der Heilsarmee wurden zu Beginn die exakt gleichen Vorwürfe gemacht wie Scientology.
Krebs: Die Unterdrückung von Sekten in der Vergangenheit ist an sich irrelevant. Herr Stettler bringt dies als Verteidigungstaktik ein. Damit will er Scientology in die Opferrolle versetzen.
Stettler: Es gibt in jeder Religion Probleme, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Auch Scientology ist keine perfekte Organisation. Aber die Sachen, die uns Herr Krebs vorwirft, sind einfach falsch.
Krebs: Es stört Sie offenbar nicht, Flyer an Zehnjährige zu verteilen, wie Sie es in Winterthur letzte Woche gemacht haben. Oder mit Tarnorganisationen wie Ihrer Drogenpräventionskampagne «Sag Nein zu Drogen» Menschen eine Rehabilitationstherapie anzubieten. Dabei konnte man auch in der NZZ nachlesen, was in diesen Drogenrehabilitationstherapien von Scientology passiert.
Stettler: Und Sie glauben alles, was da steht?
Krebs: Ich glaube schon, dass man der NZZ trauen kann.
Stettler: Meine von der NZZ abgedruckte Korrektur haben Sie offenbar nicht gelesen.
Herr Krebs, was legitimiert Ihren Vorstoss gegen Scientology?
Krebs: In den letzten 20 Jahren ist Scientology international immer wieder aufgefallen. 2012 wurde sie in Frankreich verurteilt wegen bandenmässigen Betrugs und sie wird seit Jahren vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet. In der Schweiz ist es aber eher ruhig geblieben um Scientology, weil sie immer wieder unter dem Deckmantel von Tarnorganisationen auftritt. Daher finde ich es wichtig, dass man die Realität dieser Gruppierung immer wieder ins Bewusstsein rückt. Tom Cruise und John Travolta sind immer noch salonfähige Filmikonen, obwohl sie einer kriminellen Organisation angehören.
Stettler: Auf einem solchen Niveau will ich gar nicht diskutieren. Wir wurden immer wieder von zahlreichen Institutionen in der Schweiz als Religion anerkannt. Wir wären es wohl kaum, wenn wir eine kriminelle Organisation wären, wie Sie behaupten.
Krebs: Das brauche ich gar nicht zu behaupten. Eine Mediendatenbank aufzurufen, das genügt. Sehen Sie sich zum Beispiel das Interview vom deutschen Arbeitsminister Norbert Blüm im Spiegel aus den Neunzigerjahren an.
Stettler: Das Urteil in Frankreich, das im Übrigen anders war, als Sie es darstellen, ist ein schwaches Argument, um es gegen Scientology in Baselland anzuführen. Sie nehmen Informationen, die oft falsch sind, aus der ganzen Welt, um uns etwas vorzuwerfen. Das ist, wie wenn Sie sämtliche Vorwürfe gegen katholische Priester sammeln würden und dann den Baselbieter katholischen Priestern verbieten wollten, sich Kindern zu nähern.
Krebs: Das ist seit 20 Jahren Ihr Gejammer, sich als Opfer von Unterdrückung zu inszenieren. In der Schweiz profitieren Sie vom föderalistischen System, wo sich Bund, Kantone und Gemeinden in dieser Sache nicht koordinieren.
Kommen wir auf das Wesen von Scientology zurück. Was macht Scientology zu einer Religion, die Sie inspiriert, Herr Stettler?
Stettler: Ich bin im Baselbiet aufgewachsen und habe auch einige Zeit am Fischmärt in Liestal in einer WG gewohnt. Deswegen reagiere ich auch persönlich auf den Antrag von Herrn Krebs. In den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren habe ich mich mit verschiedenen Religionen auseinandergesetzt. Auf der Strasse wurde ich von einem Scientologen angesprochen. Was mich am meisten inspiriert hat, ist die Aussage von Scientology: «Nur das ist für Dich wahr, was Du selber beobachtet hast.» Sie beantwortet Fragen der Transzendenz, die in allen Religionen Thema sind. Herr Krebs kann gern kritisch sein, kann uns aber dabei nicht beleidigen oder behaupten, dass Scientologen manipuliert sind. Akzeptieren Sie bitte, dass wir nach spiritueller Freiheit suchen.
Herr Stettler, Sie können aber nicht verneinen, dass es Aussteiger gibt, die das anders schildern.
Stettler: Jein. Es gibt sicher ehemalige Mitglieder, aber interessanterweise kommt in der Presse immer nur die eine Seite zu Wort. Es gibt einige wenige «Aussteiger», die zur Presse gehen, um sich zu profilieren.
Herr Krebs, Sie setzen sich mit einer spürbaren Leidenschaft gegen Scientology ein. Was motiviert Sie persönlich dazu?
Krebs: Wenn ich Grossrat in Basel wäre, wäre es auf alle Fälle mein erstes Projekt gewesen, die problematische Kulanz der Stadt gegenüber Scientology zu bekämpfen. Unterdessen fanden drei Standaktionen von Scientology in Liestal statt, da sah ich mich als Baselbieter Landrat in die Verantwortung gezogen. So geht das einfach nicht, vor allem weil sie mit Tarnorganisationen wie «Dianetik» und «Sag Nein zu Drogen» auftraten. Es ist eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates, dass wir es nicht fertigkriegen, dieser Organisation das Handwerk zu legen.
Dianetik: Theorie von L. Ron Hubbard, wonach alle Krankheiten mit psychotherapeutischen Mitteln geheilt werden können. Gilt als Grundlage für Scientology.
Narconon: Organisation zur Rehabilitierung von Suchtkranken nach den Lehren von L. Ron Hubbard, Gründer der Scientology.
Elektro-Meter: Gerät, das Änderungen des elektrischen Widerstands des Körpers misst und auf psychische Veränderungen hinweisen soll.
Gemäss der Antwort des Basler Regierungsrates an die Interpellation Messerli im Grossen Rat besteht bezüglich Scientology kein weiterer Handlungsbedarf. Sind denn die Stadtbasler so viel blinder als Baselbieter?
Krebs: Absolut! In Basel ist die Allmendverwaltung gegenüber Ihnen so naiv, dass Sie nicht mal mit Tarnorganisationen auftreten müssen.
Stettler: Haben Sie keine anderen Themen? Soweit ich sehe, ist es Ihre einzige politische Aktion im Landrat. Sie wollen sich damit profilieren, indem Sie gegen Scientology vorgehen.
Herr Krebs, ist in einem freien Land nicht jedem selber überlassen, ob er einer solchen Organisation beitreten will?
Krebs: Von mir aus kann man jeder Ideologie glauben. Ich habe nur ein Problem mit der aggressiven Verkaufsmethode, mit der Unterwanderung vom Rechtsstaat, der Demokratie ...
Stettler: Nennen Sie ein einziges Beispiel, bei welchem wir den Rechtsstaat unterwandern.
Krebs: Sie haben eigene Gesetze, einen eigenen Geheimdienst. Die Arbeitszeiten Ihrer Mitarbeiter werden nicht kontrolliert. Euer Ziel ist die Befreiung des Planeten, eine Zivilisation ohne Geisteskrankheit, ohne Drogen und ...
Stettler: ... und ohne Krieg.
Krebs: Ja, da wäre ich auch dafür, aber ...
Sehen Sie, da haben Sie beide doch Gemeinsamkeiten.
Krebs: Genau, aber die Methoden von Scientology sind fragwürdig: Ihre Drogenrehabilitationsprogramme zum Beispiel bieten medizinische Dienstleistungen an ohne Kontrolle durch die Kantone.
Stettler: In vielen Staaten werden unsere Programme staatlich unterstützt. In der Schweiz haben wir momentan keine Narconon-Zentren.
Krebs: Ja, Ihr schickt die Süchtigen halt nach Holland, wo sie sich stundenlang in Saunas aufhalten müssen.
Stettler: Viele Ihrer Vorwürfe stimmen einfach nicht. Kommen wir aber auf Ihren Antrag zurück: Sie wollen verbieten, dass Gaststätten allen «Sekten» Säle vermieten. Das ist für mich totalitär. Dieser Anspruch, «sektenfreies Baselland», macht mir Angst. Ich debattiere seit 40 Jahren mit Kritikern. In der Schweiz bin ich noch nie einem Politiker begegnet, der einen solch radikalen Antrag vertritt.
Krebs: Der Titel des Postulates ist bewusst provokativ, damit es eine öffentliche Diskussion gibt. Darüber hinaus gilt es zu präzisieren, dass ich in einem Antrag nur eine Prüfung der Rechtslage durch die Regierung fordern kann.
Herr Krebs, gäbe es etwas, das Scientology unternehmen könnte, damit Sie sich zu einer – in Ihren Augen – unproblematischen Organisation entwickelt?
Krebs: Wir werden zunächst sehen, was die Antwort der Regierung auf das Postulat sein wird. Ich habe keine Zweifel, dass es vom Landrat überwiesen wird. Für mich ist klar, dass jede Standaktion zu viel ist. Ich möchte da einen Präzedenzfall setzen.
Stettler: Dann wollen Sie etwas verbieten, das in den grossen Städten und Orten der Schweiz toleriert und genehmigt wird.
Krebs: Die haben das einfach nicht im Griff. Wenn Ihre Religion so wahnsinnig toll wäre, bräuchten Sie gar nicht zu missionieren.
Stettler: Ich kann Ihnen versichern, dass Sie sich damit ein Eigentor schiessen. Ihre Kampagne wird uns nicht schwächen, im Gegenteil: In den Neunzigern war es sehr einfach, Mitglieder zu mobilisieren, weil sie sich die Hetzkampagnen nicht gefallen lassen wollten.
Da kann ich die gleiche Frage Ihnen stellen, Herr Stettler: Könnten Sie denn Garantien bringen, damit die Zweifel von Kritikern wie Herrn Krebs beseitigt werden könnten?
Stettler: Die Kontroverse mit Scientology wird nur so lange weitergehen, wie Leute sich weigern, bei uns vorbeizuschauen, um sich ein eigenes Bild zu machen. Wir sind gesprächsbereit und lösungsorientiert. Wir haben beispielsweise Ende der Achtzigerjahre ein Informationszentrum in Zürich aufgegeben, weil sich Anwohner beklagt hatten, auf der engen Strasse angesprochen zu werden. Da zeigten wir Verständnis.
Was legitimiert in Ihren Augen so viel Opposition gegen Scientology? Es gibt andere randständige Gruppen, die öffentlich missionieren.
Stettler: Wir trampeln einigen Interessensgruppen auf die Füsse. Zum Beispiel der Psychiatrie. Wir sind die kritischste Organisation gegen Missbräuche in der Psychiatrie. Die haben sogar schon an Kongressen diskutiert, wie sie auf unsere Vorwürfe reagieren wollen. Schauen Sie sich das Buch von Herrn Dr. Schulte an, ehemaliger Sektenbeauftragter aus Österreich, der sich mit der Kritik in Deutschland auseinandersetzt und diese mit Fakten hinterfragt. Dieses Buch wird meist totgeschwiegen.
Es liegt aber in der Kantonsbibliothek Baselland vor.
Stettler: Tut es das? Das wusste ich nicht. Trotzdem: Diese Diskussion muss einfach differenzierter werden.
Krebs: Ich möchte grundsätzlich nicht mit Scientology verhandeln. Mein einziger Ansprechpartner in dieser Sache ist die Regierung.
Stettler: Sie sehen also das direkte Gespräch mit uns nicht. Das ist Ihre Message. Schade.
Krebs: Meine Message ist, dass der Staat solche Organisationen nicht tolerieren soll, weil es seine Aufgabe ist, das Eigentum und die Gesundheit der Bürger zu schützen.