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Der fallführende Staatsanwalt im Kickboxer-Prozess ist seit Ende März krankgeschrieben. Vonseiten der Verteidigung wird dessen Arbeitsunfähigkeit jedoch angezweifelt. Denn obwohl er krankgeschrieben war, leitete er eine Einwohnerratssitzung.
Im wohl grössten Strafprozess, den das Baselbiet bisher erlebt hat, gibt es einen prominenten Abwesenden: Es ist Staatsanwalt Stefan Fraefel. Rund drei Jahre lang hat er sich mit dem Überfall von Paulo Balicha und seiner «Gang» auf das Kampfsport-Gym seines Rivalen Shemsi Beqiri beschäftigt. Doch als der Mammutprozess am Montag vergangene Woche begann, fehlte Fraefel im Gerichtssaal. Der fallführende Staatsanwalt ist seit Ende März krankgeschrieben – eine grosse Überraschung für die meisten Beteiligten des Prozesses.
In den Pausenräumen wurde über ein «Burnout» spekuliert. Vonseiten der Verteidigung jedoch wird offen die Arbeitsunfähigkeit von Fraefel angezweifelt. Verteidiger Andreas Noll verlangte am zweiten Verhandlungstag vom Gericht, es solle ein Arztzeugnis einfordern. «Ich meine, da passt etwas nicht zusammen», sagte Noll. Was er insinuieren wollte: Fraefel sei es zu heiss geworden, er wolle sich unangenehmen Fragen entziehen.
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Fraefel hatte der Verteidigung selber Munition geliefert. Für die CVP sitzt er im Liestaler Einwohnerrat. 2017/2018 präsidiert er gar das Stadtparlament. Dort war er aber nicht krankgeschrieben. Vor Gericht wurde auf das Protokoll der jüngsten Einwohnerratssitzung vom 30. Mai verwiesen. Darin heisst es: «Ratspräsident Stefan Fraefel begrüsst die Ratsmitglieder, Stadtratsmitglieder sowie Medienvertreter und Gäste auf der Tribüne zur zweitletzten Sitzung im laufenden Amtsjahr.»
Trotz dieses Dokuments lehnte das Dreiergericht den Antrag von Andreas Noll, es solle das Arztzeugnis verlangen, ab. «Das ist nicht notwendig», sagt Gerichtspräsidentin Irène Läuchli.
Fraefel will zu den Gründen seiner Abwesenheit keine Stellung beziehen. «Ich sehe nicht ein, weshalb ich mich öffentlich zu meiner Krankheit äussern soll», sagt er zur bz. «Das ist meine Privatsache.» Auf die Frage, weshalb er als Politiker weiterhin aktiv sei, antwortet Fraefel, sein Amt als Einwohnerratspräsident sei von der zeitlichen Belastung her nicht mit der Tätigkeit als Staatsanwalt vergleichbar. Der Einwohnerratspräsident ist vorrangig für die Organisation und Leitung der rund zehn Sitzungen pro Jahr zuständig. Fraefels Amtsjahr endet per 31. Juni. Gemäss Plan leitet der Liestaler seine letzte Sitzung morgen Mittwochabend.
Auch die Baselbieter Staatsanwaltschaft erteilt keine Auskünfte zu ihrem ausgefallenen Mitarbeiter, mit Verweis auf den Persönlichkeitsschutz. Die Staatsanwaltschaft bestätigt lediglich die Angaben, die bereits vor Gericht kolportiert wurden: Fraefel sei Ende März krankgeschrieben worden, ein Arztzeugnis liege vor. Das Gericht sei rechtzeitig über die Abwesenheit des fallführenden Staatsanwalts informiert worden.
Boris Sokoloff, leitender Staatsanwalt und Chef des Abwesenden, übernahm den sogenannten «Fall Dojo» gemeinsam mit Staatsanwältin Evelyn Kern. Sokoloff sprach am ersten Verhandlungstag von «persönlichen, respektlosen und diffamierenden Angriffen» auf seinen Mitarbeiter. Es sei üblich, dass Staatsanwälte Kollegen vertreten. Die Staatsanwaltschaft sagt auf Anfrage, Fraefel habe zwar die Anklageschrift verfasst, sie sei aber von seinem Vorgesetzten abgesegnet und visiert.
Die Anklageschrift wurde im August 2017, fast dreieinhalb Jahre nach den Vorfällen im Februar 2014 in Reinach, ans Gericht überwiesen. Der Justiz oblag von da an die Verfahrensführung – und somit auch die Information aller Beteiligten.
Die erste Tranche des Kickboxer-Prozesses zieht sich voraussichtlich bis Freitag hin. Für heute Dienstag ist unter anderem das Plädoyer der Staatsanwaltschaft mit allen konkreten Strafanträgen anberaumt.